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Brauchen wir eine neue Aufklärung? Humboldt-Stiftung beim Salon Sophie Charlotte 2023

Am 13. Mai 2023 fand in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften der Salon Sophie Charlotte statt. Geförderte und Vertreter*innen der Humboldt-Stiftung diskutierten mit dem Publikum den Stellenwert von Wissenschaft im postpandemischen, digitalen Zeitalter und die Möglichkeit freien Handelns.

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Die Bandbreite der Themen, die es beim diesjährigen Salon Sophie Charlotte zu diskutieren gab, war groß: Wie können uns die Werte der Aufklärung helfen, die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen? Auf welche Formen der Unmündigkeit im 21. Jahrhundert müsste sie reagieren? Greifen die Ideale Immanuel Kants noch oder ist es Zeit für eine neue Aufklärung? Im Mittelpunkt des von der Humboldt-Stiftung organisierten Panels standen Herausforderungen digitaler Wissenschaftskommunikation, die Bedeutung von Forschung und Forschenden in postpandemischen Zeiten und die Frage, wie frei und rational menschliches Handeln ist.

Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter

Das erste Panel der Humboldt-Stiftung befasste sich mit der Frage, wie neue digitale Räume – vor allem in den Sozialen Medien – Wissenschaftskommunikation verändert haben und welche Chancen aber auch Herausforderungen sie stellen, verschiedene gesellschaftliche Zielgruppen zu erreichen. Es diskutierten Albert Steinberger (Deutsche Welle), Mayra Flores Tavares (Universität Freiburg) und Stephanie Siewert (Teamleitung Kommunikation, Humboldt-Stiftung). Dabei betonten die Panelist*innen, dass man gerade in der globalen Perspektive voneinander lernen könne. Der Austausch zu best practices – wie er in Dialogformaten wie dem Humboldt Communication Lab betrieben werde – sei zentral, ebenso ein fundiertes Wissen und die Einbindung der lokalen Kontexte und Bedürfnisse von Zielgruppen. Zugleich rieten die Teilnehmenden, Emotionen in der Wissenschaftskommunikation zuzulassen und nicht als Gegenstück zu Rationalität zu begreifen. Positiv eingesetzt seien sie ein wichtiges und effektives Instrument der Kommunikation – auch um der Vereinnahmung von Emotionen durch populistische und radikalisierende Strömungen entgegenzuwirken.

Die Rolle der Wissenschaft in postpandemischen Gesellschaften

Auf dem zweiten Panel diskutierten die Humboldtianer*innen Ekaterina Loginova (Universität Heidelberg), Leslie Reguera Nunez (Universidad de la Habana / Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie, Halle), Péter Bagoly-Simó (University of Otago / Humboldt-Universität zu Berlin) und der stellvertretende Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, Thomas Hesse, die unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemie auf das Selbstverständnis und die öffentliche Wahrnehmung von Forschenden in verschiedenen disziplinären und kulturellen Kontexten. Reguera Nunez, Chemikerin aus Kuba, deren Forschung zur Entwicklung des ersten COVID-Impfstoffes in Kuba beigetragen hat, zog eine positive Bilanz: Sie erlebte während und nach der Pandemie eine neue Art der Wertschätzung: „Now, science is fancy. It is in fashion. I get invited to talk about my research in my daughter’s school. That never happened before.” Die russische Kommunikationswissenschaftlerin Ekaterina Loginova teilte erste Ergebnisse aus ihrer Forschung zu den Wahrnehmungen von russischsprachigen Exilant*innen in Deutschland zum Thema Wissenschaft. Zwar sei das Vertrauen in Wissenschaft als Institution gestiegen, allerdings seien Forschende als gesellschaftliche Akteure noch immer wenig sichtbar – vor allem in ihren individuellen Leistungen. Der Geographiedidaktiker Bagoly-Simó betonte, dass in Neuseeland weniger die Kritik an der Wissenschaft im Mittelpunkt stand, sondern eher die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und damit der politische Umgang mit der Pandemie. Zugleich könne man wichtige Lehren aus dem Ausnahmezustand für die Wissenschaften ziehen – nicht nur in Hinblick auf die öffentliche Präsenz der Wissenschaft, sondern auch was die Gestaltung von Curricula und fachlichen Schwerpunkten anbelangt.

Neurowissenschaftler Patrick Haggard und Philosoph Michael Pauen diskutieren mit dem Publikum das Thema Willensfreiheit

Freiwilligkeit und freiwilliges Handeln – eine Betrachtung aus neurowissenschaftlicher und philosophischer Sicht

Das dritte Panel der Veranstaltung ging der Frage nach, wie frei menschliches Handeln sein kann. Der Neurowissenschaftler Patrick Haggard (University College London) und der Philosoph Michael Pauen (Humboldt-Universität zu Berlin) erklärten, wie unsere Konzepte von Rationalität und Autonomie entstanden sind und wie sich Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit philosophischen Annahmen in Einklang bringen lassen. Der interdisziplinäre Dialog wurde moderiert von Judith Wellen (Leiterin der Abteilung Strategie und Außenbeziehungen, Humboldt-Stiftung). Nach welchen Maßstäben beurteilen wir, wann eine Handlung als frei bezeichnet wird? Michael Pauen erörterte die Bedingungen von Willensfreiheit. Im Gespräch mit Patrick Haggard wurde dann deutlich, dass bereits bei der Klärung von Begrifflichkeiten interessante Reibungspunkte zwischen den Disziplinen entstehen können. Während Pauen „Selbstbestimmung“ dem Begriff „Freiheit“ vorzieht, stellt sich für die neurowissenschaftliche Forschung die Frage, wie sich das „Selbst“ messen lässt. Zugleich setzt Freiwilligkeit eine Entscheidungsoffenheit voraus. Doch wie lässt sich dies abbilden? Denn, so betonte Neurowissenschaftler Haggard, nicht das, was man getan haben könnte, ist empirisch fassbar, sondern allein die konkrete Aktion. Ob und wie die „Wahl der Entscheidung“ als Maßstab und Messgröße des freien Willens greifbar ist, führte zu spannenden Diskussionen mit dem Publikum.

Der Salon Sophie Charlotte ist eine Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter Beteiligung des Jahresthemas 2023/24 „Projekt: Aufklärung!“, der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA), der Jungen Akademie, der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V., dem Villa Aurora & Thomas Mann House e. V., der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, des Endangered Languages Archive, der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Max Delbrück Center Berlin (MDC), des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie, der Mendelssohn-Gesellschaft und der Berliner Hochschule für Technik – gefördert von der Gerda Henkel Stiftung und der Fritz Thyssen Stiftung.

Der Dialog mit der Gesellschaft ist ein zentrales Anliegen der Alexander von Humboldt-Stiftung. Weitere Informationen zu den Aktivitäten im Bereich Wissenschaftskommunikation finden Sie hier.

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