Nachgefragt

Frau Paz, wie hält es das Recht mit dem Antisemitismus?

Jüdische Menschen müssen in Deutschland immer wieder Anfeindungen oder Übergriffe erleben. Politiker*innen versprechen, mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen den Antisemitismus vorzugehen. Aber verfügt das Recht überhaupt über adäquate Mittel, um Judenhass zu bekämpfen? Zu dieser Frage forscht die Rechtswissenschaftlerin Reut Y. Paz.

  • vom 
  • Text: Mareike Ilsemann
Reut Y. Paz vor einem Gemälde
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

REUT Y. PAZ

Doktorin Reut Y. Paz leitet an der Justus-Liebig-Universität Gießen das Projekt „Antisemitismus aus der Perspektive des Rechts: Verheißungen oder Unschärfen?“. 2010 bis 2012 war sie Humboldt- Forschungsstipendiatin an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Humboldt-Forschungsstipendium

Sie vergleicht Fälle der Rechtsprechung aus Deutschland, Polen, dem Vereinigten Königreich, Israel und Frankreich: Wie begegnet das Recht Antisemitismus? Wo bekämpft es, wo ignoriert oder fördert es ihn sogar? Gesetzeswerke werden durch die Diskurse der Zeit und die Haltung der beteiligten Personen bestimmt, betont Paz. Dabei reagiert das Recht mit Zeitverzögerung auf historischen Wandel. Bis dahin sind die Gerichte gefragt, das Recht entsprechend zu interpretieren. Deutschland fehle bis heute eine für die Justiz verbindliche Definition von Antisemitismus, erklärt Paz. Sie verweist auf ein Urteil des Amtsgerichts Wuppertal, das den versuchten Brandanschlag auf die dortige Synagoge 2014 nicht als antisemitisch motivierte Straftat ahndete. Das Gericht folgte der Erklärung der Täter, sie hätten die Aufmerksamkeit auf den Gaza-Konflikt lenken wollen. Für Paz „ein Skandalurteil“. Sie fordert: „Wir müssen die Gesetze und die Rechtswissenschaft einer kritischen Revision unterziehen und herausarbeiten, wie das Recht sein Versprechen einlösen kann, den ‚ältesten Hass der Welt‘ wirkungsvoll zu bekämpfen.“

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