Nachgefragt

Wer sagt dem Schwarm, wo es langgeht, Herr Jolles?

Tierschwärme faszinieren Menschen seit Langem. Wie koordinieren sie ihr Verhalten; wer führt, wer folgt? Das untersucht Jolle Jolles an Stichlingen, einem auf der Nordhalbkugel weit verbreiteten Süß- und Salzwasserfisch.

  • Von Jeannette Goddar
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Dr. Jolle Jolles von der University of Cambridge, Vereinigtes Königreich, ist Humboldt-Forschungsstipendiat an der Universität Konstanz und dem Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell.

Foto von Jolle Jolles
Jolle Jolles

Zunächst erforschte der niederländische Biologe, wie mutig oder schüchtern seine Laborfische sind: Er beobachtete, wie weit und wie lange sie sich zur Futtersuche aus dem Schutz von Unterwasserpflanzen herausbewegen und wie sie auf ihre jeweilige Begleitung reagieren. Jolles stellte fest: Stichlinge sind nicht nur unterschiedlich wagemutig, sondern auch unterschiedlich gesellig. Während die einen gern dicht bei ihren Artgenossen leben, bleiben andere lieber auf Abstand. Dabei halten Gruppen, in denen die Mehrheit gern dicht beieinander lebt, besser zusammen – jene mit überwiegend ungeselligen Mitgliedern bewegen sich dagegen schneller voran.

Heute fügt Jolles seine Stichlinge zu immer neuen Schwärmen zusammen. „Setzt man eine Gruppe neu zusammen, sortieren sich die einzelnen Tiere sogleich so, wie es den jeweiligen Individuen entspricht“, erklärt er. „Das scheinbar komplexe Schwarmverhalten lässt sich also schlicht aus den Persönlichkeiten erklären.“ Dafür müssen die Fische nicht einmal wissen, welche Eigenschaften die anderen Schwarmmitglieder haben. Fische, die sich langsamer bewegen und gerne in der Nähe anderer Fische sind, orientieren sich zur Mitte. Die weniger kontaktfreudigen, schnelleren und mutigeren Fische streben dagegen nach vorne. Entsprechend wahrscheinlicher ist es auch, dass sie die Rolle der Anführer eines Schwarms übernehmen.

 

aus Humboldt Kosmos 109/2018

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