Meinung

Bloß keine Monokultur

Im deutschen Wissenschaftssystem sind die Chancen nicht gerecht verteilt. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

  • vom 
  • von  Jan-Martin Wiarda
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Jan-Martin Wiarda
Jan-Martin Wiarda ist Journalist, Politikwissenschaftler und Volkswirt. Er war Redakteur der überregionalen Wochenzeitung DIE ZEIT, danach Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft. Seit 2015 ist er freier Autor, Journalist und Moderator.

Da passiert gerade etwas in der deutschen Wissenschaft. „Diversität und Exzellenz, die Begriffe sind für mich untrennbar“, sagte die neue Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Katja Becker Anfang 2020. Und sie sagte es nicht irgendwie nebenbei, es gehörte zu ihren zentralen Botschaften nach ihrem Amtsantritt. In der Natur, sagte Becker, sei das genauso: „Der Regenwald entwickelt sich dynamischer als die landwirtschaftliche Monokultur.“ Je mehr Dimensionen der Diversität in der Wissenschaft zusammenkämen – bei den Wissenschaftler*innen selbst, aber auch bei Förderformaten, Themen oder internationalen Kooperationen – „desto mehr spannende neue Kombinationen und Forschungsergebnisse wird es geben“.

Die DFG ist die größte Förderorganisation der deutschen Forschung. Sie segelt selten ganz vorn, doch wenn es um Standards und wissenschaftliche Verfahren geht, folgen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen meist ihrem Kurs. Womit klar ist: Wenn eine DFG-Präsidentin solche Ansagen macht, sind das mehr als Sonntagsreden. Das wird Konsequenzen haben.

Noch ein Beispiel. Die gerade aus den USA zurückgekehrte neue Rektorin der Technischen Universität Dresden, Ursula Staudinger, hat ebenfalls sofort, als sie im Amt war, klargemacht: Diversität und Inklusion in all ihren Facetten gelte es „nicht nur irgendwie zu tolerieren, sondern zu nutzen für die Weiterentwicklung unserer Universität“. Die großen Sprünge in der Wissenschaft entstünden vor allem an den Grenzen und Übergängen, „zwischen den Disziplinen, den fachlichen Perspektiven und zwischen den unterschiedlichen Menschen, die sie einbringen und sich gegenseitig zuhören“. Und dann zog auch Staudinger den Vergleich zur Natur oder genauer zur Landwirtschaft: „Wenn Sie eine Monokultur betreiben, geht die Produktivität zurück.“

Zwei neue Chefinnen an der Spitze führender deutscher Wissenschaftseinrichtungen, die eine beim größten Forschungsförderer, die andere bei der einzigen ostdeutschen Exzellenzuniversität außerhalb Berlins. Zwei Einrichtungen, die für herausragende Wissenschaften stehen, und beide sagen: So, wie wir es bislang gemacht haben in Deutschland, reicht es nicht mehr. Das ist bemerkenswert.


Dass beiden als Gegenstück zu ihrem Ideal die Monokultur einfällt, ist ebenfalls kein Zufall. Wer aus diverseren Wissenschaftssystemen wie dem amerikanischen aufs deutsche schaut mit seinen Professor*innen, von denen nicht einmal zehn Prozent einen ausländischen Pass haben, von denen drei Viertel Männer sind, die mehrheitlich Akademikerhaushalten entstammen und kaum einer aus einer Einwandererfamilie, wer sich dieses System von außen anschaut, wundert sich, warum das eigentlich so lange so mittelmäßig gut gegangen ist mit der deutschen Hochschullandschaft. Und weiß aber auch: So stark, wie sich die Gesellschaften und Wissenschaftssysteme um Deutschland herum wandeln, wird das nicht mehr lange reichen.

Viel Reden, wenig Handeln

Auch lässt sich es sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele zwar von Vielfalt reden und sie beschwören, aber dass sie, wenn es um Berufungsverfahren geht, um das Aufsetzen neuer Förderlinien oder Forschungsprojekte, manchmal gar nicht und fast nie strategisch-systematisch danach handeln. Vielleicht haben sie nur gelernt, das vermeintlich Richtige zu sagen, sind in Wirklichkeit aber doch nicht so überzeugt davon, dass mehr Diversität die Wissenschaft nicht nur moralisch, sondern auch qualitativ zu einer besseren macht?

Tatsächlich muss man unter den Professor*innen dieser Republik nicht lange nach Stimmen suchen, die Diversität für ein Anhängsel der Sozialpolitik halten: nett gemeint, aber im Großen und Ganzen mit negativen Konsequenzen für die Forschungsqualität. Exzellenz, sagen sie, entstehe allein durch harte, wettbewerbsorientierte Wissenschaft – nicht durch das Denken in Nachteilsausgleich und Sonderförderprogrammen.

Gern verweisen sie darauf, dass es kaum wissenschaftliche Studien gebe, die den unbedingten Mehrwert von Diversität für die Produktivität in der Wissenschaft belegten. Dem würde übrigens wohl auch die Dresdner TU-Rektorin Staudinger kaum widersprechen. Es gebe zwar Studien, vor allem in der Unternehmens- und Organisationsforschung, doch die zeigten vor allem, dass Diversität kein Selbstläufer sei. „Es reicht nicht, Junge und Alte, Männer und Frauen nebeneinander an einen Tisch zu setzen, vielleicht noch eine Alibi-Ausländerin dazu, und dann kommen die kreativen Ideen von selbst. Ob in Unternehmen oder in einer Universität: Dazu braucht es eine Organisationskultur, die wertschätzend ist und Innovationen fördert.“

Wartet nicht erst auf Studien

Eine solche Kultur wird es indes sicher nicht geben, wenn ich es gar nicht erst für möglich halte, dass Vielfalt für akademische Institutionen mehr sein kann als eine Bereicherung auf der menschlichen Ebene. Auch scheint mir die Erwartungshaltung, Studien müssten erstmal und vor allem auch für Deutschland beweisen, dass Diversität zu mehr Exzellenz führe, irgendwie schief zu sein: Gibt es denn umgekehrt ernstzunehmende wissenschaftliche Studien, denen zufolge weiße Männer unter vergleichbaren Karrierevoraussetzungen und ohne das tradierte gesellschaftliche Bias zu ihren Gunsten nachweislich die besseren Wissenschaftler sind?

Ja, dass Diversität Wissenschaft besser macht, ist auch eine normative Aussage. Doch das gegenwärtige chancenungerechte Wissenschaftssystem ist ebenfalls hoch normativ geprägt. Es verhindert viele Aspirationen und Entfaltungsmöglichkeiten, es erschwert neue Ansätze und ungewöhnliche Ideen.

Vielleicht braucht es gar nicht die Erkenntnis, dass sich praktisch alle weltweit führenden Universitäten in Ländern befinden, die Diversität zu einem Kernprinzip der Wissenschaft erhoben haben. Vielleicht reichen ein Stück gesunder Menschenverstand und persönliche Erfahrung, um zu begreifen: Erkenntnis und Fortschritt entstehen immer und überall aus produktiven Gegensätzen und intellektueller Spannung.

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