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Keine Angst vor China!

Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, bezieht Position zum Umgang der Wissenschaft mit China – ein Gastbeitrag in der ZEIT

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Flagge der Volksrepublik China
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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Die Pandemie und der Ukraine-Krieg lassen eine Abkehr von der Globalisierung und eine Hinwendung zu verlässlichen Partnern als die Gebote der Stunde erscheinen. Putins Gasboykott zeigt: Deutschland muss unabhängiger werden von Ländern, die nicht dieselben Werte teilen, sonst ist es erpressbar. Gilt dies aber nur für die wirtschaftliche oder auch für die wissenschaftliche Vernetzung? Die Frage stellt sich gerade im Fall von China, das sich als Systemkonkurrent versteht und dessen offizielle Strategie die globale Dominanz auch in der Wissenschaft ist. Sie verlangt eine nüchterne Analyse – auch der eigenen Interessen.

Junge chinesische Forschende zieht es gezielt und in großer Zahl dorthin ins Ausland, von wo sie Wissen mit nach Hause nehmen können. Das entspricht aus individueller Perspektive der Logik wissenschaftlicher Karrieren. Für Chinas Führung ist es aber auch strategisch eine Selbstverständlichkeit, konsequent auf den eigenen Vorteil zu achten. Und so fragt man sich: Ist es allein der Wunsch der jungen Forschenden, für die Materialwissenschaft oder für die Grundlagenforschung in den Lebenswissenschaften nach Deutschland zu kommen? Warum haben wir deutlich weniger Kooperationen in einem Feld wie der Nachrichtentechnik? Dort nämlich ist China selbst an der Spitze. Man darf sich fragen, ob die europäische Abhängigkeit von chinesischer Kommunikationstechnik geringer wäre, wenn Deutschland in diesem Feld selbst »chinesisch gedacht« hätte, um beizeiten gemeinsames Wissen zu erarbeiten. Und vielleicht wären beide Länder in dieser Kooperation gemeinsam weiter gekommen, als es China allein bis heute gelang.

Die deutsche Wissenschaftspolitik braucht ein kontinuierliches Monitoring der Beziehungen mit China und nötigenfalls eine Strategie, um schädliche Asymmetrien zu vermeiden.
Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung

Für mich steht fest: Die deutsche Wissenschaftspolitik braucht ein kontinuierliches Monitoring der Beziehungen mit China und nötigenfalls eine Strategie, um schädliche Asymmetrien zu vermeiden. Dies und der Austausch zwischen den Forschungseinrichtungen hierzulande würden auch helfen, Forschung mit Dual-Use-Potenzial auszuschließen, also Forschung, die auch militärischen Anwendungen dienen kann oder der Überwachung und Unterdrückung Andersdenkender.

Das Ziel sind Win-win-Beziehungen. Dazu gehört unbedingt das Einhalten von Standards wie Transparenz und fairer Umgang mit Daten und geistigem Eigentum. Hier gibt es noch viel zu tun. Aktuell macht beispielsweise das chinesische Recht die Ausfuhr von »wichtigen« Daten staatlicher Forschungseinrichtungen von einer Genehmigung abhängig. Das betrifft in der Praxis oft Daten, die in gemeinsamen Projekten gesammelt wurden. Aus Interesse an einer fairen Partnerschaft auf Augenhöhe müsste die chinesische Regierung auf diesem Feld für Rechtssicherheit und Transparenz sorgen – und Deutschland muss in Fällen wie diesen seine Interessen klarer vertreten. Die Hochschulrektorenkonferenz hat in ihren Leitfragen zur Hochschulkooperation mit China sinnvolle Vorschläge hierzu gemacht. Diese gilt es nun umzusetzen.

Das Ziel sind Win-win-Beziehungen. Dazu gehört unbedingt das Einhalten von Standards wie Transparenz und fairer Umgang mit Daten und geistigem Eigentum.
Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung

Auf dieser Grundlage aber sollte die Vernetzung mit China keinesfalls eingeschränkt, sondern vielmehr ausgebaut werden. Denn eine Beschränkung der Forschungszusammenarbeit auf »befreundete« Länder wäre ein Isolationismus, der uns schaden würde. Von einer guten Zusammenarbeit aber werden beide Länder profitieren – technologisch, wirtschaftlich und bei der Bewältigung der globalen Krisen des Klimas und der Gesundheit. Ohne China wird dies nicht gelingen.

Hierfür brauchen wir Investitionen in den Wissenschaftsaustausch – nicht, wie aktuell von der Bundesregierung geplant, Kürzungen! Denn als Kollateralnutzen fördert die Kooperation Vertrauen und gegenseitiges Verständnis, die nötig sind, um Konflikte konstruktiv auszutragen. Solche Verbindungen können dann auch unsere Netzwerke mit Partnern vergrößern, die sich den gleichen Werten verpflichtet fühlen oder die noch nicht entschieden haben, wem sie sich anschließen sollen.

Der Text erschien am 3. November 2022 in der Wochenzeitung DIE ZEIT.

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