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Im 18. Jahrhundert fanden sich junge Bürgerssöhne in Deutschland in Goethes Romanfigur des an Liebesschmerz leidenden jungen Werther wieder. Die Identifikation war so groß, dass sie sich in einen blauen Tuchfrack, eine gelbe Weste, Kniehosen aus gelbem Leder, Stulpenstiefel und einen grauen Filzhut kleideten – die sogenannte Werthertracht.
Junge Leser*innen, die sich in fiktive Welten vertiefen oder durch Kostümierungen Fiktionen in die Realität holen – solche Formen der Rezeption kennt man auch heute. Doch wie unterschieden sich Affektkulturen des 18. Jahrhunderts von heutigen? Mit welchen Gefühlen rezipieren Leser*innen Literatur? Und wie stark identifizieren sie sich mit den Figuren eines Textes?
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Germanistin Elisa Ronzheimer, die an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld lehrt und forscht. Ihre Promotion absolvierte sie im Rahmen des Ph.D.-Programms am German Department der Yale University – zum Thema Metrik- und Versdiskurse bei Klopstock, Hölderlin, Novalis, Tieck und Goethe.
Von Bielefeld nach Bergamo: Neue Perspektiven für Forschung und Lehre
Nach einigen Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit in Bielefeld, in denen sie neben der Lehre an ihrer Habilitation arbeitet, wuchs bei Ronzheimer der Wunsch nach einem „intellektuellen Tapetenwechsel“.
Ihre Wahl fiel auf Italien – in das Land „wo die Zitronen blühn“. Bereits im Rahmen eines Erasmus-Dozentenaustauschs hatte sie Elena Agazzi, Professorin für Germanistik von der Universität Bergamo kennengelernt. „Elena Agazzi ist nicht nur eine der renommiertesten und bekanntesten Germanistinnen Italiens, sie ist auch eine fantastische Gastgeberin, die ihre Gäste mit großem Einsatz betreut“, schwärmt Ronzheimer noch heute von ihrer Mentorin.
Das Lynen-Stipendium: Flexibilität und neue Freiräume
Da Elena Agazzi selbst Teil des Humboldt-Netzwerks ist, lag es nahe, sich für ein Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung zu bewerben. „Und da möchte ich der Stiftung wirklich für ihre Flexibilität danken. Als ich überraschend eine Einladung aus den USA erhielt, konnte ich das Stipendium problemlos splitten“, berichtet Ronzheimer.
Insgesamt war sie in den Jahren 2023 und 2024 jeweils drei Monate in Bergamo. Aus ihrer Sicht sei der Auslandsaufenthalt nicht nur fachlich, sondern auch strategisch sinnvoll gewesen. „Auch für Geisteswissenschaftler ist es auf jeden Fall wichtig, während der Postdoc-Phase ins Ausland zu gehen", betont Ronzheimer – nicht zuletzt, weil man dadurch auch Freiräume zum Schreiben gewinnt.
„Internationale Erfahrung und Mobilität nachweisen zu können, ist immer von Vorteil - davon bin ich überzeugt!“
Forschungsimpulse durch Perspektivwechsel
Durch den Austausch mit italienischen Kolleg*innen veränderte sich auch ihr wissenschaftlicher Zugang: Elena Agazzi riet ihr dazu, ihr theoretisch ausgerichtetes Habilitationsprojekt anschlussfähiger an literaturhistorische Fragestellungen zu machen.
Ronzheimer empfindet diesen Perspektivwechsel als besonders bereichernd: „Die italienische Germanistik verfügt über ein sehr reiches literatur- und kulturhistorisches Wissen – davon können wir aus der sogenannten ‚Inlandsgermanistik‘ lernen. Das macht die Bereicherung durch den Aufenthalt aus: Ich habe in andere Forschungsdiskurse hinein schnuppern können und eine weitere Wissenschaftskultur außerhalb Deutschlands kennengelernt.“
Ausblick: Forschen mit Weitblick
Zurück in Bielefeld arbeitet Ronzheimer weiter an ihrer Habilitation, die sie in etwa zwei Jahren abschließen möchte. Nebenbei ist sie in Lehre und Projekten engagiert – wohin es danach geht, ist noch offen.
Fest steht für sie: Mobilität erweitert den Horizont – wissenschaftlich wie persönlich. Einen Forschungsaufenthalt bei Gastgebenden aus dem Humboldt-Netzwerk im Ausland würde sie jedem Postdoc empfehlen.
„Das Lynen-Stipendium bietet die Möglichkeit, in einem neuen Umfeld Kontakte zu knüpfen, und durch neue Impulse den eigenen Horizont zu erweitern“
