Forschung hautnah

Der Kampf gegen Fettsucht und Diabetes

Die Zahl übergewichtiger Menschen steigt weltweit rasant an. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, verschiedenste Folgeerkrankungen zu entwickeln – darunter Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden. Die Prognosen sind düster, denn diese Volkskrankheiten stellen unsere Gesellschaft vor große Probleme. Der Münchner Mediziner Matthias Tschöp will die Fettleibigkeitsepidemie stoppen und sucht nach einem Medikament gegen den ungezügelten Appetit und für verbesserten Stoffwechsel.

  • vom 
  • Text: Kristin Hüttmann
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Professor Dr. Matthias Tschöp ist ein weltweit gefragter Experte für Diabetesforschung. Der Mediziner forschte über zehn Jahre in den USA, zuletzt als Inhaber des Arthur Russell Morgan Chair of Medicine an der University of Cincinnati, Ohio. Heute ist er wieder in Deutschland und hat eine Alexander von Humboldt- Professur inne, die ihm 2012 verliehen wurde. Er leitet das Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München und ist Lehrstuhlinhaber für Stoffwechselerkrankungen an der Technischen Universität München.

Matthias Tschöp

Der Mann hat wenig Zeit und eine große Mission: Matthias Tschöp will krankhaftes Übergewicht und Diabetes heilen – mit einer einfachen Pille oder einer Spritze. Der Mediziner aus München gehört weltweit zu den gefragten Spezialisten auf diesem Gebiet, sein Arbeitstag ist vollgestopft mit Vorlesungen, Expertengremien und Teambesprechungen. Sein Ziel ist ambitioniert, denn mit Adipositas und Diabetes hat Tschöp sich auf zwei Krankheiten spezialisiert, die immer mehr zu einer Herausforderung für die weltweite Gesundheit werden. „Bald jeder zehnte Deutsche hat Diabetes oder wird es noch bekommen“, sagt er. Allein hierzulande leiden 6,7 Millionen Menschen an Diabetes, jährlich erkranken 300 000 neu daran. Zu den größten Risikofaktoren zählen Übergewicht, Bewegungsmangel und Stress.

Humboldt Kosmos - das Magazin der Humboldt-Stiftung. Woran forschen die Humboldtianer*innen weltweit? Welche Themen aus Wissenschaft, Diplomatie und Internationalität bewegen uns? Hier gelangen Sie zu den neuesten Texten. 

Doch welche Rolle genau spielt das Gewicht bei der Entstehung von Diabetes? Reicht es, einfach weniger zu essen und sich mehr zu bewegen? Können wir mit unserem Verhalten etwas ändern? Oder steckt die Antwort in unseren Genen, in unserem Gehirn? All diesen Fragen geht Tschöp auf den Grund und verknüpft dafür Grundlagenforschung mit der Suche nach Arzneistoffen. Denn der 50-Jährige will nicht nur verstehen, welche Mechanismen Adipositas und Diabetes zugrunde liegen, sondern auch Medikamente entwickeln, um diese Krankheiten zu heilen.

Kaum einer ist dafür besser geeignet als Tschöp. Dieser Mann kennt viele Perspektiven. Seine berufliche Reise begann in München als Krankenpfleger und Bergwacht- Notarzt und führte ihn über zahlreiche Stationen an Kliniken, renommierten Forschungsinstituten und Pharmaunternehmen auf der ganzen Welt wieder zurück nach München. Heute hat er eine Humboldt-Professur inne, die ihm 2012, als erstem Mediziner überhaupt, verliehen wurde. Er leitet das Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München und ist Lehrstuhlinhaber für Stoffwechselerkrankungen an der Technischen Universität München. Da bleibt mittlerweile wenig Zeit, selbst im Labor zu stehen. „Ich bin heute natürlich nicht mehr derjenige, der im Labor Wirkstoffe testet und selber Substanzen pipettiert“, sagt er. Von seiner Leidenschaft für den Forscheralltag mit all seinen Mühen und auch euphorischen Momenten hat Tschöp aber nichts verloren. Vielleicht eins seiner Erfolgsgeheimnisse. „Es ist das Zusammenführen verschiedener Perspektiven im Team, das uns hilft, Probleme zu lösen.“

Zahlreiche Preise und Ehrungen

Die Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen umfasst über 300 Einträge, zahlreiche Preise und Ehrungen hat Tschöp für seine Arbeit bekommen, er hält Vorträge, tritt im Fernsehen auf. Von diesem Glamour ist in seinem Arbeitszimmer im Businesspark Garching bei München wenig zu sehen. Monitore, schlichte Möbel, weiße Wände. Hinter dem Fenster der weite Blick auf die grünen Heideflächen des Münchner Nordens. Keine Topfpflanzen, keine Kramecken, die ablenken oder betreut werden müssten. Hier setzt nichts Staub an.

Im Helmholtz Zentrum München ist Tschöp umgeben von einem Team von Experten aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen.

Im Helmholtz Zentrum München ist Tschöp umgeben von einem Team von Experten aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen: Mediziner, Krebs- und Hirnforscher, Genetiker und Zellbiologen – sie alle suchen nach den Ursachen von Übergewicht, Adipositas und Diabetes. Denn viele Faktoren spielen eine Rolle, wenn bei Menschen Körpergewicht und Blutzuckerwerte außer Kontrolle geraten. Einfach weniger essen und mehr bewegen, so simpel ist es leider meist nicht. Zumal nicht jeder, der ein paar Kilos zu viel auf den Hüften hat, Diabetes bekommt, und nicht jeder Diabetiker Übergewicht hat. Und während der eine jedes Stück Sahnetorte gleich auf der Hüfte hat, kann der andere essen, was er will, ohne zuzunehmen.

Der Einfluss der Hormone

Natürlich spielt unser Erbgut dabei eine wichtige Rolle. So gibt es beispielsweise ein bestimmtes Gen, das für die Produktion des Hormons Leptin verantwortlich ist. Dieses Hormon aus den Fettzellen drosselt unseren Appetit. Es gibt jedoch Menschen, denen das Leptin-Gen fehlt. „Diese Patienten haben keine Chance“, sagt Tschöp. „Keine Willensstärke reicht dann, um weniger zu essen.“ Eine solche monogenetische Ursache sei jedoch relativ selten. Häufiger seien polygenetische Ursachen. „Wir tragen eine Zahl von Genmutationen mit uns herum, die jede für sich nicht so schlimm ist, gesammelt und zusammen mit Umweltfaktoren aber zu einer Krankheit wie Diabetes führen können.“

Immer aufmerksamer schaut die Forschung außerdem auf die Rolle der Epigenetik. Umweltfaktoren, Bewegung, Essen oder Stress beeinflussen, welche in der DNA kodierten Erbinformationen zum Bau von Proteinen abgelesen werden und welche nicht. Damit bestimmen sie, welche Botenstoffe, Enzyme und Hormone in unserem Körper zirkulieren. Diese Mechanismen können sogar vererbt werden. Denn unvernünftiger Lebenswandel und die dadurch entstandenen Krankheiten verändern das Erbgut – und können epigenetisch an die Kinder weitergereicht werden.

Besonders interessieren Tschöp und sein Team die Signalwege zwischen dem Gehirn und unseren Stoffwechselorganen. Denn das Gehirn nimmt ständig Informationen, Nährstoffe und Hormone aus Magen, Darm oder Leber auf – etwa über den Zucker- oder Fettgehalt im Blut oder über die von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttete Insulinmenge. Auf all diese Hinweise kann es reagieren und Signale an die Organe schicken, die beispielsweise den Appetit steuern.

Zeit, um im Labor selbst an der Sterilbank mit der Pipette an Zellkulturen zu arbeiten oder Messungen an Gewebe und Zellkulturen vorzunehmen, bleibt Matthias Tschöp kaum noch. Der Mediziner ist weltweit als Experte gefragt.

Wissenschaftler kennen mittlerweile viele der Hormone, die mit dem Gehirn und anderen Organen kommunizieren und den Zucker- und Fettstoffwechsel regulieren. Tschöp und sein Team klärten beispielsweise die Funktion des Hungerhormons Ghrelin auf. Unser Körper bildet dieses Molekül in der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse und es wird durch das, was wir essen, aktiviert. Dabei funktioniert es wie eine Art Fettsensor. Ghrelin informiert das Gehirn über die zur Verfügung stehenden Kalorien und gibt das Signal für energieverbrauchende Prozesse, wie beispielsweise die Neubildung von Proteinen oder Wachstumsmechanismen. 

Viele weitere Hormonmoleküle kommen gleichfalls aus dem Magen-Darm-Trakt. „Leider wissen wir noch nicht, welche von diesen Molekülen die entscheidenden sind“, sagt Tschöp. „Sonst könnten wir dem Gehirn einfach vorgaukeln, dass es satt ist.“ Und so Übergewicht abbauen. Ähnliches gelingt bisher Chirurgen mit einer Magen- Bypass-Operation. Schon kurz nach dem operativen Eingriff normalisiert sich der Blutzuckerspiegel der Patienten. Offenbar sendet der Magen-Darm-Trakt bestimmte Botenstoffe ans Gehirn, die ihm Sättigung signalisieren.

Das Gehirn auf satt stellen

Tschöp und sein Team wollen das Gehirn aber mit einer weniger invasiven Art überlisten, beispielsweise mit einer Schlankheitspille. Ein entscheidender Schritt zur Entwicklung eines solchen Medikaments ist ihnen bereits gelungen. „Wir haben es geschafft, mehrere dieser Magen-Darm- Hormone in einem einzigen Molekül zu integrieren.“ Dieses Hormonmolekül funktioniert wie eine Art Generalschlüssel für mehrere Andockstellen in verschiedenen Organen und im Gehirn und kann Appetitregelungs-Prozesse neu einstellen. Es funktioniere im Prinzip so wie bei der Anti-Baby-Pille, die dem weiblichen Körper eine Schwangerschaft vorgaukelt, sagt Tschöp. Die Schlankheitspille stellt das Gehirn auf satt, auch wenn im Magen- Darm-Trakt nicht viel drin ist. In Versuchen mit Mäusen klappte das bereits, sie aßen sehr viel weniger, obwohl ihnen die Forscher eine McDonald’s-Diät vorsetzten. „Nun testen wir diese Substanzen in klinischen Studien. Hoffentlich wissen wir bald, wie gut sie am Menschen funktionieren“, sagt Tschöp.

Und denkt dabei schon weiter: Nicht alle Menschen sind gleich, und jeder Diabetiker hat ganz andere gesundheitliche Probleme. „Unsere Zukunftsvision ist daher, das richtige Medikament für den richtigen Patienten zu finden. Eine Art personalisierte Stoffwechselmedizin“, sagt Tschöp.

Denn seine Mission verliert der Mediziner nie aus dem Blick: „Diabetes und Adipositas zählen zu den großen Volkskrankheiten und Bedrohungen für unsere Gesellschaft“, sagt er. „Wir dürfen bei der Entwicklung wirkungsvoller und sicherer Therapien und neuer auf den individuellen Patienten zugeschnittener Medikamente keine Zeit verlieren.“

vorheriger Artikel So schmeckt Deutschland
nächster Artikel Über alle Berge