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„Wir können nicht einfach sagen, die Welt ist halt so!“

Exzellenz und Diversität sind kein Gegensatz, meint Hans-Christian Pape. Ein Gespräch über die Kraft der positiven Anreize und die Vielfalt im Humboldt-Netzwerk.

  • vom 
  • Interview: Georg Scholl
Hans-Christian Pape
Professor Dr. Hans-Christian Pape ist Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und leitet das Institut für Neurophysiologie der Universität Münster.

KOSMOS: Herr Pape, Diversität ist ein zentraler Punkt der Stiftungsstrategie. Weshalb ist Ihnen das Thema wichtig?
HANS-CHRISTIAN PAPE:
Diversität ist ein zentrales Merkmal unseres wissenschaftlichen Netzwerks. Sie steckt in unserer DNA. Wir fördern Wissenschaftler*innen aus über 140 Ländern dieser Erde, egal ob aus den USA, Indien, Kamerun oder Peru. Wir fördern Quantenphysiker und Molekularbiologinnen genauso wie Religionswissenschaftlerinnen und Soziologen, Praktiker*innen genauso wie Theoretiker*innen und Vertreter*innen verschiedener Denkschulen oder Ansätze. Wir investieren in zukunftsträchtige Fächer wie KI und in lebenswichtige Anwendungen zum Beispiel in der Medizin. Mit der gleichen Begeisterung fördern wir bewusst auch Grundlagenforschung. Denn wir sind davon überzeugt, dass jede wissenschaftliche Erkenntnis zur Entwicklung der Gesellschaft beiträgt. Nicht zuletzt profitiert auch die wissenschaftliche Dynamik vom Spannungsfeld der in ihren Diskursen vermittelten Wertekomplexe von Wahrheit und Nützlichkeit und damit von der Diversität ihrer Protagonisten*innen. Diese Diversität und diese Dynamik sind Qualitätsmerkmale der Stiftung. Ohne sie wären wir nicht nur weniger gut, sondern wir würden unsere Mission verfehlen.

Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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Inwiefern?
Es geht um die Vielfalt der Ideen und Perspektiven, die Vielfalt der Prägungen und Horizonte. In der Wirtschaft ist die Korrelation zwischen Diversität und Geschäftserfolg gut belegt. Unternehmen mit einem hohen Grad an Diversität quer durch alle hierarchischen Ebenen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich profitabel. Gleiches dürfte für die Wissenschaft zutreffen, deren Erfolg im Besonderen von der Kreativität und Vielfalt ihrer Träger*innen bestimmt wird. Ein anderer, mir wichtiger Aspekt hat mit Gerechtigkeit zu tun. Und dabei geht es nicht nur um die Anteile von Männern, Frauen und diversen Menschen. Hierauf mag in Deutschland aktuell ein – wichtiger – Fokus liegen. Ich spreche aber auch von Alt und Jung. Oder von Menschen mit Handicap und von Menschen, die soziale Ungleichheiten überwinden müssen. Wenn wir uns in unserem internationalen Netzwerk umhören, dann meint Diversität von Land zu Land ganz verschiedene Dinge. Wir sollten Diversität als umfassende Vielfalt denken und uns davon leiten lassen. Und hier wollen wir noch besser werden.

Eine internationale Gruppe von Humboldt-Stipendiat*innen nimmt ein Gruppenselfie auf einer Veranstaltung der Stiftung auf.
DIVERSITÄT ist ein zentrales Merkmal des Humboldt-Netzwerks.

Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?
In unseren Preisprogrammen beispielsweise sind Frauen unterrepräsentiert. Auch Forscherinnen aus Ländern außerhalb von Europa und Nordamerika finden sich etwa bei der Humboldt-Professur, Deutschlands höchstdotiertem Forschungspreis, kaum. Man kann nun natürlich sagen, wir bilden mit unserem Netzwerk ab, wie die Repräsentanz bestimmter Gruppen in der Forschung bedauerlicherweise generell ist. Wir alle kennen die „gläserne Decke“, die für viele Frauen das Ende ihrer wissenschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten bedeutet. Wir sind auch besorgt, wenn wir von Umfragen lesen, wonach 30 Prozent von 1 000 befragten im Vereinigten Königreich forschenden Naturwissenschaftler*innen, die Minderheiten in sexueller Orientierung oder Identität angehören, schon Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz erlebt haben. Diversität in der Wissenschaft bedeutet die Wertschätzung und Einbindung aller Gruppen – ganz unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, sexuellen Orientierung oder sozialen Herkunft. Wir können uns als Humboldt-Stiftung nicht zurücklehnen und sagen, die Welt ist halt so. Wir wollen die besten Talente und führenden Köpfe gewinnen. Das geht nicht, wenn wir uns im immer gleichen engen Segment bewegen. Wir sind eine Organisation, die Innovation und Perspektivenvielfalt anerkennt, schätzt und aktiv fördern möchte. Deshalb überprüfen wir kontinuierlich unsere Auswahl- und Förderinstrumente daraufhin, wie wir Diversität proaktiv noch besser fördern können.


Mit Quoten ließe sich der Wandel beschleunigen. In der Wirtschaft wird das diskutiert. Doch in der Wissenschaft gibt es Vorbehalte, dass dies zulasten der Exzellenz ginge …
Ja, ich weiß. Und niemand, den ich kenne, möchte gerne für ein Stipendium oder einen Preis ausgewählt werden wegen seines Geschlechts, seiner Nationalität oder Hautfarbe – sondern aufgrund der eigenen hervorragenden Leistung! Quoten erscheinen attraktiv und gehören zum möglichen Instrumentarium, weil sie schnell Wirkung zeigen. Aber ich sehe sie als eine Art letztes Mittel, wenn andere Ansätze nicht wirken.

"Es geht um die Vielfalt der Ideen und Perspektiven, die Vielfalt der Prägungen und Horizonte."
Hans-Christian Pape, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung

Welche wären das?
Beispielsweise überlegen wir uns, wie wir Personen erreichen, die Humboldt-Qualität haben, aber sich nicht bei uns bewerben. In jedem Netzwerk, auch dem unseren, gibt es Pfadabhängigkeiten und Subnetzwerke. Deshalb versuchen wir etwa mit unserem neuen Henriette Herz-Scouting-Programm durch direkte Rekrutierung neue Stipendiat*innenkreise und Gastgeber*innen in unser Netzwerk zu bringen. Und wir fördern konsequent die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei prüfen wir auch die Möglichkeit, durch finanzielle Anreize mehr Diversität zu verwirklichen.

Begegnet Ihnen auch Skepsis? Diversität ist ja ein relativ neues Thema, nachdem es lange vor allem um Exzellenz ging …
Exzellenz und Diversität stellen keinen Gegensatz dar, sondern gehen Hand in Hand. Ich habe in der Wissenschaft noch nicht erlebt, dass jemand offen Vorbehalte gegen Diversität äußern würde. Aber nicht dagegen sein, reicht meines Erachtens nicht. Wir müssen aktiver werden. Bei jeder Personalentscheidung muss die Frage lauten: Wie begünstige ich eine Vielfalt der Perspektiven? Wie schaffe ich in meinem Wirkungsbereich ein Umfeld, in dem Diversität Karrieren begünstigt, anstatt sie zu behindern? Ich muss mich natürlich auch immer fragen: Wie weit kann ich das Spektrum der Diversität fassen, im Rahmen konkreter Rahmenbedingungen und Zielstellungen? Hier zeigen sich zweifelsohne Herausforderungen, aber auch viele Chancen, die wir konsequent und vor allem systematisch auf breiter Ebene angehen sollten.

Werden Appelle allein ausreichen?
Als Neurowissenschaftler bin ich von der Kraft der positiven Anreize und der Motivation überzeugt. Positive Beispiele und Vorbilder sind wichtig. Hier sollten wir nicht nur auf die großen Wissenschaftspreise schauen, wie zum Beispiel den Nobelpreis, mit dem im Jahre 2020 vier Frauen ausgezeichnet wurden – für ihre bahnbrechende Wissenschaft! Darunter mit Emmanuelle Charpentier eine Humboldtianerin, die mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Wir sollten auch auf all die Forscher*innen schauen, die ihren Beruf mit den – zweifelsohne genauso wunderbaren wie anspruchsvollen – Aufgaben in Familie und Alltag verbinden, die ihre Kultur, ihre Lebenserfahrung und ihre Kreativität einbringen, und die damit die Wissenschaft tragen. Diese Diversität zu stärken und zu fördern ist uns in der Alexander von Humboldt-Stiftung ein zentrales Anliegen. Zweifelsohne: wir bewegen uns in die richtige Richtung. Aber wir sind längst nicht am Ziel.

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