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Wissenschaftlerin aus Kolumbien: Forschung für Alle

An der TU Dresden entwickelt die kolumbianische Elektrochemikerin Maria Rita Ortega Vega einen Sensor, der Nierenkrankheiten frühzeitig erkennt. Was die Humboldt-Forschungsstipendiatin antreibt? Eine demokratische Idee und die Hoffnung auf mehr Diversität in der Wissenschaft.

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Porträt von Maria Rita Ortega Vega

Wenn sich die kolumbianische Materialwissenschaftlerin und Elektrochemikerin Maria Rita Ortega Vega in der Fakultät für Chemie und Lebensmittelchemie der Technischen Universität Dresden an die Arbeit macht, gerät einiges in Fluss: Die Gedanken zur aktuellen Forschungsfrage in ihrem Kopf, die Musik des deutschen Komponisten Max Richter, die aus den Kopfhörern kommt, und der Strom, den sie in ihren Experimenten misst. Sie sagt: „Wenn ich am Computer sitze, um die Ergebnisse meiner Laborversuche zu protokollieren, höre ich meistens Musik, die zu meiner Stimmung und zum Rhythmus meiner Arbeit passt.“

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Maria Rita Ortega Vega kam mit einem Humboldt-Forschungsstipendium nach Deutschland.

Humboldt-Forschungsstipendium

Demokratisches Forschungsziel

Als Stipendiatin der Humboldt-Stiftung gehört sie seit Anfang 2022 zur Forschungsgruppe von Stefan Kaskel. Der Chemieprofessor hatte sie als Scout im Rahmen des Henriette Herz-Scouting Programms mit einem Humboldt-Forschungsstipendium nach Deutschland holen können. Maria Rita Ortega Vega entwickelt einen elektrochemischen Sensor, der anhand von Speichelproben Nierenerkrankungen bei Menschen frühzeitig erkennen soll. Ein befreundeter Wissenschaftler, der bereits mit Kaskel arbeitete, hatte diesen auf Vega aufmerksam gemacht. Damals forschte und lehrte die promovierte Wissenschaftlerin noch an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul in Porto Alegre. „Ich war auf der Suche nach einer PostDoc-Stelle außerhalb Brasiliens. An Deutschland hatte ich aufgrund der Sprache eigentlich nicht gedacht.“ Doch ein Gespräch mit Kaskel hat sie überzeugt. „Er war sehr offen und brachte mir von Anfang Vertrauen entgegen. Zudem sah ich in der Arbeit seines Teams vielversprechende Entwicklungen mit großen Chancen für Technologietransfer und Anwendbarkeit. Das klang für mich sehr interessant“, so Vega.

Die Zusammenarbeit mit meinem Gastgeber Stefan Kaskel ist sehr inspirierend. Ich profitiere von seiner Erfahrung, habe in meiner Arbeit alle Freiheiten und entwickele so neue Ideen für meine eigene Forschung.
Maria Rita Ortega Vega, Elektrochemikerin und Humboldt-Forschungsstipendiatin

Sie will Forschung betreiben, die einen Einfluss auf die Gesellschaft hat. „Für mich ist Wissenschaft ein demokratisches Projekt. Die Materialien, zu denen ich forsche, will ich Menschen in konkreten Anwendungen zugänglich machen und so ihr Leben erleichtern.“ Für den Bau der Sensoren setzt Vega nanostrukturierte Metallionen ein, die in ein organisches Netzwerk eingebettet sind. Diese reagieren auf menschlichen Harnstoff im Speichel und weisen so auf eine Erkrankung hin. An diesen Materialien forscht ihr Gastgeber bereits seit Längerem. „Die Zusammenarbeit mit Stefan Kaskel ist sehr wertschätzend und inspirierend. Ich profitiere von seiner Erfahrung, habe in meiner Arbeit alle Freiheiten und entwickele so neue Ideen für meine eigene Forschung.“

Überraschende Wertschätzung

Diese Art des Arbeitens fehlte Vega in ihrer Heimat. „Um meine Forschung voranzubringen, verließ ich Kolumbien. Dort haben Bildung und Wissenschaft seitens der Regierung keine Priorität. Ein Studium kostet viel Geld, die meisten Kolumbianer*innen können sich das nicht leisten. Stipendien gibt es keine.“ In Brasilien bekam sie eine Förderung und konnte so ihre wissenschaftliche Karriere starten und sich etablieren. Unter anderem erarbeitete sie einen Vorschlag für die Entwicklung eines elektrochemischen Sensors zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs.

Insgesamt hänge die Wissenschaft in Lateinamerika stark von der jeweiligen Regierung ab. „Die Jahre unter Bolsonaro gestalteten sich für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich chaotisch. Seit Lula zurück an der Macht ist, gibt es zwar wieder Fördermöglichkeiten, aber kaum noch Wissenschaftler*innen. Ein Teil hat das Land verlassen, ein anderer will nicht mehr in der Wissenschaft arbeiten. Ich selbst würde gern nach Brasilien zurückgehen, doch das hängt von meinen dortigen Möglichkeiten ab.“

Sowohl in Kolumbien als auch in Brasilien sei die Wertschätzung für Wissenschaftler*innen nicht sehr hoch. „Dass das in Deutschland anders ist, hat mich wirklich überrascht. Hier kommen sogar Professor*innen als Expert*innen im Radio zu Wort“, sagt Vega. Und auch gesellschaftlich scheint ihr der Stellenwert ein anderer. Nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft schloss sie sich dem Chor der Dresdener Frauenkirche an. „Als die anderen hörten, dass ich Wissenschaftlerin bin, waren sie begeistert und sehr an meiner Arbeit interessiert. In Brasilien oder Kolumbien sind solche Reaktionen nicht üblich. Die Leute dort haben die Rolle, die Wissenschaftler*innen für die Gesellschaft spielen, noch immer nicht verstanden.“

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Herausragende Professor*innen und Gruppenleitungen in Deutschland können Humboldt-Forschungsstipendien über das Henriette Herz-Scouting-Programm direkt vergeben.

Henriette Herz-Scouting-Programm

Weibliche Vorbilder

Was Vega zudem sehr freut: Dass das Scouting-Programm, dass sie als Stipendiatin nach Deutschland bracht, den Namen einer Frau trägt und die Humboldt-Stiftung durch familienfreundliche Bedingungen einen Fokus auf die Förderung von Wissenschaftlerinnen legt. „Als Feministin finde ich es wichtig, Frauen in der Forschung zu unterstützen. Die Situation von Wissenschaftlerinnen ist heute zwar wesentlich besser als noch vor 30 Jahren, gleichzeitig sind viele Bereiche – inklusive meines Fachs – noch immer männerdominiert. Wir müssen Frauen weiter fördern und die Zahl der Professorinnen erhöhen.“

Drei Bilder nebeneinander angeordnet zeigen Maria Rita Ortega Vega in ihrem Labor sowie beim Blick in die Kamera mit einem roten T-Shirt auf dem Marie Curie zu sehen ist.
Es ist entscheidend, in den Schulen frühzeitig über Frauen in der Forschung zu sprechen. Schüler*innen sollten von Anfang an wissen, dass ihnen eine wissenschaftliche Laufbahn offensteht.
Maria Rita Ortega Vega, Elektrochemikerin und Humboldt-Forschungsstipendiatin

Ein Blick in den Länderbericht Kolumbien des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften verdeutlicht, wie groß geschlechtsspezifische Unterschiede in der Forschung sind. Eine Studie des Laboratorio de Economía de la Educación, einer Forschungseinrichtung im Bereich Bildungsökonomie an der Javierana Universität zeigt, dass das Land zwar Fortschritte mache, allerdings nur in sehr langsamem Tempo. Der Anteil von Frauen in der Forschung stieg von 36 Prozent im Jahr 2013 auf 38 Prozent im Jahr 2019. In den Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften betrug der Anteil weiblicher Forscherinnen sogar nur 20 Prozent.

Um die Wissenschaftswelt diverser zu machen, reicht es laut Vega nicht, Diversitätsbeauftragte zu haben. „Es sollte regelmäßige Infoveranstaltungen geben, in jedem Fachbereich, und zwar für alle.“ Zudem brauche es weibliche Vorbilder und Menschen, die von ihnen erzählen. „Mein Vater war Physiker und großer Fan von Marie Curie. Als ich zehn Jahre alt war, erzählte er mir von ihr. Sie war die erste Frau weltweit, die Professorin wurde, zwei Nobelpreise erhielt – und sie war eine wichtige Inspiration auf meinem Weg in die Wissenschaft“, so Vega. Sie hält es für entscheidend, in den Schulen frühzeitig über Frauen in der Forschung zu sprechen. „Schüler*innen sollten von Anfang an wissen, dass ihnen eine wissenschaftliche Laufbahn offensteht.

Autorin: Esther Sambale

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