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Talentscouting weltweit: Gemeinsam staunen

Auf der Suche nach neuen Talenten für ihre Forschungsgruppe an der Universität Hamburg wirft Althistorikerin und Henriette Herz-Scout Sabine Panzram einen Blick in die Welt – und schaut dabei nicht allein auf wissenschaftliche Exzellenz. Warum ihr eine gesunde Neugier und eine diverse Wissenschaftskultur wichtig sind.

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Henriette Herz-Scout Sabine Panzram und Humboldt-Stipendiatin Noelia Cases Mora stehen gemeinsam vor einer Vortrags-Projektion
Henriette Herz Scout Sabine Panzram mit Humboldt-Stipendiatin Noelia Cases Mora

Einmal im Semester steht Sabine Panzram zwischen verwitterten Grabsteinen auf dem Friedhof der Christianskirche in Hamburg-Altona. An diesem Ort vermittelt sie ihren Studierenden die klassische Technik des Abklatschens, durch die Steininschriften auf Papier übertragen werden können. In der einen Hand hält die Professorin für Alte Geschichte der Universität Hamburg eine große Rolle mit leimfreien Spezialpapier, in der anderen eine Bürste mit Ulmenholzgriff und schwarzen Borsten. „Das ist die sogenannte Abklatschbürste. Mit dieser wird in regelmäßigen Abständen auf das angefeuchtete, saugfähige Papier geklopft, das auf der Inschrift liegt. Nach dem Trocknen sind die Buchstaben darauf dreidimensional sichtbar. Auch wenn es dafür inzwischen digitale Möglichkeiten gibt, halte ich diese noch immer für die beste. Weil sie sehr einfach in der Handhabung ist und das Ergebnis schnell vorliegt. Ich kann anschließend also direkt zurück an den Schreibtisch und mit dem Entziffern beginnen.“

Henriette Herz-Scouting-Programm: Werden auch Sie Scout und gewinnen Sie Humboldt-Forschungsstipendiat*innen für Ihr Team und das Humboldt-Netzwerk! 

Internationalisiertes Team

Seit fast drei Jahrzehnten arbeitet die Althistorikerin mit der literarischen Überlieferung, Inschriften und archäologischen Zeugnissen. Sie forscht zur Sozialgeschichte der Macht im westlichen Mittelmeerraum in Kaiserzeit und Spätantike. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Lebenswelt Stadt. Ihre Begeisterung und ihr Wissen teilt sie mit den Studierenden und den Mitgliedern ihrer Forschungsgruppe, für die sie aktuell im Rahmen des Henriette Herz-Scouting-Programms als Scout auf der Suche nach jungen Wissenschaftstalenten ist. Zwei hat sie bereits gefunden.

Schon seit 2022 bereicherte der promovierte Historiker Jorge Élices Ocón von der Universidad Autónoma in Madrid ihr Team. Ihn holte Panzram als Scout mit einem Humboldt-Forschungsstipendium von Sao Paulo nach Hamburg, dort hatte er eine Post-Doc-Stelle. Er arbeitete zum Thema „Recycling und Wiederverwendung in den westlichen nachrömischen Gesellschaften: christliche und islamische Deutungen von Spolien“. Panzram sagt: „Unsere Arbeit ergänzte sich hervorragend. Meine Forschung endet mit dem achten Jahrhundert, seine beginnt zu diesem Zeitpunkt.“ Nach seinem Humboldt-Stipendium wartete auf Élices Ocón bereits der nächste Karriereschritt. Er hat inzwischen in Madrid am Consejo Superior de Investigaciones Científicas, der größten öffentlichen Forschungseinrichtung Spaniens, eine Tenure-Track-Stelle, also eine Position mit Aussicht auf eine Lebenszeitprofessur, angetreten. „Ich denke, das Humboldt-Stipendium trug maßgeblich dazu bei, dass er sich in diesem frühen Stadium seiner Laufbahn bereits so etablieren konnte“, so Panzram.

Humboldt-Forschungsstipendien unterstützen Postdocs und erfahrene Forschende bei Forschungsvorhaben in Deutschland 

Ab Dezember beginnt dann die zweite Humboldt-Forschungsstipendiatin in ihrem Team: die Epigrafikerin Noelia Cases Mora von der Universität Alicante. Die Postdoktorandin befasst sich mit Inschriften aus Republik und Kaiserzeit und arbeitet zur Verehrung des Kaisers Augustus im hispanischen und nordafrikanischen Raum. In ihrer Dissertation arbeitete sie heraus, mit welchem Vokabular Augustus im öffentlichen Raum geehrt wurde. Zudem analysierte sie die Art der Monumente sowie den Kontext, in dem sie aufgestellt wurden. Auf dieser Basis wird Cases Mora den nordafrikanischen Befund in den Blick nehmen, um Ähnlichkeiten oder Unterschiede im munizipalen und provinzialen Kaiserkult festzustellen. Ihr Forschungsziel: ein neues Verständnis der Praxis des Kaiserkultes in der Kaiserzeit.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, Wissenschaftlerinnen zu fördern. Zum einen durch großzügige, familienfreundliche und unbürokratische Stipendien wie im Henriette Herz-Programm, zum anderen durch Mentoring.
Sabine Panzram, Althistorikerin und Henriette Herz-Scout

Engagement für Nachwuchswissenschaftlerinnen

Panzram sagt: „Mir ist es ein besonderes Anliegen, Wissenschaftlerinnen zu fördern. Zum einen durch großzügige, familienfreundliche und unbürokratische Stipendien wie im Henriette Herz-Programm, zum anderen durch Mentoring. Ich selbst habe das in meiner wissenschaftlichen Laufbahn zu spät und nur sehr vereinzelt erfahren.“ Umso wichtiger ist es ihr, Forschungstalente mit ihrer Erfahrung zu unterstützen und ihnen Orientierungswissen für ihre Karriere zu geben. Und noch etwas liegt ihr am Herzen. „Ich erlebe oft, dass junge Wissenschaftlerinnen überdurchschnittliche Leistungen erbringen und diese dennoch stark hinterfragen. Solche Selbstzweifel müssen wir ihnen so früh wie möglich nehmen und ihnen Vorbilder präsentieren. Nur so wird Diversität in der Wissenschaft irgendwann kein Thema mehr, sondern selbstverständlich sein.“

Auch Noelia Cases Mora machte durch ihre fachliche Leistung auf sich aufmerksam. Ihr Vortrag auf einer Tagung weckte Panzrams Interesse, die beiden blieben in Kontakt und im fachlichen Austausch. Für die Professorin ist das Henriette Herz-Scouting-Programm eine gute Möglichkeit schnell und unbürokratisch, internationale Wissenschaftstalente für ihr Team zu gewinnen. „Das Programm der Humboldt Stiftung trägt auch dazu bei, Deutschland als Wissenschaftsstandort attraktiv zu halten. Denn neben den Zuschlägen für mitreisende Familienmitglieder bietet vor allem die kurze Bearbeitungszeit von drei Monaten Stipendiat*innen die Planbarkeit ihrer wissenschaftlichen Karriere.“

Staunen als Kriterium

Den dritten Stipendiumsplatz, den sie als Scout besetzen kann, hat Panzram noch nicht vergeben. „Ich halte da aktiv Ausschau. Mir ist es wichtig, unterschiedliche Wissenschaftskulturen in meinem Team zu haben. Die nächste Person könnte etwa aus Marokko oder Tunesien kommen.“ Ihre Auswahlkriterien: „Eine gesunde Neugier und die Bereitschaft, sich ganz und gar auf die deutsche Wissenschaftskultur einzulassen. Das ist für mich ebenso relevant wie die wissenschaftliche Exzellenz.“ Für sie ist – frei nach Aristoteles – das Staunen über die Dinge dieser Welt der Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlicher Arbeit. „Ob jemand diese Geisteshaltung teilt, erkenne ich inzwischen sehr schnell, etwa daran, wie jemand mit einem Text umgeht oder eine Statue interpretiert.“

Mein Auswahlkriterium im Henriette Herz-Scouting Programm ist nicht allein wissenschaftliche Exzellenz. Ebenso wichtig sind mir eine gesunde Neugier und die Bereitschaft sich ganz und gar auf die deutsche Wissenschaftskultur einzulassen.
Sabine Panzram, Althistorikerin und Henriette Herz-Scout

Dieses Staunen begleitet sie bis heute. In der Lehre ihrer Studierenden, in ihrer Forschungsarbeit und in der interdisziplinären Zusammenarbeit ihrer internationalen Projekte „Atlas“, „RomanIslam“, insbesondere aber des 2011 gegründeten Netzwerks zur Erforschung der Iberischen Halbinsel in der Antike „Toletum“. Zuerst wollte Panzram Geschichtslehrerin werden, dann Journalistin. Bis zu ihrer Dissertation schrieb sie parallel für eine Lokalzeitung und für ein deutsch-spanisches Kulturmagazin. „Während der Promotion merkte ich jedoch, wie wichtig mir das wissenschaftliche Arbeiten ist. Im Journalismus berührte ich diverse Themen, musste sie dann aber auch schnell wieder verlassen. In der Forschung erarbeitete ich mir die Tiefe eines Themas und ergründete es bis in seinen letzten Winkel. Mein Weg in die Wissenschaft war keine bewusst gefasste Entscheidung, sondern eine, die aus der intensiven Beschäftigung mit der Materie wuchs.“ Eine, die sie bis heute begeistert.

Autorin: Esther Sambale

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