Sicherheitsrelevante Forschung in internationalen Forschungskooperationen

Kontext und Haltung der Humboldt-Stiftung

Mit der Förderung herausragender Wissenschaftler*innen legt die Humboldt-Stiftung den Grundstein für internationale Kooperationen. Die Geförderten tragen zum wissenschaftlichen Fortschritt und zur Lösung globaler Probleme bei. Gerade durch Kooperationen zwischen Forschenden, die mit gegenseitigem Respekt gemeinsame wissenschaftliche Zielsetzungen verfolgen, können Brücken in andere Länder und Kulturen geschlagen werden.

Internationale Kooperationen können aber auch Risiken bergen. Eine mögliche missbräuchliche Verwendung von Forschungsergebnissen bzw. Kenntnissen, die im Rahmen der Kooperationen gewonnen werden, kann alle Forschungsgebiete betreffen. Gerade in der Zusammenarbeit mit Forschenden aus Herkunftsländern, die aufgrund ihrer rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen eine den freiheitlich-demokratischen Grundwerten entgegenstehende Nutzung von Forschungswissen nahelegt, ist daher eine Chancen-Risiken-Abwägung geboten. Eine Befassung mit dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext der Kooperationspartner*innen sollte fester Bestandteil der Vorbereitungen auf das gemeinsame Forschungsprojekt sein, um Differenzen oder unterschiedliche Erwartungshaltungen frühzeitig zu adressieren.  Auch die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen, wie z.B. die Gewährung von Zugang zu Materialien, Geräten, Software etc., die nach dem Exportkontrollrecht genehmigungspflichtig sind, sollte im Vorfeld geprüft werden. Es ist daher für alle Beteiligten internationaler Kooperationen (z.B. Gastgeber*innen, Nominierende, Scouts etc.) ratsam, das Compliance Office der eigenen Institution rechtzeitig über die Initiierung einer internationalen Kooperation zu informieren.

Was ist sicherheitsrelevante Forschung?

Hinweis

Die Alexander von Humboldt-Stiftung folgt bei der Definition von sicherheitsrelevanter Forschung dem Leitfaden des Gemeinsamen Ausschusses zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung der DFG und Leopoldina:  „Sicherheitsrelevante Forschung umfasst wissenschaftliche Arbeiten, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen, die von Dritten missbraucht werden können, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben zu schädigen. Diese wird als besorgniserregend bezeichnet, wenn der Missbrauch unmittelbar erfolgen kann und die möglichen Schäden erheblich sind."

Neben Technologietransfer und Proliferationsgefahr umfasst sicherheitsrelevante Forschung also auch neuartige Forschungsfelder (emerging technologies), wie z.B. die Erforschung von künstlicher Intelligenz, bei denen die technologischen und ethischen Auswirkungen schwer abschätzbar sind.  Der technology readiness level (TRL) kann hierbei als wertvolle Einschätzhilfe herangezogen werden, um reine Grundlagenforschung von technologischer Forschung abzugrenzen und unmittelbare von mittelbaren Risiken zu trennen (s. Handbuch Exportkontrolle und Academia  des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle). 

Statement des International Advisory Boards der Humboldt-Stiftung zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung (PDF, 69 KB) 

Leitlinien zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung

Der Stiftungsrat der Alexander von Humboldt-Stiftung hat in seiner Sitzung im Mai 2023 folgende Leitlinien zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung verabschiedet:

  1. Die Alexander von Humboldt-Stiftung fördert Wissenschaftler*innen unabhängig von Fachrichtung und Nationalität. Ihre Programme stehen damit grundsätzlich allen Wissenschaftler*innen unabhängig vom Herkunftsland zur Antragsstellung offen.
  2. Die Humboldt-Stiftung bietet auf ihrer Website deutschen Einrichtungen, an denen Wissenschaftler*innen aus Staaten zu Gast sind, in denen ein Missbrauch von Forschungsergebnissen zu befürchten ist, weiterführende Informationen zu dem Thema an. Gasteinrichtungen ebenso wie Geförderte stehen im Konfliktfall in herausgehobener, u.U. auch strafrechtlicher, Verantwortung.
  3. Im Falle von ethischen und sicherheitsrelevanten Bedenken behält sich die Humboldt-Stiftung vor, ihr vorgelegte Anträge an die gastgebenden Einrichtungen weiterzuleiten mit der Bitte, die Ethikkommission und das Compliance Office ihrer Einrichtung einzuschalten, bevor eine Förderentscheidung getroffen wird.

Was bedeutet das konkret?

Als international tätige Mittlerorganisation setzt sich die Humboldt-Stiftung gleichermaßen für Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung ein. Sie ist sich ihrer besonderen Verantwortung für den gewissenhaften Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung bewusst. Sie unterstützt die Aufforderung der deutschen und europäischen Wissenschaftsorganisationen, dass Forschende sich aufgrund ihrer besonderen ethischen Verantwortung nicht mit der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen begnügen dürfen. Die Stiftung zieht dabei keine “roten Linien” jenseits des rechtlich Gebotenen, weder thematisch noch institutionell, sondern lässt Förderentscheidungen von ihren Auswahlgremien für jeden einzelnen Fall basierend auf externer Fachbegutachtung treffen. Die schriftliche Dokumentation sicherheitsrelevanter Aspekte im Begutachtungsverfahren schafft dabei auch für die beteiligten deutschen Gastinstitutionen den Nachweis, sorgfältig gehandelt zu haben. Die Stiftung bezieht bei Bedarf die von Universitäten bzw. außeruniversitären Einrichtungen vor Ort etablierten Strukturen in die Begutachtung von Anträgen mit ein, z.B. die Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) oder Compliance Offices. Dieses Vier-Augen-Prinzip stellt im Rahmen der Beantragung und während der Förderung der internationalen Kooperation einen für die Humboldt-Stiftung wichtigen Aspekt in der Risikoabwägung dar.

Was bedeutet dies für die Auswahlverfahren der Alexander von Humboldt-Stiftung?

Die Humboldt-Stiftung widmet dem Aspekt der Sicherheitsrelevanz von Forschung mehr Raum in ihren Antragsverfahren, um damit nachhaltig die Eigenverantwortung der Wissenschaft im Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung zu stärken.

  • Die auf deutscher Seite beteiligten Kooperationspartner*innen, wie Gastgeber*innen und Nominierende, sollen bereits vor Antragstellung unabhängig von Herkunftsland und Fachgebiet der*des Antragstellenden die Sicherheitsrelevanz einer Forschungskooperation bedenken. Neben dem Inhalt der Forschungskooperation und der zum Einsatz kommenden Tools (Geräte, Software, Materialien etc.) sollen dabei auch die vorherigen Affiliationen der potenziellen Kooperationspartner*innen mitbedacht werden.
  • Bei der Antragsstellung sollen, falls vorhanden, die sicherheitsrelevanten Aspekte benannt und einer Chancen-Risiken-Abwägung in einer für die Wissenschaftscommunity nachvollziehbaren Form unterzogen werden. Es soll deutlich werden, ob und, wenn ja, warum der erwartete Nutzen der Kooperation deren Risiken deutlich überwiegt. Die Einbeziehung institutsinterner Organe wie z.B. der KEF während der Antragsstellung und späteren Kooperation ist dabei vorteilhaft. Besonders für Anträge ohne Begutachtungsverfahren, wie z.B. die Direktverleihungen im Henriette Herz-Scouting-Programm, wird dieses „Vier-Augen-Prinzip“ nachdrücklich empfohlen.
    Die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen muss sowohl von den Antragstellenden als auch deren potenziellen Gastgeber*innen in jedem Fall zugesichert werden.
  • Im Rahmen des Begutachtungsprozesses werden die beteiligten Personen aus der Wissenschaftscommunity (Fachgutachter*innen, Ausschussmitglieder etc.) gebeten, die Stellungnahme zur Sicherheitsrelevanz hinsichtlich der Vollständigkeit der erkannten Risiken sowie deren fachlicher Einordnung zu bewerten. Ergeben sich dabei Rückfragen werden diese in vertraulicher Form durch die Humboldt-Stiftung an die entsprechenden Personen (potenzielle Gastgeber*innen, Nominierende etc.) weitergeleitet und die Antwort nachfolgend zur erneuten Bewertung zur Verfügung gestellt.
  • Im Falle von weiterbestehenden ethischen und sicherheitsrelevanten Bedenken behält sich die Humboldt-Stiftung vor, eine Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission (KEF) anzufordern und das Compliance Büro der gastgebenden Institution einzubeziehen, falls dies nicht schon im Vorfeld von den Gasteinrichtungen selbst erfolgt ist.
  • Der Ausschuss fällt auf der Basis aller vorliegenden Informationen die Förderentscheidung in Abwägung von Forschungsfreiheit und Forschungsverantwortung für jeden einzelnen Fall. Anträge mit noch offenen Fragestellungen bzgl. der Sicherheitsrelevanz können nicht positiv entschieden werden und müssen ggf. in die nächste Sitzung verschoben werden. Die Humboldt-Stiftung behält sich vor, Anträge abzulehnen, deren Ausführungen zur Sicherheitsrelevanz nicht überzeugen.
Hinweis

Die Humboldt-Stiftung hat keinen Einfluss auf die Erteilung eines Visums durch das Auswärtige Amt.

Es muss sich zeigen, ob sich die oben dargestellte, intensivere Auseinandersetzung mit der Sicherheitsrelevanz der beantragten Forschungskooperation positiv auf die Beschleunigung der Visumserteilung auswirken kann.

Übergangsphase

 

Die oben aufgeführten Vorgehensweisen gelten mit der Veröffentlichung auf dieser Webseite. Bis zur vollständigen Anpassung der Antragsunterlagen bemüht sich die Stiftung, offene Fragen zur sicherheitsrelevanten Forschung bereits jetzt im Einzelfall zu klären. Ziel ist es, im Frühjahr 2024 alle Anpassungen abzuschließen, um Antragstellende und ihre Kooperationspartner*innen in Deutschland optimal zu unterstützen.

 

Rechtshinweis

 

Bitte beachten Sie, dass die hier enthaltenen Aussagen nicht rechtsverbindlicher Natur sind.