Forschung hautnah

Der Linguist

Kofi Yakpo war einst eine Größe im Deutsch-Rap. Heute forscht er als Linguistik-Professor zur Entstehungsgeschichte von Kreolsprachen und deckt dabei auch das koloniale Erbe seines Faches auf.

  • vom 
  • Text: Marlene Halser
Kofi Yakpo, seine Band Advanced Chemistry und andere Personen beim Videodreh zu dem Musikvideo "Fremd im eigenen Land"
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Kofi Yakpo

Professor Dr. Kofi Yakpo ist Associate Professor für Linguistik an der University of Hong Kong, China. 2020/21 war er Humboldt-Forschungsstipendiat am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Unter dem Künstlernamen „Linguist“ schrieb er mit seiner Band Advanced Chemistry Musikgeschichte. Yakpo verfasste zudem Theaterstücke und Kurzgeschichten und wurde 2004 mit dem May Ayim Award für schwarze Literatur ausgezeichnet.

Humboldt-Forschungsstipendium

Schon zweimal im Leben hat sich Kofi Yakpo als Linguist einen Namen gemacht. Einmal als Rapper der deutschen Hip-Hop-Combo Advanced Chemistry. „Der Linguist“ war damals sein Künstlername. Die 1992 erschienene Single „Fremd im eigenen Land“ machte die Band berühmt. Seine wissenschaftliche Karriere begann er indes erst kurz vor seinem 40. Geburtstag.

Seit 2013 lehrt Yakpo als Linguistik-Professor an der Universität in Hongkong und erforscht afrokaribische Kreolsprachen: Sprachen also, die entstehen, wenn zwei oder mehr Sprachen aufeinandertreffen und sich zu einer neuen vermischen. Diese Form der Hybridisierung ist während der Kolonialzeit entstanden, oft unter Zwang, wie Yakpo erklärt. Und obwohl weltweit bald 200 Millionen Menschen Kreolsprachen sprechen, sind sie im Gegensatz zu europäischen Sprachen bislang oft noch unzureichend erforscht.

Damals habe ich gedacht, wenn ich auf der Bühne stehen und ein Publikum von 1 000 Leuten unterhalten kann, dann kann ich auch Professor werden.
Kofi Yakpo, Associate Professor für Linguistik an der University of Hong Kong

Dass es in Yakpos Leben überhaupt diese zweite Karriere als Forscher gibt, habe nicht nur mit seinem immensen Interesse an Sprachen zu tun, sagt er, sondern auch mit seiner Hip-Hop-Attitüde: „Als Hip-Hopper hatten wir die Einstellung: Ich bin large, ich bin groß. Wir trauten uns immer schon viel zu.“ Yakpo ist während des Gesprächs per Videokonferenz gerade in Nairobi, Kenia, wo er die sprachlichen Varianten des Swahili untersucht.

Der Wendepunkt, der Moment also, in dem er beschloss, sich ganz und gar der Wissenschaft zu widmen, kam 2008. Yakpo arbeitete als politischer Berater zum Thema Nahrungssicherheit in Afrika für den damaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Thilo Hoppe. „Ich habe eine Art Doppelleben geführt“, sagt er und lacht. Ein Leben war seine Arbeit im Bundestag. Das andere seine linguistische Forschung. Nebenbei habe er damals seine Doktorarbeit verfasst: die erste voll ausgearbeitete Grammatik des Pichi, einer afrokaribischen Kreolsprache. Die fertige Arbeit habe er den Kolleg*innen im Bundestag gezeigt, erzählt Yakpo. „Einer blätterte sie durch und sagte: 'Ich verstehe überhaupt nichts. Das ist ja was komplett anderes als das, was du hier machst. Entweder du bist ein Hochstapler, oder du hast eine gespaltene Persönlichkeit.'“ Da, meint Yakpo, sei ihm bewusst geworden, dass er sich für die Linguistik entscheiden müsse, seine wahre Leidenschaft.

Grenzen haben wir nicht akzeptiert

Kofi Yakpo mit Jugendlichen an einem Laptop im Freien
Feldforschung: Kofi Yakpo 2012 mit Bhojpuri sprechenden Jugendlichen auf Mauritius. Bhojpuri kam durch Migration während der britischen Kolonialzeit nach Mauritius und ist heute die zweithäufigste Sprache dort.

„Damals habe ich gedacht, wenn ich auf der Bühne stehen und ein Publikum von 1 000 Leuten unterhalten kann, dann kann ich auch Professor werden“, sagt Yakpo und muss wieder lachen. Da habe sein Hip-Hop-Alter Ego gesprochen: „So waren wir in der Hip-Hop-Szene. Wir wussten, dass es Grenzen gibt, aber wir haben sie nicht akzeptiert.“

Nach drei Jahren als Postdoc in Holland sah er sich weltweit nach Stellen um. „Der deutsche Wissenschaftsbetrieb war mir zu kompliziert und zu intransparent“, erklärt Yakpo. „Ich habe nicht verstanden, wie man in Deutschland als Forscher vorwärtskommen kann, also habe ich mich dort gar nicht erst beworben.“ In Hongkong, wo er jetzt lehrt und forscht, seien die Aufstiegschancen klar festgelegt. „Hier bist du erst Student, dann Assistant Professor und dann Professor“, sagt Yakpo. Auch die Zeiträume zwischen den einzelnen Schritten seien geregelt. „Diese ganzen Zwischenpositionen und befristeten Stellen wie in Deutschland gibt es hier nicht.“

Ein weiterer Punkt, der Yakpo am deutschen Forschungsbetrieb auffällt: zu wenig Diversität. Selbst in der Afrikaforschung sei zu beobachten: Je höher die Stellen, desto weniger divers seien sie besetzt. Eine Beobachtung, die er nicht nur in Studienzeiten gemacht hat. Auch als Humboldt-Forschungsstipendiat an der Berliner Humboldt-Universität 2020/21 habe er in Sachen Diversität kaum Veränderungen in der deutschen Wissenschaft erkennen können.

Hört man Kofi Yakpo zu, wird schnell deutlich: Deutschland, das Land, in dem er geboren ist, hat er letztlich schon immer als zu eng empfunden. Geografisch zum einen. Aber vor allem mental: „Deutschland ist ein bisschen wie die USA in Europa. Man blickt nur nach innen und nicht nach außen.“

Yakpo kommt im niedersächsischen Holzminden zur Welt, verbringt aber seine Kindheit in Ghana. Deutsch ist seine Muttersprache. In Ghana kommt er erstmals mit der Sprache seines Vaters in Kontakt – Ewe. Als Yakpo zehn Jahre alt ist, zieht die Familie zurück nach Deutschland, nach Heidelberg. Dort eignet er sich selbstständig die Ewe-Grammatik mit einem alten Schulbuch aus dem Bücherschrank seiner Eltern an. Er sei damals ein Sprachen-Nerd gewesen. „Meine erste Leidenschaft war Latein.“ Bald kam Französisch dazu. Mit 15 leiht er sich erste Bücher über Sprachen in der Unibibliothek aus: Grammatiken des Fidschianischen, des Tok Pisin, der Nationalsprache Papua-Neuguineas, oder des Yoruba, einer der drei großen Verkehrssprachen in Nigeria. „Ich hatte damals die Illusion, ich könnte jede Sprache in kurzer Zeit lernen“, sagt Yakpo. Gleich nach dem Zivildienst schreibt er sich an der Uni Köln für ein Linguistik-Studium ein.

Hip-Hop gegen Rassismus

Auf der Bühne war er damals längst der Linguist. 17 Jahre alt ist Kofi Yakpo, als er zusammen mit vier Freunden die Hip-Hop-Gruppe Advanced Chemistry gründet. Die Band schrieb mit ihren politischen Texten deutsche Rap-Geschichte. Das Lied „Fremd im eigenen Land“ geht ein auf rassistische Strukturen in Deutschland jener Zeit: Eine populistisch geführte öffentliche Asyldebatte, rassistische Morde und Brandanschläge in Rostock, Mölln, Solingen und Hoyerswerda waren damals die zentralen Themen in der Gesellschaft.

„All das Gerede von europäischem Zusammenschluss / Fahr ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus / Frag ich mich warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss / Identität beweisen muss“, reimten Advanced Chemistry vor mittlerweile 30 Jahren. Zeilen, die auch heute noch Aktualität haben. Damals wie heute habe es migrantischen Communities in Deutschland an echter gesellschaftlicher Teilhabe gefehlt, so Yakpo.

Mitte der 1990er-Jahre verabschiedete er sich aus der Musik, begann auf Reisen zu gehen und für seine Magisterarbeit zu forschen. Sein erstes Ziel war Vanuatu, ein Inselstaat im Südpazifik. „Von dieser Reise kam ich total euphorisch und aufgeladen zurück nach Deutschland“, erinnert sich Yakpo. Er habe weiterforschen wollen, aber nicht gewusst, wie. „Promotion, Habilitation: Der gesamte Prozess war für mich unklar.“ Er hätte damals Rat gebraucht, eine*n Mentor*in. Doch eine solche Person gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.

Die mangelnde Perspektive habe ihn damals desillusioniert. Deswegen schlug Yakpo zunächst eine vollkommen andere Richtung ein. „Raus aus dem engen Deutschland“, wie er sagt. Er studierte Management und Jura in Genf und London. Im Anschluss arbeitete er für die Menschenrechtsorganisation FIAN International (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) und schließlich für die Grünen im Bundestag in Berlin.

Heute vereint Kofi Yakpo in Hongkong die verschiedenen Elemente seines Lebens in seiner wissenschaftlichen Arbeit: Statt Hip-Hop-Rhymes sind es mittlerweile seine Forschungsergebnisse, die koloniale Strukturen aufzeigen und rassistische Mythen entlarven.

Sprache ist in Europa etwas, das sich nicht verändern darf. In Westafrika ist das nicht so.
Kofi Yakpo, Associate Professor für Linguistik an der University of Hong Kong

Ein solcher Mythos etwa lautet, dass Kreolsprachen vereinfachte Sprachen seien. Yakpo konnte nachweisen, dass viele Kreolsprachen Tonsprachen sind, in denen die Tonhöhe die Bedeutung eines Wortes und die Grammatik verändert. Ein Konzept, das es in europäischen Sprachen nicht gibt. „Hinter der Annahme, Kreolsprachen hätten kein Tonsystem, steckt der Gedanke: Weil wir das nicht kennen, ist es kompliziert. Und weil in die Sklaverei verschleppte Afrikaner*innen ‚kompliziert‘ nicht können, können Kreolsprachen keine Tonsprachen sein“, sagt Yakpo. Sein Forschungsfeld ist innerhalb der Linguistik hochpolitisch und brisant: Es thematisiert koloniales Erbe und damit oft auch rassistisches Gedankengut und stereotype Grundannahmen innerhalb des eigenen, häufig eher eurozentrisch aufgestellten Fachs.

In Afrika darf sich Sprache verändern

Kofi Yakpo spricht in ein Mikrofon, junge Menschen sitzen an Tischen.
Ein Workshop zur Sprachdokumentation 2019 an der Universität Malaya, Malaysia.

Als Humboldt-Forschungsstipendiat in Berlin verfolgte er jüngst einen weiteren Strang: „Ich wollte wissen, wie sich Sprachen entwickeln, die nicht durch Verschriftlichung oder durch staatliche Instanzen standardisiert sind.“ Auch eine strenge Normierung von Sprache sei letztlich ein europäisches Konzept. Sprache werde in Europa als etwas gesehen, das sich nicht verändern dürfe. „In Westafrika ist das nicht so“, sagt Yakpo. „Da ist Variation der Normalzustand.“

Auch sozioökonomische Aspekte sind Teil seiner Forschung. Yakpo fand heraus, dass Teilhabemöglichkeiten und Aufstiegserwartungen beeinflussen, wie stark Sprachen bei der Hybridisierung verändert werden. Dazu hat er das Konzept der sozialen Verankerung entwickelt. Yakpo konnte nachweisen, dass zum Beispiel das nigerianische Pidgin, das heute von 100 bis 150 Millionen Menschen gesprochen wird, höchstwahrscheinlich auf eine kleine Krio sprechende Gemeinschaft aus Sierra Leone zurückgeht: ehemals versklavte Afrikaner*innen, die im 19. Jahrhundert vor der Küste Westafrikas von der britischen Navy aus illegalen Sklaventransporten befreit und nach Freetown gebracht worden waren. „Sie nahmen in der damaligen britischen Kronkolonie und in ganz Westafrika eine Art Mittlerrolle zwischen zwei gesellschaftlichen Schichten ein“, erklärt Yakpo. „Sie waren Lehrer, Missionare und Händler mit privilegiertem Zugang zum britischen Kolonialsystem und zur afrikanischen Gesellschaft zugleich.“ Ihr hohes soziales Prestige war Anreiz für die nigerianische Mehrheitsgesellschaft, ihre Sprache zu erlernen. „Die Sprecher*innen der Minderheitensprache Krio hatten ein Interesse an sozialer Interaktion mit der Mehrheitsbevölkerung,“ so Yakpo.

Das sei aber eben nicht immer der Fall, wie die Geschichte der Hybridisierung von Sprache und Kultur in der Karibik zeige. „Die Hierarchie, die durch das koloniale System und die Versklavung entstand, war so scharf, dass die Afrikaner*innen, die in Ketten in der Karibik ankamen, kein Interesse hatten, die Sprache der Kolonialherren zu lernen.“ Also, sagt Yakpo, hätten sie das Englische schnell stark verändert: „Eine Art Gegenreflex, weil es keine Möglichkeit der Partizipation und des sozialen Aufstiegs gab.“ Auch dieses Ergebnis widerspricht der landläufigen These, versklavte Afrikaner*innen in der Karibik wären nicht fähig gewesen, korrekt Englisch zu lernen und hätten die aufgeschnappten Fetzen aus der Not heraus vereinfacht und mit ihren eigenen Sprachen ergänzt.

Worum es Yakpo in seiner Forschung letztlich geht, ist Agency, um die Frage der Handlungs- und Widerstandsfähigkeit von Afrikaner*innen, um eine Sprachforschung, die Sprecher*innen von Kreolsprachen als handelnde Subjekte begreift. Um diese fachinterne Debatte zu führen, battle er sich auch gerne öffentlich mit jedem „Bling-Bling-Linguisten“, wie er es formuliert. Mit Forschenden, die stark vereinfachte Thesen vertreten, um Aufmerksamkeit zu generieren. „Solche Debatten machen mir Spaß“, sagt er. Auch hier kann Kofi Yakpo, der Linguist, von seinem Hip-Hop-Alter Ego profitieren.

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