Nr. 117/2025

wir uns mehr um die Verteidigung und soziale Fragen kümmern müssen. Aber Wissenschaft ist kein Nice-to-have oder ein Luxusgut. Sie ist die Grundlage einer lebendigen Gesellschaft. Eine solche Ent- wicklung ist gefährlich. Die Freiheit der Wissenschaft ist der Gradmesser für die Freiheit der Gesellschaft. Wenn dieser Gradmesser geschwächt wird, verliert die Gesellschaft ihre Orientierung. LassenSie uns zumSchluss einmal zehn Jahre in die Zukunft schauen. Was wäre erforderlich, um eine Renaissance der Wissenschaftsfreiheit zu erreichen? Quinn: Der wichtigste Faktor ist die sichtbare Unterstützung derjenigen, die bedroht sind. Der Schutz betroffe- ner Wissenschaftler*innen macht ande- ren Mut. Werden sie im Stich gelassen, verbreitet das Angst. Forschungsfreiheit braucht rechtliche Garantien, starke Insti­ tutionen und kulturelle Legitimität – vor allem aber Menschen, die den Mut haben zu denken. Ich unterstütze die Idee einer Renaissance, nicht nur für den Hoch- schulbereich, sondern für eine Mensch- heit, die sich an den Idealen vonWahrheit, Schönheit, Kultur und Würde orientiert. Universitäten müssen der Gesellschaft helfen, mit Komplexität umzugehen und einen differenzierten Blick auch für die Nuancen zu bewahren – in einer Welt, in der Medien und Technologien diese Diffe- renziertheit oft untergraben. Programme wie die PSI sind unverzichtbar, weil sie Leben retten – und den Mut erhalten, den andere brauchen, um weiterhin frei den- ken zu können. Schlögl: UndWissenschaftler*innen müssen Zuversicht verkörpern. Wir soll- ten uns nicht in Zynismus oder defensive Selbstrechtfertigung zurückziehen. Die Wissenschaft kann vorleben, wie man konstruktiv mit Komplexität und Mei- nungsverschiedenheiten umgeht. Wenn wir dies vermitteln – nicht nur durch Grundsatzpapiere, sondern auch durch menschliches Vorbild –, wird die Gesell- schaft wiederentdecken, warum sie uns braucht. Wissenschaft ist kein Nice- to-have oder Luxusgut. Sie ist die Grundlage einer lebendigen Gesellschaft. Robert Schlögl „ ROBERT QUINN ist Jurist, Mitgründer und Executive Director des internationalen Netzwerks Scholars at Risk (SAR) mit Sitz an der New York University. SAR gehören mehr als 600 Wissenschafts­ institutionen aus über 45 Ländern an. ROBERT SCHLÖGL ist seit 2023 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Zuvor war der Chemiker und inter­ national renommierte Experte für grüne Energie und Energie- systeme der Zukunft Direktor am Fritz-Haber-Institut in Berlin. Schlögl: Nein – und das ist eine Stärke. Über 140 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben PSI- Stipendiat*innen aufgenommen. Die Unterstützung ist also breit gestreut. Wir erleben auch keine institutionellen Vorbe- halte wie „Das ist uns zu riskant oder zu politisch“. Das ist bemerkenswert – und es ist nicht garantiert, dass dies so bleibt, falls sich die politische Haltung gegenüber der Wissenschaft ändert. Genau deshalb wird viel über die Resilienz unseres deutschen Wis- senschaftssystems diskutiert. Wel- che Verantwortung tragen wissen- schaftliche Institutionen, aber auch Politiker*innen, um Skepsis und Anfeindungen entgegenzuwirken? Quinn: Die Universitäten haben die Verantwortung, deutlich zu machen, was Wissenschaftsfreiheit ist und warum sie so wichtig ist. Nicht auf abstrakter, kon­ stitutioneller Ebene, sondern als etwas, das eng mit der Qualität des täglichen öffentlichen Lebens verbunden ist. Die Botschaft darf nicht sein: „Unterstützt uns, weil wir wichtig sind.“ Die Botschaft muss lauten: „Wir dienen der Gesellschaft, indem wir ihr helfen, Unsicherheiten zu bewältigen.“ Und dieser Dienst erfordert manchmal Mut. Schlögl: In Deutschland sehe ich einen politischen Trend, Wissenschaft als etwas Optionales zu betrachten – als etwas, das finanziert werden kann, wenn die Mittel es zulassen. Einige Politiker*innen haben den Eindruck, dass Das Interview wurde von Table.Briefings-Redakteur TIM GABEL geführt und ist zuerst im Research.Table erschienen. SCHWERPUNKT 10 JAHRE PHILIPP SCHWARTZ-INITIATIVE 24

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