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KOSMOS: Herr Schlögl, Sie treten Ihr Amt zum 70-jährigen Jubiläum der Humboldt-Stiftung an, das in unruhige Zeiten fällt. Die Politik muss viele Aufgaben bewältigen, vom Umbau der Energieversorgung bis hin zu einer neuen Sicherheitsordnung. Der Wissenschaftsdiplomatie und damit der Humboldt-Stiftung drohen Mittelkürzungen in den kommenden Jahren. Welche Herausforderungen warten auf Sie als Stiftungspräsident?
ROBERT SCHLÖGL: Die momentan wichtigste ist für mich tatsächlich der Erhalt einer verlässlichen Finanzierung. Aktuell ist der Stellenwert der Alexander von Humboldt-Stiftung im politischen Betrieb nicht genügend anerkannt. Klar, den Namen der Stiftung kennt man. Fragt man dann aber, was sie eigentlich macht, herrscht Schweigen. Und es wird gedacht: Wenn man von 150 Millionen Euro Etat fünf Millionen wegnimmt, macht das doch nichts.
Wie wollen Sie die Politik vom Gegenteil überzeugen?
In Sachen Energiewende berate ich schon lange die Politik und kenne mich ein bisschen aus in dem Betrieb. Man darf den Abgeordneten nicht unterstellen, dass sie die Wissenschaft nicht schätzen. Aber wenn sie Prioritäten setzen müssen, dann entscheiden sie sich für Dinge, bei denen sie sich sicher fühlen. Schließlich müssen sie ihre Entscheidungen auch verteidigen können. Ich will mehr dafür tun, dass sich die Politikerinnen und Politiker, die für die Stiftung zuständig sind, sicher fühlen, dass sie für etwas Gutes eintreten.
Einfach ist das bei der angewandten Forschung, etwa zu grüner Energie. Der Wert des weltweiten Netzwerks der Stiftung erscheint dagegen abstrakt. Wie würden Sie der Politik seinen Nutzen erklären?
Wissenschaft funktioniert grundsätzlich nur als globale Unternehmung. Erkenntnisgewinnung durch Falsifikation geht nur, wenn man aus sehr verschiedenen Richtungen auf ein und dieselbe Sache blickt. Sind die Perspektiven fachlich oder national verengt, gehen die größeren Zusammenhänge schnell verloren. Der Klimawandel etwa berührt so viele verschiedene Aspekte, dass dessen Bekämpfung ohne eine ganzheitliche Herangehensweise vollkommen hoffnungslos würde. Das Netzwerk der Alexander von Humboldt-Stiftung ist hervorragend aufgestellt, weil es eben nicht disziplinär oder national ausgerichtet ist. Alles hängt mit allem zusammen, wie Humboldt schon sagte.
Der globale Süden ist von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen. Zugleich sind diese Länder in der Spitzenwissenschaft unterrepräsentiert, teilweise auch im Humboldt-Netzwerk…
Und das zu ändern, ist eines meiner Ziele. Exzellente Wissenschaft sollte keine Frage der Geografie sein. Aber die Umstände, unter denen man arbeitet, sind verschieden. Unsere hiesigen Vorstellungen von Exzellenz sind einfach schwer umzusetzen, wenn Sie nicht in einem hoch entwickelten Industrieland arbeiten. Ich habe beispielsweise großen Respekt gegenüber den Forschenden in Afrika, die ich kennenlernen durfte und die unter wirklich schwierigen Bedingungen Hervorragendes leisten. Afrika hat ein riesiges Potenzial, nicht nur als Lieferant von grüner Energie, sondern auch in der dazugehörigen Forschung und Entwicklung. Die Forschung in Deutschland verliert dadurch, dass wir dieses Potenzial nicht genug einbinden.
Die Stiftung hat in ihrer 70-jährigen Geschichte Alumni aus über 140 Ländern für ihr „Netzwerk des Vertrauens“ gewonnen. Im Falle Russlands oder Chinas wird nun gefragt, ob Deutschland zu blauäugig in seine Partner vertraut hat…
Der Vorwurf der Blauäugigkeit trifft aus meiner Sicht absolut zu. Ich glaube, Deutschland hat manchmal einen überbordenden Wunsch, international zu sein. Und der geht dann so weit, dass man die eigenen Interessen verrät.
Was muss sich ändern im Umgang mit einem Land wie China?
Das hat jetzt nichts mit einzelnen Personen aus China zu tun, mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten. Aber am Ende ist ein Wissenschaftssystem natürlich Teil eines Staatssystems. Und wenn das auf autokratische Weltbeherrschung ausgerichtet ist, dann muss man sich auch die Frage stellen, ob wir diesem System unser Vertrauen einfach in den Rachen werfen. Ich meine, nein. Ich bin gegen Abschottung. Aber wir müssen klare Regeln vereinbaren, zur Frage des geistigen Eigentums ganz vorneweg.
Die deutsche Bundesregierung will eine wertebasierte Außenpolitik. Muss sich die Stiftung neben wissenschaftlichen Standards auch für Menschenrechte interessieren?
Das Wertesystem in der Wissenschaft ist auf Respekt aufgebaut. Wenn ich mit einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler aus einem System zusammenarbeite, in dem das Individuum nicht wertgeschätzt wird, sehe ich einen fundamentalen Konflikt. Die Menschenwürde ist überall zu schützen. Das müssen wir klar gegenüber unseren Partnern formulieren. Wir sind Teil des westlichen Wertesystems und dieses Wertesystem muss verteidigt werden.
Ein Problem, das alle Wissenschaftssysteme betrifft, ist der Konkurrenz- und Publikationsdruck. Was bedeutet dies für die Arbeit der Stiftung?
Das ist ein echter Fehler in unserem System. Für den Erkenntnisgewinn ist es überhaupt nicht produktiv, wenn man permanent schauen muss, wo man das nächste Science Paper herbekommt, damit man den H-Faktor für den laufenden Förderantrag erreicht. Die Aufgabe der Humboldt-Stiftung, nämlich Exzellenz zu identifizieren, wird deswegen immer schwieriger. Ist Verkaufen von Wissenschaft ein Exzellenzkriterium? Ist das schon der Impact? Das ist eine sehr, sehr schwer zu beantwortende Frage, insbesondere wenn es um wirklich originelle Wissenschaft geht. Denn die hat zunächst gar keinen Impact in Form von vielen Zitationen.
Wie also wählt man in der Forschungsförderung gerecht aus?
Man muss sich die Mühe machen und individuell beurteilen, sich über die Auswahlkriterien im Klaren sein und Entscheidungen anhand von verifizierbaren Argumenten treffen. Ich würde mir generell wünschen, dass mehr über die eigentliche Sache diskutiert wird als darüber, wer was über wen geschrieben hat. Ich bin kein Freund von Gutachten, bei denen man ganz genau lesen muss, welche Wortwahl im letzten Satz benutzt wurde, um herauszufinden, was der Gutachter oder die Gutachterin uns sagen will.
Die genaue, oder besser, die vermeintlich richtige Wortwahl wird auch im universitären Diskurs immer wichtiger. Wie wichtig ist Ihnen Political Correctness?
Ich sehe eine Tendenz, die Wissenschaft solle sich bitte so verhalten, wie sich Teile der Gesellschaft das wünschen. Ich finde das schlimm. Denn gerade die Wissenschaft muss eigentlich der Ort des freien Diskurses sein, und gerade die Universität ein Ort, wo man einübt, unterschiedliche Standpunkte auszuhalten und sie auch auszudiskutieren.
Es gibt Hinweise darauf, dass vielfältig zusammengesetzte Teams bessere Ergebnisse erzielen. Muss Diversität ein Ziel sein, um die Qualität der Forschung zu steigern?
Wenn man bei der Auswahl von Personen unvoreingenommen nach Qualität gehen würde, würde sich das von selbst erledigen. Ich kenne das bei Musikern, die müssen hinter einem schwarzen Vorhang vorspielen. Da weiß man nichts über die Eigenschaften der Person. Man hört nur die Musik und danach wird entschieden. Das wünschte ich mir manchmal in der Wissenschaft auch so. Denn wir alle haben Vorurteile und lassen uns von ihnen leiten. Gerade die deutsche Gesellschaft ist wenig vorurteilsfrei.
In welchen Ländern ist das besser?
Beispielsweise sind die USA, Australien, auch England, drei Länder, in denen ich eine gewisse Lebenserfahrung gesammelt habe und weniger Vorurteile beobachten konnte. Das mag zwar nur oberflächlich so sein, aber das Onboarding von Menschen aus anderen Kulturen geht jedenfalls viel leichter als bei uns.
Sie sind gelernter Maurer. Sind Ihnen selbst deswegen Vorbehalte im Forschungsbetrieb begegnet?
Nein. Man muss dazu sagen, ich habe meine Lehre parallel zu meiner Schulbildung gemacht. Die Schule hat mich damals absolut nicht interessiert. Also habe ich geschwänzt und bin auf die Baustelle gegangen. Meine Eltern mussten viele Entschuldigungen schreiben. Mein Abitur war am Ende trotzdem gut, aber ich habe natürlich schwere Bildungslücken davongetragen (lacht). Dafür habe ich eine andere Lebenswirklichkeit kennengelernt. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit.
Ihr Forschungsgebiet ist die Energiewende. Wie gut ist Deutschland für den Wandel gerüstet?
Bei der Energiewende ist Verlässlichkeit extrem wichtig. Denn es geht um Anlagen, die groß sind, teuer, auch gefährlich. Da darf man keine Fehler machen. Das ist etwas, was wir in unserem Land gut können, also mit großen, komplexen Systemen umgehen und diese verlässlich designen. Wo wir uns dagegen schwertun, ist, die Schnittstelle zwischen Regulation und Technologie richtig hinzubekommen.
Inwiefern?
Wir hören jeden Tag, wir müssen schneller werden. Und gleichzeitig schaffen wir in Deutschland neue Regeln, die uns bremsen. Da werden neue LNG-Terminals in Betrieb genommen und erhalten aus irgendwelchen Gründen anfangs nur die Genehmigung, vier Stunden am Tag zu laufen. Was soll das? Kein Land der Welt würde auf die Idee kommen, für den Fall eines Gasnotstands der Abhilfe so eine Begrenzung aufzuerlegen.
Ist Überregulierung ein deutscher Standortnachteil?
Wir schränken uns durch regulatorische Rahmenbedingungen einfach irrsinnig ein. Da ist viel Ideologisches unterwegs, und das ist völlig unbrauchbar, wenn man neue Lösungen sucht. Das ist ein Nachteil gegenüber Konkurrenten wie den USA. Dort gehen sie hemdsärmeliger an die Sache ran, machen dabei möglicherweise auch ganz viele Fehler. Aber sie machen es halt – schnell und pragmatisch. Beides sind keine charakteristischen Eigenschaften des deutschen Systems. Wir brauchen einen vernünftigen Mix aus deutscher Gründlichkeit und amerikanischem Hands-on! Das ist das Gute am Wissenschaftsaustausch à la Humboldt. Wir können viel voneinander lernen.