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Am liebsten besucht die spanische Paläontologin Iris Menéndez González das Berliner Museum für Naturkunde wenn es Nacht wird. „Manchmal gehe ich nach einem langen Arbeitstag in die Saurierwelt-Ausstellung im Lichthof. Dann ist es still und menschenleer und ich kann mir in aller Ruhe die riesigen Dinosaurierskelette ansehen und den etwa 150 Millionen Jahre alten Urvogel Archaeopteryx litographica, das bekanntestes Fossil der Welt“, sagt Iris Menéndez González. „Er ist fast vollständig erhalten, sogar Abdrücke einzelner Federn sind auf der Kalkplatte zu sehen! Für mich ist er die Mona Lisa der Paläontologie.“
Seit März 2023 forscht die Humboldt-Stipendiatin als Gast ihres Hosts Faysal Bibi am Amniota Lab des Naturkundemuseums zur morpho-ökologischen Evolution von Eichhörnchen und anderen Nagetieren. Dort sammelt sie paläontologische und neontologische Daten aus Knochen und Zähnen, die sie mithilfe geometrisch-morphometrischer 3-D-Techniken aufbereitet und interpretiert. Ihr Ziel: Makroevolutionäre Muster von Nagetieren zu verstehen und diese in einer Datenbank zu veröffentlichen. „Ich will außerdem aufzeigen, wie Arten in der Vergangenheit auf Klimaveränderungen reagierten und was es heißt, wenn Vielfalt verschwindet.“
Ein Freund, der ebenfalls Humboldtianer ist, empfahl ihr die Forschungsgruppe und das Humboldt-Stipendium. „Hier sammele ich internationale Erfahrungen und knüpfe wertvolle Kontakte. Das Stipendium bietet mir zudem finanzielle Freiheit, die meine Forschung voranbringt.“
Faszinierende Fossilien
Dass Menéndez González heute als Paläontologin arbeitet, ist auch die Erfüllung eines Kindheitstraums. Schon als Sechsjährige besuchte sie mit ihren Eltern Museen und Ausgrabungsstätten, las Bücher zum Thema und hörte zum ersten Mal vom Australopethicus afarensis-Skelett Lucy, die ihren Namen einem Beatles-Song verdankt, der während des Fundes auf einem Kassettenrekorder lief.
„Gemeinsam mit anderen nach Fossilien zu graben und dabei Beatles zu hören, klang für mich traumhaft“, so Menéndez González, die zuerst Biologie studierte. Als sie im Bachelor-Studium zwei Wochen auf der Fossilienfundstelle Batallones verbrachte, fand sie ihr heutiges Forschungsfeld. „Das Gefühl mit dem Schraubenzieher im Sand ein Fossil freizulegen, das seit neun Millionen Jahren niemand mehr gesehen hat, war großartig und machte mich süchtig.“ Dort lernte sie auch ihren späteren wissenschaftlichen Betreuer Manuel Hernández Fernández kennen. Er ermutigte sie, sich für den Master-Studiengang Paläontologie zu bewerben. „Ich bin nicht sicher, ob ich mir das alleine zugetraut hätte“, so Menéndez González.
Frauen gezielt zu fragen, ob sie sich für bestimmte Bereiche oder Positionen bewerben möchten, könnte laut Menéndez González langfristig mehr Chancengerechtigkeit bringen. „Es ist wichtig, Bedingungen zu schaffen, die angesichts struktureller Ungleichheiten eine Wissenschaftskarriere ermöglichen. So wie es die Humboldt-Stiftung mit ihren Stipendien macht, die etwa auch die Förderung der Familie umfassen.“ Unbewusste Stereotype seien ein wesentlicher Grund, warum Frauen in vielen Wissenschaftsbereichen noch unterrepräsentiert sind. „Um wirklich etwas zu ändern, müssen wir unbewusste Stereotype und Vorurteile aufdecken.“ Was junge Wissenschaftlerinnen wissen sollten: „Ihr habt nichts falsch gemacht, wenn euch in Auswahlgesprächen mehr Fragen gestellt werden als männlichen Kommilitonen oder wenn eure Forschung kleingeredet wird. Diese Dinge passieren. Es liegt nicht an euch!“
Vielfalt ermöglichen
Eine Haltung, die sie auch ihrer wissenschaftlichen Betreuerin Ana Rosa Gómez Cano verdankt, die eigene Erfahrungen mit ihr teilte. Zusammen mit anderen Paläontologinnen gründeten sie die Initiative „Mujeres con los pies en la Tierra“. Mit quantitativen Studien etwa zur Präsenz von Wissenschaftler*innen auf großen paläontologischen Jahrestagungen machen sie auf strukturelle Ungleichheiten aufmerksam. Ihre Vision: Eine Wissenschaftswelt, in der Menschen aller Geschlechtsidentitäten und Herkünfte vertreten sind. „Bisher gibt es keine Vielfalt, weil in den Köpfen noch immer feste Bilder bestehen, wie ein*e Wissenschaftler*in zu sein hat.“ Sie wünscht sich das Forschende nicht miteinander konkurrieren, sondern sich unterstützen. Menéndez González: „Je stärker wir in der akademischen Welt zusammenwachsen, desto irrelevanter werden Privilegien. Das würde jenen den Weg in die Wissenschaft öffnen, die bisher keinen Zugang haben. Daran sollten wir arbeiten.“
Autorin: Esther Sambale