Schwerpunkt

Die Zukunft auf dem Teller

Forscher, Ernährungsmultis und Start-ups – sie alle suchen nach der Ernährung der Zukunft. Personalisiert und auf die eigenen Gene zugeschnitten, ethisch einwandfrei und umweltfreundlich, sättigend, gesund und profitabel. Was nach der Quadratur des Tellers klingt, soll möglichst bald schon Realität werden. Denn die Probleme drängen.

  • vom 
  • Text: Lilo Berg (Illustrationen: Miriam Bauer)

Humboldt Kosmos - das Magazin der Humboldt-Stiftung. Woran forschen die Humboldtianer*innen weltweit? Welche Themen aus Wissenschaft, Diplomatie und Internationalität bewegen uns? Hier gelangen Sie zu den neuesten Texten. 

Er riecht wie Fleisch, sieht aus wie Fleisch und, wenn man den Testessern Glauben schenkt, schmeckt er auch wie Fleisch. Doch an diesem Klops ist nichts vom Tier, er besteht komplett aus Pflanzen. Fünf Jahre lang hatten die Wissenschaftler von Impossible Foods an dem Rezept getüftelt, im Sommer 2016 stellte die Firma ihren veganen Burger in San Francisco vor. Bald soll er auf breiter Front in die Restaurants kommen – mit Unterstützung von Bill Gates, Google und weiteren hochkarätigen Investoren.

Beim Pflanzen-Burger mag Silicon Valley derzeit die Nase vorn haben, die Idee mit dem Kunstfleisch aber kommt aus Europa. Bereits 2013 präsentierte der niederländische Mediziner Mark Post eine aus Rinderstammzellen aufwändig gezüchtete Frikadelle, die damals noch rund 250.000 Euro kostete. Aber schon bald will Post mit dem Start-up-Unternehmen Mosa Meat einen Stammzellenklops zu erschwinglichen Preisen auf den Markt bringen. Inzwischen konnten die Produktionskosten für einen Burger nach Posts Angaben auf rund 10 Euro gesenkt werden. Doch die Konkurrenz ist ihm dicht auf den Fersen. Aufgepumpt mit dem Geld großer Finanzinvestoren entstehen rund um den Globus neue Firmen, und schon entwickeln Forscher künstliches Fleisch auch nach dem Vorbild von Schwein und Huhn.

Fleisch ist mehr als nur ein Lebensmittel, es ist zum Symbol einer globalen Krise geworden. Ungefähr ein Drittel der gesamten Landfläche weltweit dient heute der Fleischproduktion. Die Tiere belasten Böden und Gewässer mit ihren Ausscheidungen und beschleunigen den Klimawandel durch den Ausstoß von Treibhausgasen. Und obwohl großer Fleischhunger dick und krank machen kann, liegt der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum nach Angaben der Welternährungsorganisation in den Industriestaaten bei stattlichen 96 Kilogramm, und in den ärmeren Ländern nimmt er rasch zu. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung: Heute leben nach Angaben der Vereinten Nationen 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde, im Jahr 2050 werden es wohl um die zehn Milliarden sein und 2100 mehr als elf Milliarden. Alle wollen satt werden und sich wohlfühlen. Doch wie kann das gelingen?

Das Auge isst mit: Kunstfleisch in Tierform könnte die Gaumenfreude erhöhen.
Das Auge isst mit: Kunstfleisch in Tierform könnte die Gaumenfreude erhöhen.

Dreißigstöckige Hochhausfarmen

Es ist eine Frage, die Menschen weltweit beschäftigt. Sie ruft nicht nur die Wissenschaft und findige Investoren auf den Plan, um mit Kunstfleisch, Kulturfisch und Co. weiterhin für volle Teller zu sorgen. Zu Wort melden sich auch die Hightech-Propheten mit Visionen von 30-stöckigen Hochhausfarmen, die ganze Megastädte mit Gemüse und Obst versorgen. Oder mit Szenarien rund um 3-D-Drucker für die heimische Küche, aus deren Düsen keine Tinte quillt, sondern pürierte Nahrung – angepasst an das individuelle Genprofil und mit allem, was der Körper gerade braucht. Das wäre dann gar nicht mehr so weit weg von der täglichen Nährstoffkapsel, die Utopisten schon vor gut hundert Jahren prophezeiten, die aber – zum Glück – nie Gestalt annahm. Stattdessen biegen sich die Lebensmittelregale im reichen Teil der Welt unter einer sagenhaften Warenfülle. Und immer mehr Menschen huldigen speziellen Ernährungslehren.

„Noch nie wurde so viel über Essen geredet wie heute“, sagt Hannelore Daniel, Ernährungsforscherin an der Technischen Universität München. Im Schlaraffenland des Westens haben viele die Orientierung verloren: Sie sehnen sich nach der vermeintlich heilen Essenswelt von früher oder machen aus der Nahrungsaufnahme eine Art Ersatzreligion, beobachtet sie. Zwischen Veganismus und Paläo- Diät, Bio-Boom und Superfoods tummeln sich die Sinnsucher. Daniels Diagnose: „Wir haben das metaphysische Stadium der Ernährung erreicht.“

Wellenklang macht Appetit auf Fisch

Der sinnliche Genuss muss dabei keineswegs zu kurz kommen. Wie er sich durch psychologisches Wissen und moderne Kommunikationstechnik raffiniert steigern lässt, beschreibt der britische Psychologie-Professor Charles Spence in seinem neuen Buch „Gastrophysics: The New Science of Eating“. Fisch zum Beispiel schmeckt bei sanftem Wellenklang nachweislich besser. „Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn der Kellner in Zukunft die Kopfhörer gleich mit an den Tisch bringt“, sagt der Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreisträger Spence, der an der Universität Oxford das Crossmodal Research Laboratory leitet.

Heute schon wird Gegrilltes in einigen Restaurants auf einem Tablet-PC serviert, der auf seinem Bildschirm lodernde Flammen zeigt und das Holzfeuer-Knistern gleich mit einspielt. Das Erlebnis verzücke viele Gäste, berichtet Spence, der Tablets schon als Teller von morgen sieht. Musikalischen Löffeln hingegen, die passend zum indischen Curry und unhörbar für die Tischnachbarn Sitarklänge in die Mundhöhle einspeisen, sei keine große Zukunft beschieden. Kritisch sieht er auch die ersten 3-D-Lebensmitteldrucker für den Hausgebrauch: „Sie werden als Staubfänger ganz hinten im Regal enden.“

Für die Insekten-Cuisine hingegen könnten goldene Zeiten anbrechen: „Ameisen, Termiten, Heuschrecken, von kleinen spezialisierten Firmen appetitlich angerichtet, wird man demnächst auch in unseren Breiten essen.“ Womöglich mit dem guten Gefühl, sich ethisch einwandfreie Proteine einzuverleiben. „Die Menschen denken immer mehr über ihr Essen nach“, beobachtet Charles Spence, der dem Nachhaltigkeitstrend eine große Zukunft prophezeit.

Die Insekten-Cuisine, appetitlich angerichtete Krabbeltiere, sehen Experten weltweit im Kommen.

Das ist ganz im Sinne des Philosophen Harald Lemke. Der Humboldtianer versteht sich als Vertreter der Gastrosophie, einer Denkschule, die sowohl die Weisheit des Essens als auch die politische Dimension der Ernährung erkundet. „Wer isst“, sagt der Direktor des Internationalen Forums Gastrosophie im österreichischen Saalfelden, „schlägt sich nicht bloß den Bauch voll, er stellt vielerlei Weltbezüge her“ – zu Tierethik und Gesundheit ebenso wie zu Landeigentum und Klimawandel. Lemke plädiert jedoch nicht für eine Ethik des Verzichts, er wirbt vielmehr für das Kochen und Genießen als verantwortungsbewusste Lebenskunst. Illusionen macht sich der Gastrosoph dabei nicht: Zwar wachse die Zahl der achtsamen Esser, doch auch in Zukunft werde es viele geben, die bequeme Fertiggerichte und billiges Fleisch aus der Massentierhaltung bevorzugen. „Eine nachhaltig wirtschaftende und gerechte Welt, in der alle gleichermaßen von den vorhandenen Ressourcen profitieren, bleibt womöglich ein schöner Traum.“

Unter dem Druck einer wachsenden Bevölkerung müssen die globalen Ressourcen deutlich gesteigert werden. Dazu gibt es neben glamourösen Zukunftsentwürfen auch die bodenständigen und überaus Erfolg versprechenden Ansätze. Was sie bewirken können, zeigt die Arbeit des Agrarwissenschaftlers und Humboldtianers Michael Frei von der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Er forscht zu Reis, einem Grundnahrungsmittel für mehr als die Hälfte der Menschheit. Stressfaktoren wie Hitze, salzhaltige Gewässer und hohe Ozonwerte in der Luft setzen heutigen hochgezüchteten Sorten zu, und die Erträge sinken bereits spürbar. „Wir brauchen dringend neue Sorten, die besser mit den zunehmenden Umweltbelastungen fertig werden“, sagt Michael Frei, in dessen Team auch immer wieder Georg Forster-Stipendiaten forschen. Die bisherige Bilanz der Bonner Wissenschaftler kann sich sehen lassen: So sind in Zusammenarbeit mit Züchtern aus Bangladesch Reiskreuzungen entstanden, die in wenigen Jahren auf den Markt kommen könnten. Frei: „Sie werden nicht nur mit Ozon fertig, sie könnten auch bis zu zehn Prozent höhere Erträge als bisherige Spitzensorten liefern.“

Genug zu essen zu haben ist das eine, richtig zu essen das andere. Doch warum sind für manche Menschen bestimmte Lebensmittel besser und für andere schlechter? Dieser Frage geht Thomas Henle nach, Lebensmittelchemiker an der Technischen Universität Dresden. „Bislang wissen wir viel zu wenig über das Schicksal der Nahrung im Körper, vor allem aus chemischer Sicht“, sagt der Wissenschaftler, der als Humboldt-Gastgeber in seinem Institut häufig Stipendiaten der Stiftung betreut. In seiner Forschung konzentriert sich Henle auf das Treiben von Darmbakterien und deren Stoffwechselprodukte beim Abbau von gekochter Nahrung. Er hoffe, auf diese Weise Fehler im Verdauungsprozess und Ansatzpunkte für Therapien erkennen zu können, sagt der Dresdner Wissenschaftler: „Vielleicht gelingt es uns sogar, individuelle Darmdiäten bei ernährungsbedingten Krankheiten zu entwickeln.“

Noch eine Vision der fernen Zukunft: Das Schraubschwein zum Ausdrücken

Hannelore Daniel, die Münchner Biochemikerin, setzt auf eine andere Individualisierungsstrategie: „Die Zukunft gehört der personalisierten Ernährung, die das Zusammenspiel zwischen Nahrung, Stoffwechsel und Genen berücksichtigt.“ Ein starker Schub in diese Richtung gehe von internationalen Nahrungsmittelkonzernen aus. So hat Nestlé die personalisierte Ernährung zum neuen Unternehmensziel ausgerufen. Der amerikanische Suppenhersteller Campbell nahm im Herbst 2016 rund 32 Millionen Dollar in die Hand und investierte sie in das Start-up- Unternehmen Habit mit Sitz im Silicon Valley. Die Kalifornier entwerfen individuelle Speisepläne auf der Basis eines genetischen Selbsttests und wollen künftig vermehrt maßgeschneiderte Mahlzeiten ausliefern.

Zeit für eine Trendwende

Während in den USA die Ernährungsinnovationen boomen, kann in der klein- und mittelständisch geprägten deutschen Nahrungsmittelindustrie davon kaum die Rede sein. Die Innovationsausgaben gehen dort sogar leicht zurück (siehe Diagramm auf Seite 23) und rangierten zuletzt bei 1,3 Prozent des gesamten Branchenumsatzes. Zum Vergleich: In der deutschen Elektroindustrie lag der Anteil bei 10,4 Prozent.

Für Hannelore Daniel ist es höchste Zeit für eine Trendwende, eingeleitet durch eine deutliche Aufwertung der Ernährungswissenschaften. „Wir brauchen zum Beispiel große Studien, die den gesundheitlichen Einfluss bestimmter Ernährungsweisen im Vergleich zu Kontrollgruppen nachweisen können.“

Immerhin: Auf europäischer Ebene ist Bewegung in die Ernährungsforschung gekommen. Nach Abschluss des EU-Projekts Food4Me, mit dem Grundlagen für die Forschung zur personalisierten Ernährung geschaffen wurden, läuft aktuell ein 1,6-Milliarden-Innovationsprogramm namens EIT Food für den Lebensmittelsektor an, an dem sich 50 Universitäten, Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus ganz Europa beteiligen. „Wir wollen zum Beispiel neue Lebensmittelprodukte für eine personalisierte, gesunde Ernährung entwickeln, die auch den Bedürfnissen einer alternden Bevölkerung Rechnung tragen“, sagt Jochen Weiss von der Universität Hohenheim, einer der Gründungsdirektoren von EIT Food.

Nachdem Investoren die Agro-Food-Branche in den USA entdeckt haben, fließe heute etwa zehnmal so viel Risikokapital in diesen Bereich wie noch vor fünf Jahren. „Es ist daher mit einer Welle von amerikanischen Startups zu rechnen, die etablierte Unternehmen in Deutschland und Europa massiv unter Druck setzen werden“, sagt Jochen Weiss. Dem will EIT Food etwas entgegensetzen, etwa durch die Gründung von 350 eigenen Start-ups.

Künstliches Fleisch und Insektensnacks, Hochhausfarmen und Pizzadrucker sind wahrscheinlich erst der Anfang. In den nächsten Jahren werden wir von noch vielen neuen Ideen überrascht werden. Die Welt kann sie gebrauchen.

 

Quelle Diagramm "Innovationsintensität": Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW), Branchenreport Innovationen 2016 – Nahrungsmittel-, Getränke- und Tabakindustrie sowie Elektroindustrie

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