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Diskriminierung schadet dem Fortschritt

Wissenschaft profitiert von Diversität. Doch wer nicht der Norm entspricht, muss Nachteile fürchten.

  • vom 
  • Text: Marlene Halser
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Catherine Heymans

Die britische Astrophysikerin Professorin Dr. Catherine Heymans forscht und lehrt an der University of Edinburgh in Schottland. 2018 erhielt sie den mit 1,5 Millionen Euro dotierten Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis für ihre Forschungen zur Dunklen Energie. Als Gastprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum hat sie die Co-Leitung des German Centre for Cosmological Lensing inne.

Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis

„Um globale Krisen bewältigen zu können, muss die weltweite Forschungsgemeinschaft fluider, interdisziplinärer und transparenter werden“, sagt Catherine Heymans, Astrophysikerin und Max-Planck-Humboldt-Forschungspreisträgerin aus dem Vereinigten Königreich. Dazu bedürfe es auch vielfältigerer Teams. Die wichtigste und drängendste Zukunftsfrage sei der Klimawandel, so Heymans. „Was wir dafür jetzt brauchen, ist die Willenskraft, gemeinsam und fachübergreifend in möglichst diversen Teams an Lösungen zu arbeiten.“

„Das Schöne an Wissenschaft ist, dass man die ganz großen Fragen stellen darf“, sagt Heymans. „Um sie zu beantworten, brauchen wir Teams aus Wissenschaftler*innen, die möglichst vielfältige Perspektiven mitbringen, die unterschiedlich aufgewachsen sind, unterschiedliche Schulsysteme durchlaufen haben und unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Solche Teams sind in der Lage, ein Problem aus ganz verschiedenen Richtungen anzugehen.“ Diversität in der Wissenschaft entspreche nicht nur dem Zeitgeist oder sei „politisch korrekt‘‘, betont Heymans. „In der Wirtschaft ist das längst Common Sense: Eine diverse Belegschaft, die sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlt und wertgeschätzt wird, verbessert nachgewiesenermaßen die Ergebnisse.“

Heymans lehrt und forscht als Professorin am Royal Observatory in Edinburgh zu Dunkler Energie. Knapp drei Viertel des Universums stecken in diesem rätselhaften Stoff, der unter anderem die beschleunigte Expansion des Weltalls erklären soll. Im Mai 2021 bekam die 45-jährige Wissenschaftlerin für ihre Arbeit als erste Frau den Ehrentitel „Astronomer Royal for Scotland“ verliehen, der Astronom*innen für ihre Forschung auszeichnet und gleichzeitig Sichtbarkeit schafft. Als Heymans den Titel erhielt, sagte sie, sie wolle Teleskope in den schottischen Outdoor-Lernzentren installieren, in denen Kinder traditionell eine Woche ihres letzten Grundschuljahrs verbringen. So könnten Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Hintergrund Zugang zu ihnen bekommen.

Wissenschaft ist zu schwer für dich

Um vielfältige Personengruppen für Wissenschaft zu begeistern, meint Heymans, bedürfe es in erster Linie konstanter Repräsentation zum Beispiel durch Wissenschaftlerinnen, die als Role Models ganz bewusst die Öffentlichkeit suchen. „Wir müssen auch bei den Eltern ansetzen“, sagt Heymans aus eigener Erfahrung. „Die sind es oft, die etwa ihren Töchtern oder nicht weißen Kindern sagen: Wissenschaft ist zu schwer und nichts für dich.“ Erfolgreiche Wissenschaftlerinnen of Colour in der Öffentlichkeit zu sehen, könne da helfen.

Wir müssen wissenschaftliche Exzellenz flexibler definieren.
Catherine Heymans, Astrophysikerin und Max-Planck-Humboldt-Forschungspreisträgerin

Neben Vielfalt setzt Heymans auch auf Open Science. Forschung sei oft sehr wettbewerbsorientiert und dabei häufig auf Geheimhaltung bedacht, sagt Heymans. „Um die gewaltigen globalen Probleme zu lösen, müssen wir unsere Arbeit und unsere Ergebnisse miteinander teilen – und dabei auch den Mut haben, Fehler öffentlich zu machen‘‘, sagt Heymans. „Damit ersparen wir einander unter Umständen wertvolle Zeit.“

Eine Frage, die Heymans seit Kurzem auch ganz persönlich bewegt, ist, wie Spitzenforschung mit Behinderung umgeht. Seit einer Corona-Infektion leidet die Astrophysikerin an Long Covid – einer noch zu wenig erforschten Krankheit, für die es bislang weder Heilung noch ein einheitliches Krankheitsbild gibt.

„In der Forschung zählt oft nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch die Menge des Outputs“, sagt Heymans, die Co-Autorin von über 140 wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist. Seit ihrer Erkrankung erfahre sie unmittelbar, wie diskriminierend der Wissenschaftsbetrieb sein könne, sei es für Menschen mit Behinderung, sozial Benachteiligte oder Menschen mit Kindern. „Jemand kann aus diversen Gründen nicht in der Lage sein, 60 Stunden pro Woche zu arbeiten, aber trotzdem ein ganz außergewöhnlicher Wissenschaftler sein.“ Daher sei es nötig, das Verständnis dessen, was Spitzenforschung und wissenschaftliche Exzellenz ausmacht, flexibler zu definieren. „Durch meine Krankheit wäre ich aktuell bei einer Bewerbung um Forschungsförderung nicht konkurrenzfähig“, sagt sie. „Oft realisiert man erst, wenn man selbst betroffen ist, wie diskriminierend ein System ist.“ Diese Erfahrung bestärkt sie in ihrem Einsatz für mehr Vielfalt. Letztlich sei sie resoluter geworden, resümiert Heymans. „Weil ich weniger schaffe, konzentriere ich mich auf die wirklich wichtigen Dinge.“

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