Pressemitteilung

Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zum Entwurf der EU-Kommission zur Novellierung der Richtlinie über die „Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors“ („Re-Use of Public Sector Information, PSI-Richtlinie“)

  • vom
  • Nr. 22/2018

Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützt wissenschaftsgeleitete Verfahren und Maßnahmen, um wissenschaftliche Publikationen und Forschungsdaten für die breitere Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Mit großem Engagement sind hierfür von der Wissenschaft getragene Initiativen und Prozesse etabliert worden, damit ein wissenschaftsadäquater Austausch von Forschungsergebnissen gelingt, der nicht zuletzt auch der Gesellschaft zugutekommt. Eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten im Rahmen nationaler Strategien für die Zugänglichmachung von öffentlich finanzierten und veröffentlichten Informationen zu sorgen, wie sie in Art. 10 des Vorschlags der EU-Kommission, zur Novellierung der PSI-Richtlinie vorgesehen ist, sollte daher nicht im Widerspruch zu den wissenschaftsgeleiteten Verfahren und Maßnahmen stehen.1

Die Europäische Kommission veröffentlichte am 25. April 2018 einen Entwurf zur Novellierung der Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie).2 Diese wurde zuletzt im Jahr 2013 novelliert, wobei der Anwendungsbereich auf öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive ausgeweitet wurde.3

Die PSI-Richtlinie verfolgt im Wesentlichen das wirtschaftspolitisch motivierte Anliegen, privaten Unternehmen Informationen, die bei öffentlichen Stellen wie Ämtern, Behörden oder Bibliotheken vorliegen, kostengünstig oder kostenfrei elektronisch zur Verfügung zu stellen, um damit Wirtschaftswachstum anzuregen und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Mit der nun lancierten Novellierung soll der Geltungsbereich der PSI-Richtlinie so ausgeweitet werden, dass die Richtlinie auch bereits öffentlich zugängliche Forschungsdaten, die aus öffentlich geförderter Forschung stammen, erfasst.

Vor diesem Hintergrund weist die Allianz der Wissenschaftsorganisationen nachdrücklich daraufhin, dass die im Entwurf zur Novellierung der PSI-Richtlinie vorgeschlagenen Änderungen nicht zu neuen Publizitätspflichten für die Wissenschaft führen dürf

Erläuterungen

Forschungsdaten, die bereits öffentlich zugänglich sind, sollen künftig für eine gewerbliche bzw. nichtgewerbliche Weiterverwendung verfügbar gemacht werden, insoweit der Gesetzgeber keine expliziten Ausnahmeregelungen bestimmt. Nach Ansicht der Allianz der Wissenschaftsorganisationen würde eine Umsetzung dieses Vorschlags erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Wissenschaft als auch auf die Mitgliedsstaaten haben. Daher sollte eine Folgenabschätzung auf Grundlage der Erfahrungen der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive erfolgen. Die Novellierung der PSI-Richtlinie nach dem vorliegenden Entwurf würde die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, eine verbindliche Open-Science-Strategie zu erarbeiten und deren Umsetzung zur Aufgabe auch der nationalen Forschungs- und Forschungsförderorganisationen zu machen.

In der Praxis können die tendenziell weitreichenden, im Entwurf nicht genau bestimmten Pflichten zur Folge haben, dass die für die angestrebten Öffnungsprozesse unerlässliche Kooperationsbereitschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beeinflusst wird. Weiterhin könnten für die öffentlich finanzierte Forschung erhebliche Mehrkosten entstehen, während der erhoffte wirtschaftliche Nutzen gering bleibt. Hier sind folgende Aspekte zu nennen:

  1. Die in Art. 10 Abs. 2 vorgesehene generelle Verpflichtung, die gewerbliche bzw. nichtgewerbliche Weiterverwendbarkeit von öffentlich zugänglichen Forschungsdaten auch für Dritte zu ermöglichen, wirft eine Vielzahl bislang weder rechtlich, sachlich noch finanziell gelöster Fragen und Probleme auf. Es beginnt bereits damit, dass zunächst die große Zahl unterschiedlicher Förderbedingungen öffentlicher Geldgeber EU-weit diesbezüglich harmonisiert und angepasst werden müsste um die Zuwendungsempfänger entsprechend zu verpflichten.
  2. Damit eine gewerbliche und nichtgewerbliche Weiterverwendung von Forschungsdaten im Hinblick auf damit stets verbundene Fragen des geistigen Eigentums keine Probleme aufwirft, bedürfte es bereits im Vorfeld ihrer Veröffentlichung stets einer zeit- und kostenintensiven rechtlichen Prüfung, ob die betreffenden Forschungsdaten überhaupt in dieser Weise Dritten zugänglich gemacht werden dürfen. Die in Europa nur teilweise harmonisierten Regelungen zum geistigen Eigentum (z.B. im Urheber- oder Patentrecht) würden darüber hinaus insoweit zu unterschiedlichen Standards führen. Schwierig dürfte sich in diesem Kontext auch der Umgang mit nicht schutzrechtsfähigem geistigen Eigentum gestalten. Zu klären wären im Einzelfall darüber hinaus evtl. Fragen des Datenschutzes. Auch könnte eine solche Verpflichtung in Deutschland in einem Spannungsverhältnis zur grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit stehen.
  3. Eine tatsächliche Weiterverwertbarkeit inner- und außerhalb der Forschung kann nicht allein durch Lizensierung ermöglicht werden. Vielmehr bedürfte es grundsätzlich einer umfangreichen und kostenträchtigen Kuratierung sämtlicher zur Veröffentlichung vorgesehener Daten, für die in dieser Breite derzeit weder ausreichende Finanzmittel noch hinreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen.
  4. Eine Kuratierung von Forschungsdaten ist nur durch die Wissenschaft selbst möglich, die sich aktuell intensiv über Regularien zum Umgang mit öffentlich geförderten Forschungsdaten verständigt. Diese Ansätze müssen sowohl den Besonderheiten der unterschiedlichen Forschungsgebiete, als auch den Spezifika der dort erzeugten oder verarbeiteten Forschungsdaten adäquat Rechnung tragen. Ein europarechtlich gesetzlich indizierter Zwang zur Publizität und zur gewerblichen und nichtgewerblichen Weiterverwendung von öffentlich finanzierten Forschungsdaten sowie zu bestimmten Publizitätsformaten würde diese derzeit rein wissenschaftsgeleiteten Aktivitäten zur offenen Bereitstellung und Nutzbarmachung von Publikationen und Daten – zum Beispiel beim Aufbau der Nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur – wegen der o.g. Vielzahl damit verbundener Rechts- und Finanzprobleme konterkarieren. Erfolgreiche Regularien sollten daher in einem ersten Schritt ohne nennenswerte rechtliche und finanzielle Implikationen aus der Selbstorganisation wissenschaftlicher Fachgemeinschaften resultieren.

Generell wird der erhoffte gesamtwirtschaftliche Nutzen der PSI-Richtlinie maßgeblich davon abhängen, inwiefern eine Nachnutzung von Forschungsdaten möglich sein wird, ohne dass erhebliche Zusatzkosten für die öffentlich finanzierte Wissenschaft als Produzentin der Daten entstehen.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Zusammenschluss der bedeutendsten Wissenschaftsorganisationen in Deutschland. Sie nimmt regelmäßig Stellung zu wichtigen Fragen der Wissenschaftspolitik. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist Mitglied der Allianz und hat für 2018 die Federführung übernommen. Weitere Mitglieder sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat.

Kontakt:
Dr. Anke Soemer
Fraunhofer-Gesellschaft
Abteilung Wissenschaftspolitik
Hansastraße 27c
80686 München
Tel.: +49 89 1205-1604
anke.soemer(at)zv.fraunhofer.de
www.fraunhofer.de
 

Anlage (PDF)
 


1 Dazu soll die bisher gültige Ausnahmeregelung der Richtlinie für die Wissenschaft gestrichen werden.
2 https://eur‐lex.europa.eu/legal‐content/en/ALL/?uri=CELEX:32003L0098
3 https://eur‐lex.europa.eu/legal‐content/FR/ALL/?uri=CELEX:32013L0037

Die Alexander von Humboldt-Stiftung

Jährlich ermöglicht die Humboldt-Stiftung über 2.000 Forschern aus aller Welt einen wissenschaftlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Stiftung pflegt ein Netzwerk von weltweit mehr als 29.000 Humboldtianern aller Fachgebiete in über 140 Ländern – unter ihnen 55 Nobelpreisträger.

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