Nr. 117/2025
Quinn: Ich möchte hinzufügen, dass man zwischen der grundlegenden Aus- gangslage beimThema Freiheit und sicht- baren Vorfällen unterscheiden muss. In China ist die Ausgangslage bereits nied- rig. Weniger repressive Vorfälle bedeuten nicht mehr Freiheit – sie bedeuten, dass die Repression effizient funktioniert. In den USA hingegen war die grundlegende Freiheit groß, dies ändert sich aber gerade immer schneller in eine negative Richtung. Gibt es neben regionalen Unterschie- den auch Unterschiede in Bezug auf die Forschungsgebiete? Und gibt es Fachge- biete, die besonders im Fokus stehen? Quinn: Es ist ein Irrglaube, dass bestimmte wissenschaftliche Fach- gebiete per se „sicher“ sind. Wissen- schaftler*innen werden selten wegen des Inhalts einer physikalischen Formel oder einer medizinischen Entdeckung ange- griffen – sondern weil sie hinterfragen. Wir beobachten heute erhöhte Risiken in Disziplinen, die sich mit Gender, Iden- tität, sozialer Gerechtigkeit, Minderhei- tenrechten und Sprachen befassen. Diese Bereiche werden als politische Hebel genutzt – nicht wegen der Forschung an sich, sondern weil sie sich als kulturelle Symbole mobilisieren lassen. Schlögl: Fachgebiete, die näher an der politischen Macht oder nati- onalen Sicherheit angesiedelt sind – etwa die Molekularbiologie, die Kern- physik oder verteidigungsrelevante For- schung – stehen auch stark im Fokus. Aber entscheidend ist nicht das Fachge- biet, es ist die Nähe zu umstrittenen The- men. Wo Wissen auf Ideologie trifft, ent- stehen Risiken. Die Philipp Schwartz-Initiative arbeitet eng zusammenmit Scholars at Risk und demScholar Rescue Fund. Wie funktio- niert diese Zusammenarbeit? Schlögl: Die Zusammenarbeit ist grundlegend. Die PSI wäre nicht wirk- sam ohne die internationalen Netzwerke, die Gefährdungsfälle identifizieren und bewerten. Scholars at Risk stellt seine Expertise, Frühwarninformationen und globale Advocacy-Netzwerke zur Verfü- gung. Unsere Zusammenarbeit reicht von ganz praktischen Fragen wie Gefähr- dungseinschätzungen bis hin zu gemein- samem öffentlichen Engagement für das Thema Wissenschaftsfreiheit. Quinn: Unsere Kollaboration ist nicht nur operativ, sie ist auch strate- gisch. Die Verteidigung der Wissen- schaftsfreiheit muss über alle Grenzen hinweg erfolgen, so wie sich die Bedro- hungen auch über alle Grenzen hinweg ausbreiten. Die PSI ist dabei ein zentra- ler Partner, auch im Rahmen von euro- päischen Projekten zum Schutz des wis- senschaftlichen Raums. In Deutschland nehmen Universitäten PSI-Stipendiat*innen auf. Möchten Sie nach zehn Jahren einige dieser Univer- sitäten hervorheben, die sich in dieser Zeit besonders engagiert haben? Wissenschaftler*innen werden selten wegen einer physikalischen Formel oder Entdeckung angegriffen – sondern weil sie hinterfragen. Robert Quinn, Executive Director des Scholars at Risk Network „ › SCHWERPUNKT 10 JAHRE PHILIPP SCHWARTZ-INITIATIVE 23 HUMBOLDT KOSMOS 117/2025
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