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Wer aus dem Ausland mit einem Stipendium der Humboldt-Stiftung nach Deutschland kommt, macht sich ein Bild von Universitäten und Forschungseinrichtungen, den Rahmenbedingungen im Alltag und lernt in unterschiedlichen Kontexten Menschen vor Ort kennen: Wie offen und tolerant begegnen die Deutschen ihren Gästen? Wie humorvoll, wie bürokratisch, wie fortschrittlich ist man hierzulande? Wie gut sind die Labore und die Bibliotheken ausgestattet? Wie steht es um Arbeitszeiten, Kinderbetreuung oder die Karrierechancen für Nachwuchsforschende?
Kontakt:
Dr. Meike Olbrecht
Leitung Referat Evaluation und Statistik
evaluation[at]avh.de
Durchführung der Studie / Aufbereitung der Daten:
Simon Grates
Referat Evaluation und Statistik
Stefan Wünsche
Referat Presse, Kommunikation und Marketing
Die Auswertung
All dies sind Fragen, die die Humboldt-Stiftung ihren Geförderten zum Abschluss ihres Stipendiums in einer Online-Befragung stellt. Im Durchschnitt verbringen Forschende und ihre Familien etwa eineinhalb Jahre in Deutschland. Die Humboldt-Stiftung hat das Feedback von mehr als 1800 Gastforschenden aus 119 Ländern ausgewertet, die von August 2018 bis Mai 2022 an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen tätig waren. Die Rückmeldungen zeigen, dass Deutschland und sein Wissenschaftssystem wie in der vorhergehenden Erhebung von 2019 sehr positiv wahrgenommen werden und auch im internationalen Vergleich überzeugen. Die bereits vor vier Jahren identifizierten Verbesserungspotenziale bleiben bestehen.
Hintergrund: Bei der Online-Befragung am Ende ihres im Durchschnitt eineinhalb Jahre dauernden Forschungsaufenthalts bewerten die Geförderten der Stiftung unterschiedliche Aspekte auf vorgegebenen Skalen und haben die Möglichkeit, freie Kommentare abzugeben. Alle Antworten wurden anonymisiert ausgewertet, die Kommentare mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse. Mehr als 94 Prozent der Geförderten nahmen an der Befragung teil. Die Ergebnisse spiegeln damit ein umfassendes und repräsentatives Bild, welches sich die Stipendiat*innen der Stiftung von Deutschland machen.
Forschungsstandort Deutschland
Als Wissenschaftsstandort bekommt Deutschland im weltweiten Vergleich ausnahmslos gute Noten. Auf einer Skala von null bis zehn gibt es Topbewertungen in puncto Infrastruktur (8,1 im Durchschnitt aller Befragten), Qualität der Forschung (8,3), Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte (8,3), Internationalität und Kinderbetreuung (beide 8,0). Die Ergebnisse unterscheiden sich stark je nach Herkunftsregion. So bewerten etwa die Geförderten aus Asien die Qualität der Forschung mit 8,6 Punkten besser als jene aus Nordamerika (7,1). Immer noch positiv, aber schwächer sind die Bewertungen zu Nachwuchsförderung und Dual-Career-Angeboten (beide 6,8), sowie zu den beruflichen Perspektiven (7,4).
Stärken und Schwächen gegenüber der Studie von 2019
Das Herkunftsland ist weiterhin ein wichtiges Kriterium in der Bewertung der Bedingungen in Deutschland. Dabei sind nur geringe Veränderungen zu verzeichnen. Geförderte aus Nordamerika bewerten jedoch Deutschland in fast allen Aspekten etwas besser als in der vorangegangenen Auswertungsrunde von 2013 bis 2018. Global bleibt die Bewertung des Gastlandes auf einem stabilen Niveau. Die beruflichen Perspektiven und allgemeinen Rahmenbedingungen in Deutschland werden sogar im Vergleich zu anderen Weltregionen besser eingeschätzt als 2019. Davon abweichend tritt bei der Bewertung der Situation von jungen Forschenden zutage, dass Nachwuchsförderung und Dual-Career-Angebote weiterhin als eher mäßig gut eingestuft werden.
Die Infrastruktur beeindruckt, aber nicht in allen Bereichen
Infrastruktur und Ausstattung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden weiterhin als sehr gut (8,1) eingeschätzt. Hingegen wird das zunehmende Fehlen von Kindergarten- und Kitaplätzen von den Gastforschenden während ihres Aufenthalts als Belastungsfaktor empfunden: „Indem wir für eine Weile als Deutsche lebten, lernten wir die Schwierigkeiten kennen, mit denen die Menschen in Berlin zunehmend zu kämpfen haben: Wir konnten fast keine Kita für unsere beiden Kinder finden“ (Niederlande, m). Insgesamt schneidet der Aspekt der Kinderbetreuung etwas schlechter ab als im letzten Auswertungszeitraum, steht aber zusammen mit anderen Work-Life-Balance-Kriterien im internationalen Vergleich weiterhin gut (8,0) da. Die Bewertung der Arbeitszeiten verbessert sich im Vergleich zum vorherigen Auswertungszeitraum leicht auf 7,7 Punkte. Zu den Themen Klima- und Ressourcenschutz wurden speziell Geförderte des Internationalen Klimaschutzstipendiums befragt. Auch hier ist eine positive Tendenz in der Wahrnehmung Deutschlands (8,6) zu verzeichnen.
Assoziationen mit Deutschland: wissenschaftsfreundlich, tolerant und sogar humorvoll
Nach ihrer Assoziation zu Deutschland auf einer Skala von minus bis plus fünf befragt, bewerten die Geförderten Deutschland als sehr wissenschaftsfreundlich (4,2 im Durchschnitt), demokratisch (3,8), geschlechtergleichberechtigt (3,2), gastfreundlich (2,8) und tolerant (2,7). In puncto Humor (1,2) und Offenheit (0,8) waren die Rückmeldungen weniger positiv. Auch sehen die Befragten Deutschland als etwas weniger fortschrittlich und gastfreundlich (beide 2,8) an als in der letzten Auswertung von 2019.
Auffallend in der Gesamtwertung ist ein negativer Trend: Deutschland wird als überwiegend bürokratisches Land gesehen (-1,3). Gegenüber der letzten Auswertung aus dem Zeitraum 2012 bis Mitte 2018 hat sich dieser Wert nochmal um 0,6 Punkte verschlechtert. Am schlechtesten schneidet Deutschland hier bei den Geförderten aus Nordamerika (-3,2) ab, während die Geförderten aus Asien die Deutschen als nicht ganz so bürokratisch (0,6) einstufen wie die Befragten aus anderen Regionen der Welt.
Länderschwerpunkt: Region nicht gleich Nation
Bei der Untersuchung einzelner Länder wird deutlich, wie heterogen die Perspektive innerhalb einer Region sein kann. Bei den europäischen Ländern bewerten Forschende aus Italien (7,6), Spanien (7,6) und Polen (7,4) die beruflichen Perspektiven in Deutschland deutlich besser als ihre skandinavischen (6,3) oder nordamerikanischen Kolleg*innen. Während die Forschenden aus den USA diesen Aspekt in Deutschland unter allen Befragten am schwächsten (5,1) beurteilen, schätzen sie im Vergleich zu ihren Kolleg*innen aus anderen Ländern die Arbeitszeiten (7,7) und Kinderbetreuungsangebote (8,1) hierzulande überdurchschnittlich. Ganz ähnlich sind die Rückmeldungen aus Schwellenländern wie China und Indien, welche ihrerseits eine gute Work-Life-Balance in Deutschland sehen. Obwohl die Antworten global nicht regionalen Clustern zuzuordnen sind, sticht eine Gruppe heraus: Die geringsten Vorteile gegenüber ihrem Herkunftsland sehen Forschende aus Skandinavien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich.
„Sometimes, very simple things turn into Kafkaesque situations”
Individuell geäußerte Kritik verdeutlicht drei Problemfelder: Sprachbarrieren, Bürokratie und Diskriminierung.
In freien Kommentaren sollten die Geförderten ihre persönlichen Erfahrungen schildern und Kritik zu den Themenschwerpunkten äußern. Von mehr als 1800 Befragten haben 1554 die Freitextfrage „Was haben Sie an Ihrem Deutschlandaufenthalt negativ wahrgenommen?“ beantwortet. Sehr häufig werden Sprachbarrieren, Bürokratie und Diskriminierung kritisiert. Insbesondere fehlende Fremdsprachenkenntnisse außerhalb des akademischen Umfeldes, werden als Problem identifiziert und erschweren notwendige Behördengänge:
Der bereits auf der Skala von minus fünf bis plus fünf einzig negative Wert der Kategorie Bürokratie sticht auch bei den Freitextantworten heraus. Die Verschlechterung von 0,6 Punkten insgesamt, bei Befragten aus Subsahara-Afrika sogar um 1,2, zeigt, dass diese Wahrnehmung gleichermaßen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer betrifft. Wenngleich die Begründungen hierfür in den Freitextantworten unterschiedlich ausfallen, verdeutlichen sie den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet:
Die Antworten im Hinblick auf Diskriminierung und Rassismus zeigen, dass sich die Gesamtzahl (6%) diesbezüglicher Kommentare gegenüber der letzten Auswertung kaum geändert hat. Befragte mit einer Staatsangehörigkeit, die der Region Subsahara-Afrika zuzurechnen ist (10,0 Prozent) sahen sich am häufigsten mit Diskriminierung oder Ausländerfeindlichkeit konfrontiert. Befragte mit einer europäischen Staatsangehörigkeit (4,0 Prozent) waren am seltensten betroffen:
Frauen erwähnten diskriminierende Aspekte mit 6,2 Prozent etwas häufiger als Männer (5,1 Prozent) und sprachen in den Freitextantworten auch gezielt geschlechterspezifische Diskriminierung an:
Positives Fazit trotz Pandemie
In den Auswertungszeitraum fiel auch die Corona-Pandemie, weshalb deren Auswirkungen in fast der Hälfte aller Freitextantworten thematisiert wurden. Auffällig ist, dass Frauen häufiger negative Erfahrungen äußerten als ihre männlichen Kollegen und auch je nach der Herkunftsregion sehr unterschiedliche Rückmeldungen gemessen wurden: Mit 51,8 Prozent äußerten sich Personen mit einer mittel- und südamerikanischen Staatsangehörigkeit am häufigsten negativ, am seltensten Personen mit einer asiatischen Staatsangehörigkeit (25 Prozent). Die Äußerungen unterscheiden sich in Intention und Qualität jedoch sehr. Eine negative Äußerung kann sich einerseits auf die Auswirkungen auf den privaten Alltag oder den Forschungsaufenthalt beziehen, andererseits auf das Pandemie-Management im Vergleich zu dem Heimatland. Einige Befragte nahmen insbesondere die „Querdenker-Bewegung negativ wahr und die Anzahl von Menschen, die sich nicht an die Corona-Regeln gehalten haben“ (Brasilien, m). Die Mehrzahl der Antworten thematisiert aber nicht die Corona-Schutzmaßnahmen oder die fehlende Einhaltung derselben, sondern die Auswirkungen auf den Forschungsalltag und die Integration in das Alltagsleben:
Obwohl in dem Fragebogen gezielt nach negativen Erfahrungen und entsprechenden Verbesserungsmöglichkeiten gefragt wird, gab es jenseits der pandemiebedingten Umstände und strukturellen Kritik auch zahlreiche positive Kommentare – nicht zuletzt zu den Forschungs- und Lebensbedingungen, aber auch der Arbeit der Stiftung.