Forschung hautnah

Die versteckten Kosten der Gewalt

Die Humboldt-Professorin Anke Hoeffler erforscht die Ursachen von Gewalt – ob in Bürgerkriegen oder im eigenen Wohnzimmer – und was sie am Ende kostet.

  • vom 
  • Text: Marlene Halser
Binnenflüchtlingscamp Hasan Sham
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Anke Hoeffler lässt sich in ihrer Forschung nicht so leicht beirren. Fast scheint es, als folge die Ökonomin und Politikwissenschaftlerin in ihrer Arbeit einem inneren Kompass. Wenn ein Thema sie gepackt hat, schreckt sie auch vor Hindernissen nicht zurück. Beharrlichkeit brauchte Hoeffler, auch um ihr Forschungsthema in ihrer Disziplin zu etablieren. Sie erforscht die Ursachen von Gewalt und Kriegen. „Dabei vertraue ich auf das, was ich statistisch belegen und berechnen kann“, sagt sie.

Es sind ihr Blick für Themen von globaler Wichtigkeit und ihre Unbeirrbarkeit, mit denen sich Anke Hoeffler als Preisträgerin der Alexander von Humboldt-Professur empfohlen hat. 2019 wurde ihr der mit bis zu fünf Millionen Euro höchstdotierte Forschungspreis Deutschlands verliehen. Damit ist sie eine von bislang 84 internationalen Spitzenforschenden (Stand Dezember 2020), die die Alexander von Humboldt-Stiftung seit 2008 mit diesem Programm an deutsche Universitäten geholt hat – auch, um die oft verkrusteten Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems aufzubrechen und es mit neuem interdisziplinärem Geist zu beleben.

Anke Hoeffler sitzt in einem geräumigen Wohnzimmer mit großer Fensterfront an ihrem Laptop. Es sind die letzten Tage des Sommerurlaubs der Wissenschaftlerin im britischen Oxford, wo sie bis vor kurzem am Centre for the Study of African Economies tätig war. Umgezogen nach Konstanz, wo sie inzwischen als Humboldt-Professorin forscht, ist sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen schon im Januar 2019.

„Mein Leben hätte an einigen Stellen auch ganz anders verlaufen können“, sagt sie und führt als Beispiel ihren viel beachteten Artikel „Greed and grievance in civil war“ an, den sie 2004 gemeinsam mit dem britischen Entwicklungsökonomen Paul Collier in den Oxford Economic Papers veröffentlichte. Nicht zuletzt wegen dieses Aufsatzes zählt Hoeffler mittlerweile zu den meistzitierten Gesellschaftswissenschaftler* innen weltweit. Dabei wäre dieser Text beinahe nie in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden.

In dem Aufsatz, der Grundstein ihrer Karriere wurde, zeigt die Entwicklungsökonomin, dass letztlich nicht politische Missstände und soziale Ungleichheit zu Bürgerkriegen führen. Viel wichtiger, so schrieben Hoeffler und Collier Anfang der 2000er-Jahre, sei stattdessen, ob sich ein Bürgerkrieg finanzieren lässt. Wo kein Geld fließe, gebe es auch keinen Krieg.

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PROFESSORIN DR. ANKE HOEFFLER forscht seit 2019 mit einer Humboldt-Professur an der Universität Konstanz. Zuvor war sie Research Officer am Centre for the Study of African Economies der University of Oxford, Vereinigtes Königreich. Hoefflers Forschungen wurden unter anderem von der Weltbank und der Europäischen Kommission gefördert. Hoeffler ist Mitglied des African Economic Research Consortium (AERC) und des Peace Research Institute Oslo (PRIO).

Folgt man der Spur des Geldes, wird es brisant

Anke Hoeffler an ihrem Schreibtisch
Anke Hoeffler

„Motivation alleine reicht nicht für einen Krieg“, sagt Hoeffler. Kleine Gruppen von Menschen, die das System stürzen wollen, gebe es im Grunde in jedem Land. „Ob daraus tatsächlich eine Macht wird, die dem Staat gefährlich wird, hängt ganz stark von finanzieller Unterstützung ab“, erklärt sie. „Damit ein bewaffneter Konflikt entsteht, müssen Sie so einer Gruppierung Geld geben und sie bewaffnen, oder etwas anderes in Aussicht stellen.“

„Damit ein bewaffneter Konflikt entsteht, müssen sie so einer Gruppierung Geld geben und sie bewaffnen.“
Anke Hoeffler, Humboldt-Professorin an der Universität Konstanz

Frage man aber, woher das Geld für Bürgerkriege komme, werde es politisch brisant. Man lande beispielsweise bei organisierter Kriminalität. Nicht selten seien auch andere Nationen involviert. Stellvertreterkriege entstünden, die ohne externe Finanzierung nicht möglich wären. Hoeffler sagt, das sei ein Grund, warum sie und ihr Kollege Collier einst für ihren Artikel fünf Jahre lang keine angesehene wissenschaftliche Zeitschrift zur Veröffentlichung fanden. „Bürgerkriege galten einfach nicht als Thema, mit dem sich die Wirtschaftswissenschaft befasst.“

Ihre Hartnäckigkeit hat möglicherweise auch dazu geführt, dass Anke Hoeffler heute zu den wenigen weiblichen Spitzenforscherinnen mit einer Humboldt-Professur zählt. Der niedrige Frauenanteil bei den Nominierungen und Berufungen in dem Programm ist auch der Humboldt- Stiftung schmerzlich bewusst. Nur 15 der bislang 84 berufenen Humboldt-Professor*innen sind Frauen, und das, obwohl die Stiftung ausdrücklich für die Nominierung von Forscherinnen wirbt. Ein Geschlechterverhältnis, das Hoeffler auch aus ihrem eigenen Fachgebiet kennt. „Als ich in Würzburg Volkswirtschaftslehre studiert habe, gab es dort keine einzige Professorin“, sagt sie . Die erste Frau in der wissenschaftlichen Lehre habe sie 1992 in Großbritannien erlebt.

Nachdem die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union im Jahr 1992 möglich geworden war, hatte Hoeffler die Chance ergriffen, war nach London gezogen, und hatte sich dort für einen zusätzlichen Master in Ökonomie eingeschrieben. Das Korsett der deutschen Studieninhalte empfand sie damals als zu eng und zu national ausgerichtet. Sie habe mit der angelsächsischen Forschung, die damals in ihrem Fachgebiet tonangebend war, mithalten wollen. Ihre Rückkehr nach Deutschland sei nun angesichts des Brexits nur folgerichtig, sagt sie. Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hätten sich die Freiräume für die Forschung verringert.


Karriere trotz Familie und Teilzeit

„Den Mangel an weiblichen Vorbildern hätte ich in meinen Studienjahren nie von mir aus so formuliert“, erinnert sich Hoeffler. „Aber als ich die erste Professorin in London erlebt habe, war ich positiv überrascht.“ Hoeffler selbst hat zehn Jahre ihrer Forschungskarriere in Teilzeit gearbeitet. Als die beiden Söhne klein waren, hatte sie zugunsten der exponierten Position ihres Mannes zurückgesteckt. Ein weiterer Punkt in ihrer Biografie, an dem vieles hätte scheitern können, sagt sie. Die Qualität ihrer Arbeit hat unter der Teilzeitarbeit nicht gelitten – wohl aber ihre Aufstiegschancen im Wissenschaftsbetrieb.

„Dass ich nur halbtags gearbeitet habe und meine Stelle komplett durch Drittmittel finanziert war, hat dazu geführt, dass ich nie eine feste Position bekam“, sagt Hoeffler. „Als ich mich nach einer Vollzeitstelle umgesehen habe, konnten das viele Personalabteilungen, Kolleginnen und Kollegen nicht einordnen.“ Insofern bedeutet die Humboldt- Professur, die auf fünf Jahre ausgelegt ist und im Anschluss in eine feste Stelle übergehen soll, neu gewonnene Planungssicherheit.

Ein Rezept für mehr Frauen in der Spitzenforschung habe sie trotzdem nicht, sagt Hoeffler. Generell sei ihr persönlich Förderung, die sich allein nach dem Geschlecht ausrichte, suspekt. Stattdessen würde sie Diversität im Forschungsbetrieb sehr viel weiter gefasst angehen. „Ganz andere Faktoren als nur das Geschlecht können genauso ausschlaggebend dafür sein, ob jemand Erfolg hat oder nicht“, sagt sie. Ein junger Mann aus einer abgehängten Region, der als erster in seiner Familie studiert, könne es de facto schwerer haben, als eine Frau, die, wie sie selbst, aus einem akademischen Umfeld stammt. Leider sei Diversität derzeit noch vor allem kosmetisch, kritisiert sie. „Wir müssen neue, inklusive Wege finden, um Wissen zu vermitteln – auch solches, das Zusammenhänge findet, statt nur in die Tiefe zu gehen. Und wir müssen dieses Wissen dann auch anders abfragen.“

Hoefflers eigenes Forschungsgebiet hat sich über die Jahre stark erweitert. Beim Thema Gewalt ist sie geblieben. Jedoch hat sie 2015 eine entscheidende Entdeckung gemacht: Nicht Kriege und Bürgerkriege kosten weltweit die meisten Menschenleben, fand sie damals bei Forschungen im Auftrag der Vereinten Nationen und im Rahmen ihrer Mitarbeit an den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN heraus. Weitaus mehr Menschen werden Opfer alltäglicher Gewalt. Nur haben weder die Politik noch die Zivilgesellschaften diese vermeintlichen Einzelschicksale und deren Folgen und Kosten für die gesamte Gesellschaft im Blick.

„Vor allem häusliche Gewalt betrifft überdurchschnittlich oft Frauen und Kinder.“
Anke Hoeffler, Ökonomin und Politikwissenschaftlerin

Gewalt in den eigenen vier Wänden wird oft übersehen

„Wenn man sich immer nur Bürgerkriege ansieht, dann vergisst man, dass in den meisten Ländern dieser Welt Frieden herrscht“, sagt Hoeffler. „Was wir dabei auch übersehen, ist das Ausmaß von Mord und Totschlag und häuslicher Gewalt, das auch in friedlichen Ländern schreckliche Folgen hat.“ Vor allem häusliche Gewalt betrifft überdurchschnittlich oft Frauen und Kinder. 12 Prozent aller Frauen weltweit erleben Gewalt durch ihren Intimpartner. Und weltweit 311 Millionen Kinder – 17,5 Prozent – werden Opfer schwerer körperlicher Strafen, wie Hoeffler in einer 2017 veröffentlichten Studie ermittelt hat. Je ärmer die Menschen sind, umso höher ist die Gewaltrate, zeigen ihre Datenanalysen. Die Folgekosten dieser alltäglichen oder auch interpersonellen Gewalt zu errechnen, hat sie sich zum Ziel gesetzt – ebenso wie fächerübergreifend mit anderen Forschenden Lösungen zu entwickeln, um die Gewaltursachen zu beheben.

Das Sommersemester 2020 hatte Anke Hoeffler für ihre Humboldt-Professur in Konstanz schon komplett durchgeplant. Mithilfe des Preisgeldes soll dort um Hoeffler herum ein neues Zentrum für „Conflict Research and Development Policy“ entstehen. Doch dann legte COVID-19 alles lahm. „Die Möglichkeit, selbst Feldforschung in einer ganzen Reihe von Ländern zu betreiben, zum Beispiel in Haiti, Ghana und Kenia, war das große Geschenk der Humboldt- Stiftung an mich“, sagt Hoeffler. Doch nun sei derzeit keine dieser Studienreisen durchführbar.

Aus der Not geboren, untersucht Hoeffler deshalb kurzerhand die weltweiten Auswirkungen der Pandemie. Gemeinsam mit Forschenden aus Helsinki und Berlin hat sie eine Online-Studie entwickelt, bei der Menschen auf der ganzen Welt befragt werden, wie sie die Pandemie erleben. Innerhalb der ersten sechs Monate nahmen knapp 12 000 Menschen aus mehr als 130 Ländern teil. Die Erhebung bietet ein erstes globales Stimmungsbild der Krise – mit zum Teil überraschenden Ergebnissen: Beispielsweise geben auch junge Erwachsene mehrheitlich an, die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung einzuhalten. Das verbreitete Image von jungen Menschen als sorglosen Superspreadern sei damit widerlegt, schreiben Hoeffler und ihre Kolleg*innen.

Weniger überraschend ist das Ergebnis, dass vor allem Frauen angaben, von den zusätzlichen Belastungen, die die Krise innerhalb der Familie mit sich bringe, betroffen zu sein. „Interessant ist auch, dass global gesehen die meisten Menschen sagen, ein Impfstoff solle in allen Ländern gleichzeitig zur Verfügung stehen“, berichtet Anke Hoeffler. „Nur in den USA ist eine Mehrheit dafür, dass ein Impfstoff dort zuerst angewendet wird.“

Das Thema Gewalt hat die Ökonomin auch bei diesem Projekt im Blick. Vieles deute darauf hin, dass die Zahlen von häuslicher Gewalt während der Pandemie steigen, sagt sie. Auch hier seien vermutlich vor allem Frauen und Kinder betroffen. In einem zweiten Fragebogen will Hoeffler dem weiter nachgehen. Unter anderem möchte sie wissen, wie sicher sich die Teilnehmenden während der Pandemie zu Hause im Vergleich zu draußen fühlen. Hoeffler bleibt auch hier beharrlich. Selbst von einer weltweiten Krise lässt sie sich nicht zurückwerfen.

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