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Die venezolanische Juristin und Professorin für Internationales Privatrecht María Julia Ochoa Jiménez forschte an der Universität Bonn zur Rückgabe indigener Kulturgüter. Durch ihre Arbeit möchte sie dazu beitragen, das juristische Denken zu dekolonialisieren und die Rechte Indigener Gemeinschaften zu stärken.

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Portrait Ochoa Jiminez
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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An eine Rückgabe des US National Museum of the American Indian, Teil der Smithsonian Institution, bei der menschliche Überreste zurück an ihre Indigene Herkunftsgemeinschaften in Chile gingen, erinnert sich die venezolanische Professorin für Internationales Privatrecht María Julia Ochoa Jiménez besonders gut. Die Gemeinschaften entschieden, die Überreste nicht öffentlich auszustellen, sondern zu beerdigen. Ihre Entscheidung wurde respektiert. „Solche Fälle zeigen, was möglich ist. Es ist sehr wichtig, die kolonialistisch geprägte, eurozentrierte Sicht zu durchbrechen.“ Dieser Gedanke prägt Ochoa Jiménez’ Arbeit zur Rückgabe Indigener Kulturgüter.

Aktuell lehrt und forscht María Julia Ochoa Jiménez im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Loyola in Sevilla. Als Humboldt-Stipendiatin war sie bis September 2023 Gastwissenschaftlerin im Team von Professorin Karoline Noack am “Institut für Archäologie und Kulturanthropologie” der Universität Bonn. Ihr dortiges Projekt: internationale Rückgaben von Kulturgütern aus lateinamerikanischer Sicht zu untersuchen und dabei die Sichtweisen der Expert*innen miteinzubeziehen, die für eine deutsche Sammlung von Kulturgütern Indigener Gemeinschaften in Lateinamerika zuständig sind.

Wissenschaftsstandort Deutschland

„Rein rechtlich sind Rückgaben vor allem eine Angelegenheit zwischen Staaten. Doch die Fragen, wem ein Objekt gehört und wer entscheidet, was nach der Rückgabe damit passiert, sollten nicht nur juristisch betrachtet werden“, sagt Ochoa Jiménez. Die anthropologische Perspektive ist für sie eine wichtige Ergänzung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Zusammenarbeit und dem Dialog mit den Indigenen Herkunftsgemeinschaften auf Augenhöhe. „Ihre eigenen Gesetze und Traditionen sollten immer berücksichtigt werden. Das passiert noch viel zu selten.“

Aktuell arbeitet sie an einem Gesetzentwurf zum internationalen Privatrecht für Kolumbien, der vorsieht, dass Gesetze und Traditionen Indigener Herkunftsgemeinschaften bei der Rückgabe Indigener Kulturgüter berücksichtigt werden müssen. Sollte dieser Gesetzentwurf angenommen werden, könnte er in Zukunft auch das bestehende internationale Recht zur Rückgabe von Kulturgütern ergänzen. Ein langwieriges und für Ochoa Jiménez wichtiges Vorhaben, zu dem sie sich regelmäßig auch mit deutschen Fachkolleg*innen austauscht.

Mit dem Wissenschaftsstandort Deutschland ist die Juristin schon lange verbunden. 2011 promovierte sie in Göttingen. Es folgten Forschungsaufenthalte an der Universität in Bonn und am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. „Für mich war die deutsche Forschungslandschaft immer ein Ort, wo ich Freiheit fand. Im Hinblick auf die verfügbaren Ressourcen, den Zugang zu Informationen und die internationalen Kontakte.“ Lateinamerikanischen Wissenschaftler*innen rät sie: „Geht nach Deutschland, wenn ihr die Chance habt."

Kampf gegen Armut

Für Ochoa Jiménez ist es wichtig, mit Forschenden unterschiedlicher Disziplinen zusammenzuarbeiten. Sie ist Mitglied im Global Justice Programme der Universität Yale und engagiert sich im internationalen Netzwerk „Academics Stand Against Poverty“.

Indigene Völker gehören laut Ochoa Jiménez weltweit zu den armutsgefährdetsten Gruppen. „Dass ihre Rechte bei der Rückgabe materieller Kulturgüter nicht ausreichend berücksichtigt werden, hängt auch damit zusammen, dass sie arm sind.“ Denn Armut sei nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch fehlender Zugänge zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe.

Blickt Ochoa Jiménez auf ihr Leben zurück, begleiten sie die Themen Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung schon lange. Ihre Mutter, Zobeyda Jiménez, eine Grundschullehrerin und Künstlerin, engagierte sich politisch. Nachdem sie deshalb nicht mehr in ihrem ursprünglichen Beruf tätig sein konnte, bot sie armutsbetroffenen Menschen Kreativkurse an. Kreativität findet sich auch in ihrem eigenen Berufsleben wieder. „Während ich ein Jahr auf meinen Studienplatz wartete, machte ich eine Ausbildung zur Goldschmiedin.“ Davon profitiert sie bis heute. „Anwält*innen müssen kreativ denken können, um Probleme in dieser komplexen Welt zu lösen.“

Schwierige Bedingungen

María Julia Ochoa Jiménez verließ ihre Heimatstadt Piritu im venezolanischen Bundesstaat Portuguesa um zu studieren und in der Hoffnung, später eine akademische Laufbahn einschlagen zu können. „2005 ging ich nach Göttingen, um zu promovieren. Damals waren die Arbeitsbedingungen in Venezuela noch tragbar. Als ich sechs Jahre später zurückkehren wollte, war es aufgrund der niedrigen Gehälter fast unmöglich als Akademiker*in zu überleben. Viele derjenigen, die mich an der Universität unterrichtet haben, hatten das Land bereits verlassen.“ In Kolumbien, wo sie über zehn Jahre arbeitete, waren die Arbeitsbedingungen besser.

Was Ochoa Jiménez an allen Stationen ihrer Karriere erlebte: „Auch wenn der Diskurs für mehr Diversität inzwischen fast überall geführt wird, sieht die Realität oft anders aus. Als junge Wissenschaftlerin kann es schwierig sein, respektiert zu werden.“ Dies sei mit anderen Arten von Diskriminierung vermengt, die auch außerhalb der Universität existieren. "Eine nicht-weiße Frau aus einer ehemaligen spanischen Kolonie ist in bestimmten Umgebungen nicht unbedingt willkommen.“ Laut Ochoa Jiménez ist der Prozess der Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit in manchen europäischen Ländern nicht besonders weit fortgeschritten. „Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um koloniale Denkweisen aufzubrechen.“ Dazu will sie weiter beitragen. „Meine Arbeit soll ein Baustein sein, mit dem junge Forschende weitermachen können. Neben engagierten und kritischen Geistern braucht gesellschaftlicher Wandel auch Zeit.“

Autorin: Esther Sambale

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