Was ist Wissenschaftsfreiheit?

Wissenschaftsfreiheit muss geschützt werden! Robert Quinn, Executive Director des Scholars at Risk Network, hat zum fünfjährigen Jubiläum der Philipp Schwartz-Initiative im Jahr 2021 ein Essay über die Bedeutung von Wissenschaftsfreiheit verfasst.

Robert Quinn
Robert Quinn, Executive Director des Scholars at Risk Network
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Philipp Schwartz-Initiative

Die Philipp Schwartz-Initiative ermöglicht seit 2016 deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen, ausländische Wissenschaftler*innen, denen in ihren Heimatländern Krieg oder Verfolgung drohen, für zwei Jahre bei sich aufzunehmen.

Dossier für Presse und Medien
Programmwebsite für Bewerbungen
Scholars at Risk Network - Germany Section

Wissenschaftsfreiheit ist einfach, komplex und unverzichtbar. Sie muss geschützt werden.

Wissenschaftsfreiheit ist ein Bürge für Qualität. Sie ist die Freiheit, zu forschen, zu lehren und in den Diskurs zu treten. Sie ist die Suche nach Wahrheit, ungeachtet von Ideologie, Identität oder Autorität. Lediglich die Normen der beruflichen und sozialen Verantwortung erlegen ihr Grenzen auf.1 Sie wird Wissenschaftler*innen und Studierenden zuteil. Sie beschränkt sich nicht auf ein Labor oder einen Hörsaal, sondern umfasst auch den Dialog mit der Gesellschaft. Wissenschaftsfreiheit ist ein Recht, das im internationalen Menschenrechtssystem anerkannt ist und das in der freien Meinungsäußerung,2 dem Recht auf Bildung3 und dem Recht, an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts teilzuhaben,4 begründet ist. Staaten sind daher gesetzlich verpflichtet, Wissenschaftsfreiheit zu schützen und zu fördern.

Die Befugnis, zu bestimmen, welches Verhalten oder welche Aussagen durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt sind, liegt innerhalb der Wissenschaft.
Robert Quinn, Executive Director des Scholars at Risk Network

Das Wesen der Wissenschaftsfreiheit wird nicht angezweifelt, auch wenn diese Freiheit verletzt wird. Es umfasst die interne Kommunikation (innerhalb der Wissenschaft) und die externe Kommunikation (mit einem Publikum außerhalb der Wissenschaft). Wissenschaftsfreiheit erstreckt sich jedoch nicht auf jegliche Kommunikation, sie ist nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gleichzusetzen. Die Befugnis, zu bestimmen, welches Verhalten oder welche Aussagen durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt sind, liegt zwangsläufig innerhalb der Wissenschaft und stützt sich auf die Standards der jeweiligen Disziplin. Sie ist jedoch nicht unbegrenzt, sondern an die Grundwerte der institutionellen Autonomie,5 der beruflichen und sozialen Verantwortung, der Rechenschaftspflicht über öffentliche Mittel und den gleichberechtigten Zugang gebunden. Akteure außerhalb der Wissenschaft können die Einhaltung dieser Werte durch Wissenschaftler*innen hinterfragen. Doch sie müssen respektieren, dass Wissenschaftsfreiheit weit gefasst und nicht eng definiert oder umgesetzt werden darf. Auch sollten Forschende wie Studierende niemals für die Ausübung von Wissenschaftsfreiheit gewaltsame Konsequenzen tragen müssen. Ferner sind gewaltsame Einschränkungen von gewaltfreiem Verhalten und Äußerungen ohnehin unzulässig.

Komplex wird Wissenschaftsfreiheit nur dann, wenn Autoritätsinstanzen versuchen, der Suche nach Wahrheit Grenzen zu setzen. Um ihre Stellung, Autorität oder Ideologiezu schützen, sprechen sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure – politische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle – der wissenschaftlichen Forschung ihre Legitimität ab. Wissenschaftler*innen, die außerhalb der genehmigten Kanäle forschen, werden als »Feinde« des Staates, des Glaubens oder der Gemeinschaft bezeichnet. Sie werden unter dem Deckmantel unklarer und breit gefasster Gesetze, etwa zu Verleumdung, Volksverhetzung und sogar der Terrorbekämpfung, verfolgt. Sie werden in Verruf gebracht, weil sie nach der Wahrheit suchen. Die Wahrheitselbst wird so in Verruf gebracht.

Wissenschaftsfreiheit ist unverzichtbar, weil sie einer solchen wahrheitszerstörenden Tendenz von Autoritäten entgegengerichtet ist. In den kommenden Jahren müssen Lösungen für eine Vielzahl globaler Herausforderungen gefunden werden. Wissenschaftler* innen müssen die Freiheit haben, nach Lösungen zu suchen, nach der Wahrheit zu streben und ihre Erkenntnisse in ihrer Forschung, Lehre und im Diskurs weiterzuvermitteln. Wissenschaftsfreiheit ist unverzichtbar. Sie muss geschützt werden.

 
1 UNESCO, Recommendation concerning the Status of Higher-Education Teaching Personnel, adopted by the General Conference at its twenty-ninth session, Paris, 21 October–12 November 1997, 11 November 1997, para. 27.
2 International Covenant on Political and Civil Rights, Art. 19.
3 International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, Art. 13.
4 International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, Art. 15.
5 Institutional autonomy, closely related, is the degree of self-governance necessaryto guarantee academic freedom. UNESCO, Rec. paras. 17–19.