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Professorin Dr. Ulinka Rublack lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit am St John’s College in Cambridge, Vereinigtes Königreich. 2018 wurde sie mit dem Reimar Lüst-Preis der Humboldt-Stiftung und der Fritz Thyssen Stiftung ausgezeichnet. Die gebürtige Deutsche gilt als ausgewiesene Expertin für Reformationsgeschichte und Kultur- und Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit. Mit ihrer Rekonstruktion des Hexenprozesses gegen die Mutter des Astronomen Johannes Kepler erreichte Rublack auch in Deutschland ein breites Publikum. Jüngst wurde sie für die Monographie mit dem Historikerpreis des Historischen Kollegs in München ausgezeichnet. Die Historikerin ist Mitglied der British Academy.
Wolfenbüttel, an einem regnerischen Nachmittag im Frühling. An den langen Tischen im Lesesaal der Herzog August Bibliothek sitzen nur wenige Wissenschaftler; sie blättern in alten Schriften und tippen Notizen in ihre Laptops. In der ersten Reihe beugt sich eine Frau mit langem, hellblondem Haar über ein ledergebundenes Buch. Das muss sie sein, Ulinka Rublack: Geschichtsprofessorin im britischen Cambridge, Reimar Lüst-Preisträgerin und Autorin der hochgelobten Rekonstruktion des Hexenprozesses gegen die Mutter von Johannes Kepler, deren Verteidigung der berühmte Astronom selbst übernahm.
Rublack ist Expertin für die europäische Geschichte der Frühen Neuzeit. „Die Zeit zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert ist eine der großen Epochen des Umbruchs“, sagt die 52-jährige Historikerin und erinnert an die Reformation und die Medienrevolution, die der Buchdruck auslöste, das Aufkeimen der Naturwissenschaften, an große Entdeckungsreisen und die beginnende Globalisierung. Damals richteten die Fürsten an ihren Höfen Experimentierstuben ein und füllten Wunderkammern mit Korallen, Kristallen und Kuriositäten aus aller Welt. Beschafft wurden sie von kunstsinnigen Kaufleuten wie Philipp Hainhofer aus Augsburg, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die zunehmende Nachfrage nach originellen Objekten bediente. Um ihn und sein weitgespanntes Netzwerk in ganz Europa geht es im nächsten Buch der Historikerin. Und deshalb reist sie in diesen Monaten so häufig nach Wolfenbüttel. Denn nur in der Augusta, so der Kurzname der berühmten Bibliothek, sind die um 1600 entstandenen gut 50 Bände mit Aufzeichnungen von Hainhofer zugänglich. Der Kunsthändler führte über alles Buch – ob es die Eindrücke auf Reisen nach Italien oder Pommern waren, das Warenangebot von Handelsmessen oder seine Gedanken zum Stellenwert der Malerei im Zeitalter von Kunst- und Wunderkammern.
„Zum Glück sind die meisten Bücher in gut leserlicher Frakturschrift verfasst“, sagt Ulinka Rublack. Anders bei der Korrespondenz Hainhofers: Um ein paar Seiten der oft schnell hingeworfenen Zeilen zu verstehen, ist schon mal ein ganzer Arbeitstag erforderlich. Die Historikerin sitzt dann in der Bibliothek und überträgt große Teile des Originalmanuskripts in ihre Unterlagen. Dabei, so berichtet sie, spüre sie den Themen nach, die sich aus den Quellen ergeben und setze sie in Beziehung zu ihren Forschungsfragen.
Beobachten konnte sie diese Arbeitsweise bei ihrem Vater, einem Tübinger Reformationshistoriker. „Er war ein wunderbar ausdauernder und quellennaher Wissenschaftler, der stets neue Perspektiven auf die Geschichte entwickelte“, berichtet Rublack, die nahe Tübingen geboren wurde. Später, als sie in Hamburg studierte, habe er ihr Interesse an der Frühen Neuzeit geweckt und immer wieder neu belebt – auch als sie Mitte der 1990er-Jahre ihre Arbeit am St. John’s College aufnahm und in Cambridge Wurzeln schlug. „Mein Vater verstand es, Abstand und Unterstützung richtig zu dosieren“, sagt die Mutter von zwei Kindern im Teenageralter. „Und“, ergänzt sie dankbar, „er hat mein Vertrauen in meine Originalität gestärkt.“
Keplers Mutter drohte der Scheiterhaufen
Der Mut zu eigenen Sicht- und Herangehensweisen ist es denn auch, der Ulinka Rublack internationales Renommee eingebracht hat. Sie ist Mitglied der British Academy, leitet die britische Gesellschaft zur Erforschung der deutschen Geschichte und erhielt den Reimar Lüst-Preis 2018. Die Auszeichnung wird gemeinsam von der Humboldt- Stiftung und der Fritz Thyssen Stiftung vergeben – in diesem Fall für ein Lebenswerk, das die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu Deutschland stärkt. Das gelingt der Historikerin mit deutschem und britischem Pass, indem sie ihre drei großen Themen – Reformations-, Geschlechter- und Globalgeschichte – meist in deutschen Regionen verankert und mikrogeschichtliche Entwicklungen im Kontext des großen Ganzen betrachtet.
Meisterhaft umgesetzt hat sie das in ihrer Studie über Johannes Kepler und seine Zeit. Die verwitwete Mutter des berühmten Astronomen, Katharina Kepler, wird 1615 der Hexerei bezichtigt und angeklagt. Dahinter stehen einflussreiche Nachbarn im württembergischen Leonberg, die Katharina die Schuld an Krankheitsfällen in ihren Familien zuschieben. Der 68-jährigen, für damalige Verhältnisse hochbetagten Frau droht der Scheiterhaufen. Die brennen im ganzen Land: Allein zwischen 1580 und 1650 kommen im Heiligen Römischen Reich 25 000 Menschen so zu Tode, die meisten von ihnen sind ältere Frauen. Als das Verfahren gegen Katharina Kepler sich hinzieht, wenden sich selbst ihre Kinder von ihr ab – nur der älteste Sohn hält noch zu ihr. Johannes Kepler ist 45 Jahre alt und als kaiserlicher Astronom und Entdecker der elliptischen Umlaufbahnen der Planeten ein bekannter Mann. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens setzt er ein Jahr aus und nimmt die Verteidigung seiner Mutter in seine Hand. Schließlich wird die geschundene und doch unbeugsame Frau freigesprochen.
Lebenspralle Szenen und Zitate
Ulinka Rublacks Buch über diese wenig bekannte Seite des großen Naturforschers erschien 2015 auf Englisch, wurde prämiert und in mehrere Sprachen übersetzt. Die deutsche Ausgabe kam 2018 unter dem Titel „Der Astronom und die Hexe“ heraus. Das fachlich fundierte und fesselnd geschriebene Werk handle nicht bloß vom Keplerschen Prozess, loben die Rezensenten, es weite den Blick auf eine zwischen Magie und wissenschaftlichem Denken schwankende Gesellschaft am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges.
Es ist ein überzeugendes Bild, das Ulinka Rublack mit lebensprallen Szenen und Zitaten, Hintergrundinformationen und Analysen zeichnet. Zu verdanken ist das auch der einmaligen Quellenlage im Fall Kepler: Über den Prozess bewahrt das Hauptstaatsarchiv Stuttgart zwei dicke Bände auf, mit denen die Historikerin sich bei mehrwöchigen Aufenthalten eingehend beschäftigte. Ihr Fazit: „Es ging in diesen Verfahren nicht primär um einzelne Personen, sondern um Familien, die ihre Ehre verteidigten.“ Johannes Kepler habe Schmach von der Mutter abwenden wollen und mindestens ebenso sehr um sein eigenes Ansehen gekämpft.
Den eigenen Ruf konnte Kepler retten, über seine Mutter jedoch ergoss sich die Häme der Nachwelt. In Berichten, Romanen und Musiktheaterstücken – etwa in Paul Hindemiths Oper „Die Harmonie der Welt“ – wird sie immer wieder als streitsüchtige, missgünstige Alte dargestellt. Ulinka Rublack hingegen entwirft das Bild einer couragierten Frau ohne Schulbildung, die sich und ihre Kinder in einer derben Welt weitgehend allein durchbringen muss. Dieser Eindruck entsteht nicht nur beim Lesen des Buchs, sondern auch, wenn man die darauf basierende Oper „Kepler’s Trial“ auf sich wirken lässt. Das 2016 uraufgeführte Stück entstand binnen eines Jahres an der Universität Cambridge – als Teamproduktion, an der sich Mathematiker, Astronomen und Historiker beteiligten.
Kepler-Prozess auch als Oper
Im Internet ist die einstündige Oper komplett verfügbar; einzelne Passagen daraus nutzt Ulinka Rublack gelegentlich für szenische Lesungen vor allgemein interessiertem Publikum. Was sie an den multimedialen Formaten reizt? Die Geschichtswissenschaftlerin überlegt einen Moment und sagt: „Es geht mir um die Momente verdichteter Erkenntnis. Ich liebe es, solche Momente zu schaffen und Kultur nicht bloß zu analysieren, sondern auch selbst zu gestalten.“
Derzeit arbeitet ein britisches Filmteam an der Kinoversion des Kepler-Buchs. Geplante Premiere: 2021. Bis dahin wird sich wohl auch entschieden haben, ob Ulinka Rublack und ihr Mann – er lehrt Geschichte in London – in Großbritannien bleiben oder nach Deutschland übersiedeln. Der drohende Brexit werfe seine Schatten voraus, sagt sie, auch an Elitehochschulen wie Cambridge: „Wir erhalten weniger internationale Bewerbungen von Professoren und Studenten und der Zugang zu Fördermitteln wird schwieriger.“
In Deutschland präsent ist die Historikerin schon jetzt – nicht nur durch ihre fachliche Arbeit, sondern auch als Mitgestalterin einer Ausstellung zum Modetagebuch des Fugger-Buchhalters Matthäus Schwarz in Braunschweig. „Dressed for Success“ heißt die Schau rund um die minutiöse Dokumentation der prächtigen Gewänder, die Schwarz, den seine Zeitgenossen „Kleidernarr“ riefen, im 16. Jahrhundert für sich anfertigen ließ. „Früher habe ich nie darüber nachgedacht, was die Menschen vor 500 Jahren trugen“, sagt Ulinka Rublack. Das habe sich geändert, als sie merkte, wie viel Globalgeschichte schon damals in einem modischen Outfit steckte. Manche Stoffe wurden aus Indien oder Indonesien nach Europa geschafft, der Federschmuck aus Amerika und Afrika, wobei der Handel Einfluss auf die sozialen Gefüge und die Ökosysteme aller beteiligten Länder hatte. Einen Aspekt greift Rublack heraus: „Das Umweltdesaster durch die Textilproduktion beginnt in der frühen Neuzeit.“ All diesen weltweiten Zusammenhängen spürt die rührige Wissenschaftlerin derzeit nach. Der Arbeitstitel für das geplante Buch lautet „Triumph der Mode 1300 bis 2020“ – an öffentlicher Aufmerksamkeit sollte es nicht fehlen.
aus Humboldt Kosmos 110/2019