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„Europa muss jetzt gezielt in KI investieren“

Humboldt-Professor Holger Hoos gehört zu den Mitunterzeichner*innen eines offenen Briefs des Future of Life Institute, in dem KI-Expert*innen ein sechsmonatiges Moratorium für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz fordern. Im Interview erklärt er seine Bewegründe und was er sich für die Zukunft der KI-Forschung in Europa vorstellt.

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Humboldt-Stiftung: Herr Professor Hoos, auch Sie fordern ein sechsmonatiges Moratorium für das Trainieren von Systemen mit Künstlicher Intelligenz (KI), die stärker sind als das Sprachmodell GPT-4. Was erhoffen Sie sich davon?
Holger Hoos: Es geht darum, dass man diese Pause dazu nutzt, um besser zu verstehen, wo die Schwächen der aktuellen Systeme liegen, und welche Regularien wir brauchen, um Gefahren vorzubeugen.

Reichen dafür sechs Monate? Die EU arbeitet seit zwei Jahren an ihrem AI Act, der den Einsatz von KI regulieren soll…
Ich denke schon, dass die EU noch in diesem Jahr damit fertig wird. Sicher wäre mehr Zeit besser, um die Konsequenzen des Fortschritts von ChatGPT zu diskutieren. Es ist aber unrealistisch, die Entwicklung so lange anzuhalten. Wichtig ist, dass durch die Forderung nach einem Moratorium eine öffentliche Diskussion entstanden ist, ob man so eine Technologie wirklich einfach wild laufen lassen sollte.

Was sollte stattdessen geschehen?
Neben Regularien geht es auch um wirtschaftliche Macht. Aktuell führen auf dem Gebiet ziemlich exklusiv zwei Firmen, nämlich Microsoft und Google. Natürlich ist es nicht gut, wenn eine kleine Anzahl begreiflicherweise profitgetriebener US-basierter Großunternehmen Schlüsseltechnologien kontrolliert. Ich würde mir wünschen, dass die öffentliche Hand wie seinerzeit beim menschlichen Genom aktiv wird und sagt: Wir investieren in KI. Denn dieses Feld ist zu wichtig, um es der Industrie allein zu überlassen! Das hätte auch einen Nutzen für kleine und mittelständische Unternehmen, die sonst gezwungen sind, Technik von der amerikanischen Großindustrie zu kaufen. Hierbei könnte und sollte die Europäische Union eine globale Vorreiterrolle spielen.

Wie könnte das europäische Engagement konkret aussehen?
Die EU sollte, neben einer weiteren Investition in Forschungsnetzwerke, die in einem mittelgroßen Rahmen schon jetzt läuft, ein großes, weltweit sichtbares Zentrum für KI gründen. Dafür gibt es schon ziemlich weit gediehene Pläne, die man mit einer Investition von ca. 10 Milliarden Euro realisieren könnte. Die EU kann solche Summen stemmen, wie man jetzt in der Pandemie gesehen hat. Ich würde mir wünschen, dass die Politikerinnen und Politiker die Wichtigkeit verstehen, in diesem Punkt zeitnah aktiv zu werden.

Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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Dossier Holger Hoos
Über die Humboldt-Professur

Ist der technische Vorsprung aus den USA oder China überhaupt aufholbar?
Ja, auch wenn Europa aktuell deutlich zurückliegt. Aber zu dem Zeitpunkt, als Airbus gegründet wurde, wurde es auch für aussichtslos gehalten, dass ein neues Flugzeugunternehmen aus Europa jemals mit den etablierten, insbesondere mit Boeing, konkurrieren kann. Heute ist Airbus nicht nur gleichauf, sondern in entscheidenden Bereichen der Luftfahrt sogar Weltmarktführer. Weil man entschlossen in die Vision investiert hat. Wenn wir das im Bereich KI heute wieder tun, bin ich sicher, dass wir schnell aufholen und beispielsweise mit öffentlich entwickelten und damit breit verfügbaren Sprachmodellen in Konkurrenz zu ChatGPT und GPT-4 einen großen Marktwert realisieren. Ein weiteres Feld von großer Bedeutung ist die Produktsicherheit.

Inwiefern?
KI wird beispielsweise schon jetzt genutzt, um dafür zu sorgen, dass Computerchips und Software korrekt funktionieren. Wenn wir KI auch einsetzen, um Computercode zu schreiben, muss die entstehende Software möglichst fehlerfrei sein. Denn fehlerhafte Software bedeutet Sicherheitsrisiken, die wiederum zu wirtschaftlichen Verlusten führen und zu einer IT-Infrastruktur, der man nicht vertrauen kann. Produktsicherheit in der KI gewährleisten, wäre deshalb eine wichtige Aufgabe, die in öffentliche Hände gehört. Der Einsatz von KI für den Klimaschutz ist eine weitere bedeutsame Aufgabe.

Dies würde nicht nur Europa zugutekommen…
Ganz genau den Anspruch sollte man auch haben. Ein europäisches Zentrum, nennen wir es ein CERN für KI, sollte nicht nur in Europa für Europa da sein. Es sollte in Europa für die ganze Welt offen sein. Ein Ort, an dem eine weltweite Community zusammenkommt, um fantastische Forschung für den öffentlichen Nutzen zu machen. Zugleich wäre es ein Nukleus für eine europäische KI-Wirtschaft, für ein KI-Ökosystem von kleineren und größeren Firmen, die von den Kompetenzen und den Talenten, die man dort hat, profitieren würden.

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