Forschung hautnah

Unter Strom

Eine wissenschaftliche Karriere war für jemanden wie ihn im Apartheidstaat nicht vorgesehen. Doch Wilfred Fritz setzte sich durch gegen Rassenschranken und Vorbehalte und durfte als einer der ersten Nicht-Weißen an der südafrikanischen Universität Stellenbosch studieren. Heute könnte er mit seiner Forschung helfen, die Energieversorgung in seiner Heimat zu revolutionieren.

  • vom 
  • Text: Lilo Berg
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Dr. Wilfred Leslie Owen Fritz kam am 6. Dezember 1962 in Kapstadt, Südafrika, zur Welt. Mitten in der Apartheid, im Jahr 1981, wurde er als einer der ersten Nicht-Weißen an der Universität Stellenbosch zugelassen. Er schloss sein Studium der Elektrotechnik 1987 mit dem Bachelor ab.

Nach langjähriger Berufstätigkeit nahm Fritz 2001 seine akademische Karriere wieder auf – an der Cape Peninsula University of Technology (CPUT) in Kapstadt. Nach zwei Masterabschlüssen auf dem Gebiet der Elektrotechnik wurde er 2011 in diesem Fach promoviert und ist heute Associate Professor an der CPUT.

Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt Wilfred Fritz 2012 einen Young Researcher Award des African-German Network of Excellence in Science (AGNES), das mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung initiiert wurde, um Forschungskooperationen und den wissenschaftlichen Austausch zwischen Afrika und Deutsch- land zu stärken. Als AGNES-Preisträger wurde Fritz 2014 zum Humboldt-Kolloquium in Nairobi eingeladen und bewarb sich anschließend erfolgreich um ein Stipendium im Rahmen des Georg Forster-Programms. Seit Anfang 2017 forscht Wilfred Fritz als Georg Forster-Stipendiat am Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik an der Universität Stuttgart.

Simuliertes Stromnetz: Im Stuttgarter Hochspannungslabor testet Fritz seine Modelle.

Stellenbosch, im Sommer 1981: Hunderte von Erstsemesterstudenten strömen auf den Campus der renommierten südafrikanischen Universität östlich von Kapstadt. In der ingenieurwissenschaftlichen Fakultät haben die Erstsemester gerade Platz genommen, als ein junger Mann den Raum betritt. „Alle starrten mich an, es gab feindselige Blicke und aufgeregtes Getuschel“, erinnert sich Wilfred Fritz viele Jahre später. Der damals 18-Jährige musste allein sitzen – keiner seiner Kommilitonen wollte ihm nahe sein. Bis zur Abschlussprüfung im Jahr 1987 sollte sich daran nicht viel ändern. Fritz gehört zu den sogenannten Coloureds, den Farbigen, deren Vorfahren europäische Einwanderer, afrikanische Einheimische und asiatische Sklaven sind.

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Es waren die Jahre der Apartheid in Südafrika, und wie selbstverständlich rückten die Erstsemester aus der weißen Oberschicht von Landsleuten dunklerer Hautfarbe ab – nicht nur an der Universität, auch im Bus, in der Kirche oder im Sportstadion. „Sobald es dunkel wurde, durften wir uns überhaupt nicht mehr in den Wohngebieten der Weißen blicken lassen“, entsinnt sich Wilfred Fritz.

Die Coloureds rangierten in der Apartheidhierarchie hinter den Weißen auf Platz zwei. Sie hatten mehr Rechte als die Gruppe der Inder und weitaus mehr Privilegien als die schwarze Bevölkerungsmehrheit. „Dieses Rassensystem wurde allen Südafrikanern von klein auf eingetrichtert, und es ist bis heute in den Köpfen“, sagt Wilfred Fritz.

Wilfred Fritz mit Kindern, deren Elternhaus er mit seinen Studenten ans Stromnetz anschloss

Ihm gelang es schon früh, die engen Grenzen seiner Herkunft zu überwinden. 1962 in Kapstadt geboren, wuchs er als Sohn eines Krankenpflegers und einer Haushaltshelferin in einer Siedlung für Coloureds auf. Die Mutter war Analphabetin. Für die Kinder war der Schulbesuch keineswegs verpflichtend, und viele Nachbarn nahmen ihre Sprösslinge früh aus dem Unterricht, damit sie arbeiteten. Doch das Ehepaar Fritz schickte seine drei Söhne Tag für Tag in die Schule – bis zur Abschlussprüfung.

Wilfred war besonders talentiert, tüchtig und vom Glück begünstigt. Just als er die Schule mit Bestnoten verlassen hatte, öffnete die Regierung einige den Weißen vorbehaltene Universitäten erstmals für eine kleine Zahl von Coloureds. Der junge Mann bewarb sich in Stellenbosch und wurde angenommen. Es folgten harte Jahre: um fünf Uhr morgens aus dem Bett, zwei Stunden Fahrt zum Campus, abends die gleiche Strecke zurück und dazu ein immenses Lernpensum im gewählten Studienfach Elektrotechnik. „Von Differenzial- und Integralrechnung hatte ich anders als meine weißen Mitstudenten in der Schule nie etwas gehört“, erinnert sich Fritz. Er kämpfte sich durch und schon nach einem Jahr gehörte er zu den Besten im Mathematikkurs.

Kein Geld, kein Studium

Doch plötzlich hätte alles zu Ende sein können: Die Eltern besaßen nicht genug Geld, um die Semestergebühren vollständig zu bezahlen – ihrem Sohn drohte der Hochschulverweis. Da ließ sich Christo Viljoen, damals Dekan der ingenieurwissenschaftlichen Fakultät, die Noten seines Studenten geben. Beeindruckt von dessen Leistungen sorgte Viljoen umgehend für ein Darlehen, das bis zum Abschluss des Bachelors reichte. „Wenn ich nur einen Menschen weißer Abstammung aus meiner Jugendzeit wiedersehen dürfte, dann sollte er es sein – ich habe ihm so viel zu verdanken“, sagt Wilfred Fritz mit sanfter Stimme und blickt aus dem Fenster seines Büros an der Universität Stuttgart.

Wilfred Fritz bei Exkursionen mit seinen weißen Kommilitonen

Dort, am Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik, sitzt der inzwischen 55-jährige Elektroingenieur vor einem überdimensional großen Plan voller Linien, Symbole und Zahlen. „Das ist das Stromnetz von Beaufort West, einer kleinen Stadt 400 Kilometer nördlich von Kapstadt“, erläutert Fritz. An der Modellgemeinde will er zeigen, welchen Einfluss die Einspeisung regenerativer Energien auf das Netz hat und welche Maßnahmen notwendig sind, um eine stabile Stromversorgung zu sichern. Gefördert durch ein Georg Forster-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung kann er gut zwei Jahre an Lösungen tüfteln und seine Computersimulationen im institutseigenen Hochspannungslabor in kleinem Maßstab erproben.

Die Forschungsergebnisse könnten die künftige Energieversorgung Südafrikas entscheidend beeinflussen. Noch setzt die Regierung hauptsächlich auf die klimaschädliche Verstromung einheimischer Kohle. Derzeit werde auch ernsthaft über den Bau neuer Atomkraftwerke nachgedacht, berichtet Wilfred Fritz. Dabei eignet sich das sonnenverwöhnte Land hervorragend für die Produktion von Solarenergie, und an den Küsten ließe sich viel Windkraft nutzen. Bis 2030, so schätzt der Ingenieur, könne der Stromanteil aus erneuerbaren Quellen von derzeit vier Prozent realistisch auf rund zehn Prozent gesteigert werden. Vorher müsse man jedoch Probleme mit der Versorgungsqualität in den Griff bekommen, die durch die Einspeisung von Sonnen- und Windenergie ins Stromnetz entstehen können.

Passende Computermodelle entwickelt an der Universität Stuttgart die Forschungsgruppe um Krzysztof Rudion, dem Mentor von Wilfred Fritz während seines Forschungsaufenthalts in Stuttgart. „Mit diesen Modellen kann ich hier arbeiten“, sagt Fritz, „und ich hoffe, mein Land bald mit nützlichen Ergebnissen voranbringen zu können.“ Es sei geplant, die Kooperation mit dem Stuttgarter Team auch nach seiner Rückkehr nach Südafrika fortzusetzen. Entsprechende Projekte habe man bereits im Blick.

Ein Forscher im Elfenbeinturm war Wilfred Fritz nie – er hätte sich das auch gar nicht leisten können. Nach der Abschlussprüfung in Stellenbosch, die mit ihm vier der zehn Coloured-Pioniere meisterten, musste er erst einmal Geld verdienen. Gerade hatte er geheiratet und das erste von fünf Kindern war unterwegs. Und so heuerte Wilfred Fritz 1989, im Jahr der Freilassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis, bei der südafrikanischen Niederlassung von Siemens an. „Meine Chefs schickten mich in eine Mine in Johannesburg“, berichtet er. „Sofort kam ein junger weißer Vorarbeiter auf mich zu und drohte mir Prügel an, falls ich seine Geräte berühren würde.“ Die Chefs entschuldigten sich für das Verhalten, doch bald darauf kündigte Fritz und wechselte zu den Stadtwerken in Kapstadt.

Wilfred Fritz bei Exkursionen mit seinen weißen Kommilitonen

Gut zehn Jahre arbeitete er dort. Im Jahr 2001, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Abschluss in Stellenbosch, nahm er seine akademische Laufbahn wieder auf. An der Cape Peninsula University of Technology, kurz CPUT, erwarb er binnen weniger Jahre zwei Masterabschlüsse und einen Doktorgrad. Im gleichen Zeitraum studierten auch vier seiner Kinder. Zwei von ihnen ebenfalls an der CPUT, die beiden anderen graduierten in Stellenbosch, der ehemals weißen Universität, die nun allen Bevölkerungsgruppen offensteht.

Um die vier Töchter und den Sohn zu unterstützen, gab Wilfred Fritz parallel zu Masterstudium und Doktorarbeit Kurse an der Hochschule. Im praktischen Teil der Kurse schloss er mit seinen Studenten viele Familienwohnungen in den Townships ans Stromnetz an. Darüber hinaus leitete er den akademischen Nachwuchs bei der Entwicklung energiesparender Geräte an. Auf diese Weise entstand zum Beispiel ein Solarkocher, der sich automatisch dem Sonnenstand anpasst und nicht mehr von Hand nachjustiert werden muss. Die nützliche Erfindung wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa 2015 mit dem ersten Preis im internationalen Technologie- und Bildungswettbewerb xplore sowie einem Finalplatz beim Africa Prize 2017.

Kämpfen muss er noch heute

Wilfred Fritz ist inzwischen Professor an seiner Hochschule, der CPUT. Auf dem Weg dorthin hat er enorme Hindernisse überwunden und viele Demütigungen ertragen. Wie hat er geschafft, was vielen in seiner Umgebung nicht gelang? Woher kommt die Kraft? Wilfred Fritz verweist auf eine sehr glückliche Kindheit, die Jahre bei den Pfadfindern, die bildungsbeflissenen Eltern und hilfreichen Mentoren und sagt dann: „Ich bin eben kein unterwürfiger Coloured, und niemals werde ich rassistische Weiße über mich triumphieren lassen.“

Kämpfen muss er bis heute. Zwar werde die CPUT inzwischen, so wie die meisten anderen südafrikanischen Hochschulen auch, von Managern schwarzer Hautfarbe geleitet. Doch die mächtige mittlere Verwaltungsebene sei fest in weißer Hand, berichtet Wilfred Fritz. Sie betreibe eine versteckte Apartheid und schikaniere Angehörige anderer Hautfarben systematisch: „Da werden von Nicht- Weißen eingeworbene Fördergelder zurückgehalten oder für sie wichtige Forschungsreisen nicht genehmigt.“ In solchen Fällen sucht der selbstbewusste Wissenschaftler den Beistand des südafrikanischen Ingenieurrats. Oder er wendet sich direkt an die Hochschulleitung: Nur durch deren Intervention wurde sein Forschungsaufenthalt in Stuttgart genehmigt.

In Deutschland fühlt Wilfred Fritz sich frei: „Hier werde ich nicht nach meiner Hautfarbe beurteilt, sondern nach meiner Leistung und meinem Verhalten.“ Er wohnt in einem Apartment in der Stuttgarter City, trainiert dreimal wöchentlich für Halbmarathon-Wettbewerbe und spielt mit Kollegen Tennis. An manche Besonderheiten des Gastlandes hat er sich inzwischen gewöhnt: „Man äußert seine Wünsche meist unverblümt, und Besprechungen fangen nicht ein wenig später an, sondern sehr pünktlich.“ In Deutschland stünden die Rechte des Individuums im Vordergrund, in seiner Kultur hingegen gehe es zuerst um die Interessen der eigenen Gruppe.

Während der Apartheid war das durchaus von Vorteil. Für das Zusammenwachsen der südafrikanischen Gesellschaft ist der Gruppenegoismus jedoch hinderlich. „Wir werden noch mindestens zwei Generationen brauchen, um das alte Denken hinter uns zu lassen“, prognostiziert Wilfred Fritz. In seinem eigenen Leben hat er schon mal damit angefangen.

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