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Eine Antwort auf die Biodiversitätskrise

Was erwarten sich Forschende von der UN-Biodiversitätskonferenz COP15? Biogeograph und Humboldtianer Tobias Kümmerle über nachhaltige Landwirtschaft und wie sie zur Erhaltung der Biodiversität beitragen kann.

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Das weltweite Aussterben der Arten hat massive Konsequenzen für unsere Ökosysteme und damit auch die Lebensgrundlage der Menschen. Die 15. UN-Biodiversitätskonferenz COP15 in Montreal, Kanada (7.–19.12.2022) will die konkreten Herausforderungen der Biodiversitätskrise angehen. Forschende und Naturschützer*innen erhoffen sich konkrete Ziele und Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt.
Allen voran steht das ambitionierte Ziel, 30 Prozent der Erde bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen („30x30“). Professor der Biogeographie und Humboldtianer Tobias Kümmerle von der Humboldt-Universität zu Berlin erforscht, wie eine nachhaltige Landwirtschaft, besonders in den bedrohten Wäldern und Savannen Südamerikas, zur Erhaltung der Biodiversität beitragen kann. Welche Lösungen braucht es im Kampf gegen die Biodiversitätskrise und welche Hoffnungen setzt er in die COP15?

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Tobias Kümmerle ist Professor für Biogeographie am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er arbeitet an der Schnittstelle von Geographie, Naturschutz und Nachhaltigkeitswissenschaften, seine Forschung konzentriert sich auf Landnutzungsänderungen und deren Auswirkungen auf die Biodiversität. In der Vergangenheit ermöglichte ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium Tobias Kümmerle einen Postdoc-Aufenthalt an der University of Wisconsin-Madison. Heute ist er regelmäßig Gastgeber für Humboldt-Stipendiat*innen und Scout für das Henriette Herz-Programm.

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Humboldt-Stiftung: Warum ist die Biodiversität so wichtig für die Gesundheit von Planet und Mensch?
Tobias Kümmerle: Jeder einzelne von uns und unsere Gesellschaft als Ganzes hängen entscheidend von gesunden Ökosystemen ab. Sie versorgen uns mit essenziellen Ressourcen. Sie halten vieles im Gleichgewicht, beispielweise durch die großen Mengen an Kohlenstoff, die in Wäldern oder Mooren gespeichert sind. Artenreiche Ökosysteme sind ganz besonders wertvoll, denn sie sind weit weniger anfällig für Extremereignisse wie Dürre. Und sie haben noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: wenn einmal eine Art und damit ihre Funktion ausfällt, springt einfach jemand anders ein.

Wie wirken sich die Abholzung der Wälder und die intensive Landwirtschaft auf den Verlust der Biodiversität aus, insbesondere in den tropischen Wäldern Südamerikas?
In vielen Regionen Südamerikas führt die sich ausdehnende Landwirtschaft, vor allem Rinderzucht und Sojaanbau, zu massiven Rodungen von Wäldern und Savannen. Vor allem der brasilianische Cerrado oder der Chaco in Argentinien, Bolivien und Paraguay, sind stark bedroht. Dort ist schon so viel der natürlichen Vegetation verloren gegangen, dass sich das regionale Klima und der Wasserhaushalt dieser Gebiete ändert. Dies wirkt sich wiederum negativ auch auf die Landwirtschaft und die dort lebenden Menschen aus. Zudem wissen wir über die Artenvielfalt dieser Gebiete wenig. Vieles droht zu verschwinden, bevor wir es überhaupt entdeckt haben. Global führt die Rodung dieser Ökosysteme zu massiven CO2-Emissionen, welche den Klimawandel weiter antreiben.

Foto eines Nacktgesichthokkos im Wald
Der Nacktgesichthokko, eine gefährdete Hühnervogelart, die in Südamerika beheimatet ist

Wie trägt Ihre Forschung dazu bei, Lösungen für eine ressourcenschonende Landnutzung zu finden? Welche Technologien und wissenschaftlichen Ansätze wenden Sie an, um Land für Natur und Menschen zu erhalten?
Wir versuchen einerseits den Landnutzungswandel zu verstehen, beispielsweise in dem wir mit Satellitenbildzeitreihen kartieren, wo Entwaldung stattfindet und was danach auf diesen Flächen passiert. Andererseits untersuchen wir, wie sich Änderungen in der Landnutzung auf die Biodiversität auswirken. Wo verschwinden welche Arten? Welche Arten sind besonders hart betroffen bzw. profitieren vielleicht sogar vom Landschaftswandel? Wie wichtig sind Faktoren wie Habitatverlust oder Wilderei? Wir erheben Daten vor Ort, beispielsweise mit Hilfe von Kamerafallen oder Vogelzählungen, und analysieren diese dann in Biodiversitätsmodellen. Diese geben auch Aufschluss darüber, welche Naturschutzmaßnahmen und Planungsinstrumente helfen würden, um eine Balance zwischen Naturschutz und Landwirtschaft herzustellen.

Welches sind – aus Ihrer Sicht – die drei wesentlichen Aspekte nachhaltiger Landnutzung?
Welche Landnutzungstypen nachhaltig sind und welche nicht, hängt ganz entscheidend von den regionalen Bedingungen ab. Generell müssen und können wir in praktisch allen Landnutzungssystemen Verbesserungen in der Bewirtschaftung vornehmen. Dies beinhaltet sowohl die Rückbesinnung auf agrarökologische Anbauweisen als auch Hightech-Lösungen, um Dünger und Pestizide effizienter zu nutzen. Ganz besonders wichtig ist es, Strukturvielfalt in Agrarlandschaften zu fördern, da diese automatisch zu mehr Artenvielfalt führt. Der größte Hebel für eine nachhaltigere Landnutzung ist jedoch unser Essverhalten. Mehr als drei Viertel der globalen Agrarflächen werden für die Produktion von Fleisch und Milchprodukten verwendet. Wenn wir weniger dieser Produkte konsumieren, werden Flächen frei oder Landwirtschaft kann weniger intensiv durchgeführt werden. Von beidem profitiert die Artenvielfalt ganz erheblich.

Welche Hoffnungen setzen Sie in die COP15? Glauben Sie, dass die Konferenz Veränderungen bewirken kann?
Wir müssen dem globalen Biodiversitätsverlust endlich den gleichen Stellenwert wie dem Klimawandel zusprechen und auf allen Ebenen entsprechend handeln. Ich hoffe, dass wir nach Jahren der Verhandlungen hier endlich konkrete, messbare und ambitionierte Ziele vereinbaren, um der Biodiversitätskrise – damit meine ich die massive Erosion der Biosphäre und das von Menschen mit verursachte globale Massenaussterben – entschlossen entgegenzutreten. Es braucht ganzheitliche Lösungen. Und wie wir das Land nutzen ist hierbei ganz entscheidend.

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