Nr. 115/2023

HUMBOLDTIANER*INNEN PERSÖNLICH Auf dem Foto sieht man mich mit meinem Spiel The Poll. Eigentlich bin ich Journalist. Doch seit einigen Jahren ent- wickele ich Spiele. Bei The Poll schlüpft man in die Rolle eines Politikers und lernt, wie der Wahlkampf in Indien funktioniert, wie man politische Lösungen findet, Kom- promisse aushandelt und schließlichMehrheiten gewinnt. Ein anderes Beispiel ist das Handyspiel Farsi, bei dem es darum geht, Gerüchte und Fake News von echten Nach- richten zu unterscheiden. Mir geht es darum, dass man beim Spielen etwas lernt, etwa wie unsere Gesellschaft funktioniert. Oder auch wie man sich gesund ernährt; darum geht es bei einem weite- ren Spiel, das ich erfunden habe. Dabei denke ich immer noch wie ein Journalist: Finde die Wahrheit, sprich mit den Leuten, diskutiere Argumente. Alle meine Spiele sind davon beeinflusst. Wenn man als Journalist durch ein Land wie Indien reist, sieht man viele Probleme und schreibt darüber. Aber Texte in einer Zeitung sind wie eine Einbahnstraße. Es gibt keinen Dialog. Beim Spielen dagegen setzt man sich mit einem Thema auseinander, kommuniziert mitein- ander. Mit unseremErnährungsspiel und unseremFake-News- Quiz Farsi besuchen wir Schulen und Universitäten in Indien. So konnten wir bislang rund 80.000 Spieler*innen erreichen. Die Spiele sind durchaus beliebt. Allein in den ersten sechs Monaten verkaufte sich das Brettspiel The Poll mehr als 500-mal. Doch reich wird man nicht mit Spie- len, die die zivilen Muskeln trainieren. Da ist Indien wie Deutschland in der Hand von großen oftmals amerikani- schen Firmen, die den Markt beherrschen. In Deutschland bin ich zurzeit als Bundeskanzler-Sti- pendiat beim Cologne Game Lab an der TH Köln. Wenn ich mit Deutschen spiele, fällt mir auf, wie wichtig die Regeln für sie sind und wie viel darüber diskutiert wird. Spiele dauern deshalb oft viel länger als in Indien. Dort lie- ben wir eher das Chaos. Doch ein Spiel wie The Poll wäre auch auf Deutschland übertragbar, man müsste nur ein paar Kleinigkeiten anpassen, die hier in der Politik anders sind. So sehr unterscheiden sich parlamentarische Demo- kratien nicht voneinander. Persönlich mag ich sehr gerne Strategiespiele, etwa das Brettspiel Splendor, bei dem man zum Diamantenhänd- ler wird. Oder Polytopia auf dem Handy. Dort baut man Städte auf und konkurriert mit anderen Völkern. Und ich liebe Detektivgeschichten. Meine Masterarbeit habe ich über koloniale Kriminalromane geschrieben. Als ich nach Bonn kam, ist mir zuallererst die unglaubliche Stille hier aufgefallen. Welch ein Gegensatz zum hektischen Neu- Delhi. Ein Mord in dieser ruhigen Stadt und ein Detektiv aus Indien, der hier ermittelt. Das gäbe eine spannende Geschichte. Aufgezeichnet von GEORG SCHOLL ABEER KAPOOR ist seit 2022 Bundeskanzler-Stipendiat am Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln. Zuvor war der ausgebildete Journalist bei verschie- denen indischen Zeitungen und zuletzt am SMART Civic Games Lab in South Delhi, Indien, tätig. SPIELEND ZUR WAHRHEIT MIT WELCHEM ZUG GEWINNE ICH DIE WAHL? Abeer Kapoor mit seinem Politikspiel The Poll Foto: privat 3 HUMBOLDT KOSMOS 115/2023

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=