Nr. 117/2025

D er Zufall unseres Lebens passierte im Frühling 1972 in der Empfangshalle eines Nürnberger Hotels. Ein Kollege stellte uns einander vor. Wir waren beide Teilneh- mende der Studienreise, die die Humboldt-Stiftung ihren Geförderten während ihres Forschungsaufent- halts in Deutschland anbietet. Mircea war kurzfristig dazugekommen, da er einen frei gewordenen Platz bekommen hatte. Wir hatten keine Ahnung, was fol- gen würde. Im Bus saßen wir nebeneinander, tauschten uns über unsere Fachgebiete aus und diskutierten viel. Wir stellten fest, dass wir beidemit einemHumboldt- Forschungsstipendium in München waren – Mircea am Philosophischen Seminar der Ludwig-Maximi- lians-Universität, ich als Biologin, Physiologin und Neurowissenschaftlerin am Institut für Diabetesfor- schung. Und dass wir beide von der Universi- tät Bukarest kamen, uns dort aber nie getrof- fen hatten. Unser Kennenlernen war also reiner Zufall. Wir nutzten unsere freie Zeit während des For- schungsaufenthalts in München zum Reisen, fuhren mit dem Auto kreuz und quer durch Europa. Diese Freiheit wollten wir nutzen, denn in Rumänien herrschte das kommu- nistische Regime von Nicolae Ceaușescu und man bekamnicht so einfach einen Reisepass. Für Mircea war das Stipendium zudem ein Wendepunkt und eine riesige Chance in seiner Karriere: Zu Beginn seines Studiums wurden an den Universitäten in Rumänien politische Reinigungen durchgeführt und es war kaummöglich, professionell zu arbeiten. Auch für mich war die Zeit in München prä- gend. Gerne wäre ich länger geblieben. Doch die Behörden riefen mich zurück. Im Jahr 1974 waren wir beide wieder in Rumänien, heirateten und bekamen drei Söhne. Wir arbeiteten beide weiter in der Wissenschaft. Mitte der 1990er-Jahre grün- dete ich denMaster-Studiengang Neurobiolo- gie an der Universität Bukarest, bis heute halte ich Vorlesungen. Auch Mircea hält noch phi- losophische Vorträge. Es ist ein Geschenk des Himmels, in diesem Alter noch aktiv zu sein. Auch heute sprechen wir noch oft über wis- senschaftliche Fragen – etwa darüber, ob es einen freienWillen gibt. Aus Sicht der Neuro- wissenschaften sind Gedanken und Gefühle durch das Gehirn determiniert – Philosophen sehen das etwas anders. So haben wir immer Stoff für Diskussionen. Genau wie damals auf der Humboldt-Studienreise 1972. Aufgezeichnet von ESTHER SAMBALE DER ZUFALL UNSERES LEBENS Fünf Jahrzehnte, ein gemeinsamer Weg: Ein Blick zurück auf unser bewegtes Leben in der Wissenschaft. Die 1944 geborene rumänische Neurobiologin LUISA FLONTA ent- deckte 1972 als Humboldt-Stipen- diatin am Münchner Institut für Diabetesforschung die Zell­ rezeptoren für Insulin. Wie ihr Mann MIRCEA FLONTA, 1932 geboren und emeritierter Philoso- phie-Professor der Universität Bukarest, ist sie Mitglied der Rumänischen Akademie. Beide sind der Stiftung als Mitglieder der Alumnivereinigung Humboldt Club Romania weiter eng verbunden. Fotos: privat HUMBOLDTIANER*INNEN PERSÖNLICH 35 HUMBOLDT KOSMOS 117/2025

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=