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Freiheit gleich Exzellenz? Das war einmal.

Repressive Wissenschaftssysteme sind zu ernsthaften Konkurrenten der westlichen Forschungsnationen geworden.

  • vom 
  • Text: Marlene Halser
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Katrin Kinzelbach

Professorin Dr. Katrin Kinzelbach hat die Professur für Internationale Politik der Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne. Seit 2019 ist sie Mitglied des Auswahlausschusses für die Philipp Schwartz-Initiative der Humboldt-Stiftung.

Philipp Schwartz-Initiative

Was die weltweite Freiheit der Wissenschaft betrifft, blickt Katrin Kinzelbach mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. „Bei der Wissenschaftsfreiheit verzeichnen wir einen Rückgang“, sagt die Professorin für Internationale Politik der Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), die zu den führenden Stimmen Deutschlands in Sachen Wissenschaftsfreiheit zählt. „Gleichzeitig gibt es viel Bereitschaft, sich verstärkt für die Freiheit von Forschung und Lehre einzusetzen.“

Kinzelbach hat den Academic Freedom Index mitentwickelt, ein Messinstrument, das Forschende der FAU und des V-Dem (Varieties of Democracy) Institute der Universität Göteborg, Schweden, gemeinsam herausgeben. Der Index vergleicht die Entwicklung der akademischen Freiheit verschiedener Länder seit 1900 anhand diverser Kriterien und gilt als der umfangreichste Datensatz zur Lage der Wissenschaftsfreiheit weltweit. Bis vor einigen Jahren sei die Entwicklung positiv gewesen, sagt Kinzelbach. Doch dieser Trend sei im 21. Jahrhundert rückläufig.

„Das hat mit einer Autokratisierungswelle zu tun, die wir seit etwa zehn Jahren erleben und die für die zunehmend globalisierte Wissenschaft eine große Herausforderung ist.“ Russland ist derzeit eines der prominentesten Beispiele für eine fortschreitende Autokratisierung; Indien, die Türkei und Ungarn gelten in der Politikwissenschaft mittlerweile nicht mehr als Demokratien, aber auch in Ländern wie Brasilien, Polen und Südafrika schränken gewählte Regierungen demokratische Normen und Institutionen ein. „Freie Wissenschaft ist auf Demokratie und Rechtstaatlichkeit angewiesen“, warnt Kinzelbach.

China: Strategie dringend gesucht

Eine gänzlich neue Herausforderung für die Wissenschaftsgemeinschaft sieht Kinzelbach zudem darin, dass mittlerweile auch in autokratischen Systemen Spitzenforschung stattfindet. „Man kann sich nicht mehr bequem zurücklehnen und sagen: Dort, wo die Freiheit am größten ist, ist auch die Exzellenz am größten“, sagt die Politikwissenschaftlerin. „Wir haben es jetzt erstmals damit zu tun, dass repressive Wissenschaftssysteme, insbesondere in China, zu ernsthaften Konkurrenten werden.“

„Auf der individuellen Ebene der Forschenden haben wir wirklich gute Antworten auf Repression gefunden“, sagt Kinzelbach und verweist auf Programme wie die Philipp Schwartz-Initiative der Humboldt-Stiftung für gefährdete Forschende. Kinzelbach ist dem Programm als Mitglied im Auswahlausschuss eng verbunden.

Mangelnde Freiheit schränkt die Selbstregulierungskräfte der Forschung ein.
Katrin Kinzelbach, Professorin für Internationale Politik der Menschenrechte

„Strukturell und institutionell betrachtet sind aber noch viele Fragen offen“, sagt sie. Wie können Partnerschaften mit Universitäten aussehen, deren Forschung durch enge politische Vorgaben gesteuert wird? Das größte Problem bestehe selbstverständlich immer für die Forschenden und Studierenden vor Ort, betont Kinzelbach. Aber mangelnde Wissenschaftsfreiheit schränke global betrachtet auch die Selbstregulierungskräfte der Forschung ein – dann etwa, wenn technischer Fortschritt und ethische Fragen aufeinanderprallten wie beim Thema Gentechnik oder der Sammlung sensibler Daten. „Das auszutarieren ist in einem Kontext, in dem sich nicht alle Wissenschaftsdisziplinen frei am Wissensprozess beteiligen können, natürlich sehr viel schwieriger“, sagt Kinzelbach.

„Für mich lautet die Antwort auch weiterhin: Vernetzung und Austausch durch individuelle Kontakte. Allerdings wäre ich bei institutionellen Kooperationen mit Autokratien deutlich vorsichtiger, denn hier ist das Instrumentalisierungsrisiko erheblich“, sagt Kinzelbach. „Außerdem würde ich mir wünschen, dass wir noch viel stärker in Länder gehen, in denen die Exzellenz nach einschlägigen Rankings bisher nicht ausgeprägt ist“, sagt sie. „Das bedeutet, dass wir Forschung auch mit gesellschaftlicher Verantwortung und der Idee von Teilhabe verknüpfen – und die Exzellenz derer anerkennen, die unter schwierigen Bedingungen Wissenschaft betreiben.“

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