Nr. 117/2025

Wissen ist das größte Kapital Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, einen Blick auf einige Papiere aus dem Nach- lass von Philipp Schwartz zu werfen. Unter anderemfindet sich dort ein kleines Heft, das den Titel „Notgemeinschaft“ trägt. Im Vorwort der Broschüre beschreibt Schwartz den Tag vor seiner Flucht aus Frankfurt: „Am 23. März 1933, Montag vormittags, traf ich im Garten des städti- schen Krankenhauses in Frankfurt/Main zufällig den Kollegen A. W. Fischer (…). Er fragte mich ehrlich besorgt, warum ich noch nicht ‚verreist‘ bin. Ich solle noch am selben Tag ‚verschwinden‘, sonst könnte ich verhaftet werden. (…) Ich war bereit.“ Tage zuvor, auch das beschreibt Schwartz, hatte die Polizei sein Haus durchsucht, angeblich, um versteckte Maschinenge- wehre zu finden. Schwartz war Pathologe. Als seinerzeit jüngster Professor Deutschlands lehrte er an der Universität Frankfurt. Und er war jüdisch. Für das nationalsozialistische Deutschland reichte das, um ihn ins Exil zu treiben. Von Zürich aus, wo er zunächst bei Verwandten unterkam, beobachtete er die Lage in Deutschland: „Und dann kamen täglich die Schreckensnachrich- ten über Suspension, Vertreibung, Verhaf- tung, Misshandlung und Selbstmord von Universitätslehrern in ganz Deutschland. Schon Anfang April traf man in Zürich auf Schritt und Tritt Kollegen, die nor- malerweise ihren Unterrichtspflichten in Frankfurt amMain, Berlin oder Würz- burg hätten nachgehen müssen. (…) Wir mussten versuchen einer Panik entgegen zu arbeiten, und zu organisieren.“ Schwartz gründete die „Notgemein- schaft deutscher Wissenschaftler imAus- land“, einen Zusammenschluss vonmehr als tausend deutschen Universitätsange- hörigen, die von den Nationalsozialisten bedroht und vertrieben wurden. Die Ini- tiative unterstützteWissenschaftlerinnen undWissenschaftler nach ihrer Flucht aus Deutschland, vermittelte ihnen Arbeits- plätze, gab ihnen eine Perspektive. Neben seinen Forschungen wurde es Schwartz‘ Lebensprojekt, verfolgten Wissenschaft- lerinnen undWissenschaftlern zu ermög- lichen, in Freiheit zu forschen. BESONDERE VERANTWORTUNG Ich bin überzeugt: Uns Deutsche trifft vor demHintergrund unserer Geschichte eine ganz besondere Verantwortung. Wir wollen sie wahrnehmen, und wir fühlen uns verpflichtet, Menschen wie Phillipp Schwartz zu ehren. Und ihre Arbeit in gewisser Weise fortzuführen. Denn heute leben wir in einer Welt, in der systemische Angriffe auf Wissenschaftsfreiheit immer weiter zunehmen, übrigens auch inner- halb Europas, innerhalb des transatlan- tischen Raums. Wissenschaftsfreiheit hat in Deutschland zurecht Verfassungsrang und ist ein wichtiger Grundsatz unserer internationalen Hochschul- und Wissen- schaftskooperation. Deswegen hat das Auswärtige Amt vor zehn Jahren mit der Gründung der Philipp Schwartz-Initiative (PSI) ein sichtbares Zeichen gesetzt und Außenminister Johann Wadephul über die Philipp Schwartz-Initiative G A S T B E I T R A G SCHWERPUNKT 10 JAHRE PHILIPP SCHWARTZ-INITIATIVE 26

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