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Titelbild| Im Alexander-von-Humboldt-Nationalpark im Osten von Kuba steht eine Statue des Namensgebers am Besucherzentrum der UNESCO-Welterbestätte.
Unbestritten, Alexander von Humboldts Name ist in Lateinamerika sehr präsent. Der preußische Gelehrte hat auch heute noch eine große Bedeutung für die transatlantischen Kulturund Wissenschaftsbeziehungen. Dies bezieht sich vor allem auf die Gegenden, durch die ihn seine Expeditionsreise zwischen 1799 und 1804 führte, die heutigen Länder Venezuela, Kuba, Ecuador, Kolumbien, Peru und Mexiko. Aber auch in anderen Regionen Amerikas abseits seiner Reiseroute ist er kein Unbekannter. Beeindruckend ist das Ausmaß an Wissen über die Neue Welt, das Humboldt uns in seinen zahlreichen Publikationen, seiner umfangreichen Korrespondenz, den naturhistorischen Sammlungen und präzisen kartografischen Arbeiten hinterlassen hat. Darin machte er auch auf soziale Missstände der Zeit aufmerksam und stellte Überlegungen an, wie diese zu bekämpfen seien.
Die Studie „Wahrnehmung Humboldts in Lateinamerika“ ist im Forschungsprogramm „Kultur und Außenpolitik“ des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) entstanden. Die hervorgehobenen Zitate in diesem Artikel sind Aussagen aus den zugrundeliegenden Interviews, die etwa in Mexiko, Venezuela, Kuba, Peru, Kolumbien, Ecuador und Chile geführt wurden. Mehr zur Studie: www.ssoar.info/ssoar/handle/document/62425
Doch wie wird Humboldt heute, über 200 Jahre nach seiner Reise, in den Ländern Lateinamerikas wahrgenommen? Mit welchen Themen wird er in Verbindung gebracht? Was schätzt man an ihm – und wo ist der Blick auf ihn eher kritisch? Diesen Fragen ging eine vom Auswärtigen Amt und dem Institut für Auslandsbeziehungen initiierte Studie 2019 anlässlich des 250. Geburtstags des Forschungsreisenden nach. Hierbei kam zum Vorschein, dass es in der Tat bedeutende regionale Unterschiede gibt sowie auch zwischen den intellektuellen Kreisen und der allgemeinen Bevölkerung jeden Landes. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass Humboldts wissenschaftliche Leistungen länder- und klassenübergreifend positiv wahrgenommen werden. Dabei, so die Studienteilnehmenden, habe Humboldt in Amerika nicht nur eine beeindruckende Menge an wissenschaftlichen Daten erhoben, sondern auch ein humanes Bild des Kontinents vermittelt. Die sogenannte Neue Welt war für ihn nicht nur ein Gebiet zur wissenschaftlichen Feldforschung, sondern eine Region, für die er sich auf vielfältige Weise einsetzte. Humboldt widerlegte auf wissenschaftliche Weise die von europäischen Philosophen seiner Zeit vertretene Auffassung einer minderwertigen und degenerierten Gegend. Durch ihn gelangte ein beträchtlicher Teil des Wissens über Amerika nach Europa, und er machte sich dafür stark, dass die Arbeiten amerikanischer Gelehrter und Forschungsreisender in die internationale Wissenschaftsgemeinde aufgenommen wurden.
Teil der Geschichte Amerikas
In politischer Hinsicht wird Humboldts Beitrag zur Entstehung der neuen Nationen Mittel- und Südamerikas betont, indem er einen Weg für die wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Modernisierung des Kontinents aufzeigte. Besonders hervorzuheben ist hier sein gesellschaftliches Engagement: Er kritisierte offen die Sklaverei und die Behandlung der indigenen Bevölkerung sowohl in den Missionsstationen als auch den Minen. Er prangerte die Korruption der Kolonialverwaltung an sowie die Ausbeutung der Bevölkerung durch die Eliten. Noch heute ist man überzeugt, dass sich Humboldt für die Belange der einfachen Menschen in Amerika eingesetzt hat, er also auch ein Teil der Geschichte Amerikas sei. Zugleich haben die Länder Amerikas ihren eigenen kritischen Blick auf das Erbe Humboldts, der sich aus ihrer spezifischen Vergangenheit ergibt. Diese Einbindung Humboldts in die jeweilige (Kolonial-)Geschichte lässt sich deutlicher veranschaulichen, wenn wir uns die beiden Länder ansehen, über die Humboldt jeweils eine Regionalstudie erstellt hat – Mexiko und Kuba. In Mexiko wird seinem Werk „Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien“ eine zentrale Rolle hinsichtlich der Vorbereitung des Landes auf seine Unabhängigkeit zugeschrieben. Durch dieses Werk habe Humboldt – in der Studie als der „erste Deutsch-Mexikaner der Geschichte“ bezeichnet – auch die Bevölkerung zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte, Gesellschaft und Kultur angeregt. Jedoch wird auch darauf verwiesen, dass Humboldts Informationen über die Bodenschätze Neuspaniens zur postkolonialen Ausbeutung der lokalen Ressourcen beigetragen haben. Kritische Stimmen attestieren ihm gar eine Rolle als Propagandist europäischer Investitionen. Zudem wird in Mexiko auch heute noch die Weitergabe geografischen und statistischen Wissens an die Regierung der USA bei seinem Besuch in Washington und Philadelphia im Frühjahr 1804 kritisiert.
Auch auf Kuba wird Humboldts landeskundlicher Studie „Politischer Essay über die Insel Kuba“ eine große Bedeutung zugeschrieben. Aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit der geografischen, statistischen und wirtschaftlichen Situation des Landes wird er auch heute noch oft als „zweiter Entdecker” Kubas bezeichnet. Besonders seine profunde Abneigung gegen die Sklaverei, der Humboldt in diesem Werk ein ganzes Kapitel widmet, wird hier sehr positiv wahrgenommen. Ebenso wie seine Analyse der weitgehend auf der Zuckerproduktion beruhenden Wirtschaft der Insel und sein Einsatz für eine nachhaltige Landwirtschaft.
Dabei gibt es aber auch Kritik. Diese richtet sich auf den kolonialen Kontext, in dem Humboldt seine Expeditionsreise durchführte. Hier wird vor allem seine Verbindung zur spanischen Krone betont, da Humboldt seine Expertise im Bereich des Bergbaus der Kolonialmacht zur Verfügung stellte. Daher wird gelegentlich hinterfragt, ob Humboldt sich ausreichend bewusst war über die Verwendung der von ihm in Umlauf gebrachten Informationen. Teilweise wird auch die Ansicht geäußert, dass bei der Bewertung seiner Verdienste die lokalen wissenschaftlichen Kreise und auch andere Informanten vor Ort, wie beispielsweise seine indigenen Reiseführer, nicht genügend Beachtung gefunden hätten. Dabei entsprach es keineswegs Humboldts aufklärerischen Idealen, im Kontext einer Kolonialregierung zu arbeiten – ein System, das er grundlegend ablehnte, wie aus seinen persönlichen Aufzeichnungen hervorgeht: Jede Kolonialregierung sei „eine Regierung des Misstrauens“, die sich nicht am Wohl der Kolonien orientiere, sondern sich nach den Interessen des Imperiums richte.
Regionale Rezeption
Seine kritischen Kommentare zum Kolonialsystem und die Auswirkungen auf die Gesellschaft sollten jedoch keineswegs als Legitimation der Unabhängigkeitsbewegung verstanden werden. Humboldt hat stets schrittweise Reformen zur Veränderung eines Systems einem gewaltsamen Umsturz durch eine Revolution vorgezogen. Zudem war er generell nicht optimistisch hinsichtlich des Ergebnisses von Revolten, vor allem wenn diese durch die gesellschaftliche Oberschicht initiiert wurden. Seiner Meinung nach würde sich die Situation der am meisten benachteiligten Gesellschaftsgruppen, also der indigenen Gruppen, der Sklav*innen und der Arbeiter*innen in den Minen oder in der Landwirtschaft kaum zum Positiven verändern, wenn die kreolischen Eliten die Macht übernähmen. Und er behielt recht.
Was ist nun das Fazit zur heutigen Wahrnehmung Humboldts in Lateinamerika? Es wird deutlich, dass die regionalen Unterschiede beim Blick auf Humboldt zum großen Teil durch die Umstände seiner historischen Reise in den jeweiligen Gegenden bedingt sind. Ein anderer wichtiger Faktor ist die bewusste Einbindung seiner Person in bestimmte nationale Interessen, in einen Prozess, der bereits während seines Aufenthalts dort begonnen hat und bis zum heutigen Tage andauert. Diese sozio-politischen Rahmenbedingungen zu verstehen, in denen Humboldt seiner wissenschaftlichen Forschung nachgegangen ist, ist eine wichtige Herausforderung. Nur so können wir seine Arbeit und ihre Bedeutung richtig einordnen. Weder eine Idealisierung und Verehrung seiner Person als Held der lateinamerikanischen Unabhängigkeit ist hierbei zielführend noch eine Wahrnehmung Humboldts als Werkzeug des Imperialismus. Beide Perspektiven für sich genommen verengen unser Verständnis von Humboldt und seinem versierten diplomatischen und idealistischen Navigieren zwischen den Herausforderungen seiner Zeit.
Dr. Sandra Rebok ist Wissenschaftshistorikerin und forscht zurzeit an der University of California in San Diego, USA. Sie ist seit über 20 Jahren in der Alexander von Humboldt-Forschung tätig und Autorin zahlreicher Veröffentlichungen zu Humboldt, darunter die hier zitierte Studie „Wahrnehmung Humboldts in Lateinamerika“, die 2019 in der ifa-Edition „Kultur und Außenpolitik“ erschienen ist.