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Schon 2017 befasste sich die damals 24-Jährige in ihrer Promotion mit sprachlichen Problemen in kamerunischen Gerichten. Dissake sagt: „In Kamerun werden rund 250 Sprachen gesprochen. In unseren Gerichtssälen aber nur zwei, nämlich Französisch und Englisch, die Sprachen von zwei ehemaligen Kolonialherren. Doch viele Menschen sprechen diese Sprachen nicht. Es ist ungerecht, jemanden zu verurteilen, der nicht versteht was ihm vorgeworfen wird.“ Dissake erlebte den Fall eines Bauern, dem vorgeworfen wurde, ein Boko Haram-Terrorist zu sein. „Er hatte weder Anwalt noch Dolmetscher und sollte sich auf Französisch selbst verteidigen. Und dass, obwohl das Recht auf einen Dolmetscher im Gesetz verankert ist. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst als seine Familie eine NGO einschaltete, wurde das Verfahren mit einem Dolmetscher und einem Anwalt wiederholt und er kam frei.“
Dolmetscher*innen für faire Prozesse
Ein Problem, das laut Dissake auch in anderen afrikanischen Ländern bestehe und sich einfach lösen ließe. Ihr Vorschlag: Juristische Fachbegriffe sollen künftig in einfacher Sprache formuliert sein. Zudem könnte, wie in den USA, ein Dolmetscher-Freiwilligensystem etabliert werden. „Mehrsprachige Menschen erhalten Trainings, in denen sie lernen, juristische Sprache zu übersetzen. Bei Bedarf kämen sie zum Einsatz.“ Im öffentlichen Diskurs werde das Thema weitgehend ignoriert, ebenso in den Gerichten. Dissake: „Viele wollen aus Scham nicht zugeben, dass sie kein Englisch oder Französisch sprechen. Richter signalisieren mir, ich würde Probleme schaffen, wo keine sind.“ Dass ihre Arbeit noch keine große Wirkung zeige, läge auch daran, dass sie allein kämpfe. Derzeit ist sie die einzige forensische Linguistin Kameruns. Ihr Versuch andere Linguisten für ihren Bereich zu interessieren, misslang. „Meine oft männlichen und älteren Kollegen nehmen mich nicht ernst. Ich versuche nun Master-Studierende für das Thema zu begeistern.“
Diversität in der Wissenschaft
Auch für ihre Wissenschaftskarriere musste Dissake kämpfen. „Wäre es nach meiner Mutter gegangen, wäre ich heute Hausfrau und hätte Kinder.“ Die einzige Unterstützung kam von ihrem Mentor und Linguistikprofessor Gratien Atindogbéan an der Universität Buea. „Durch ihn erfuhr ich auch von den hervorragenden Forschungsbedingungen in Deutschland und von der Humboldt-Stiftung. Eines Tages Humboldt-Stipendiatin zu werden, war mein großes Ziel. Dass ich das erreicht habe und nun ein Leben lang Humboldtianerin bin, bedeutet mir sehr viel.“ Sie will andere Frauen ermutigen, in die Forschung zu gehen, denn die Wissenschaft müsse diverser werden. Das heißt für sie auch, dass ein Umdenken nötig ist. „Ich wünsche mir, dass afrikanische Forschung nicht grundsätzlich angezweifelt wird und europäische und US-amerikanische Wissenschaftler*innen unsere Arbeit ernsthaft in Betracht ziehen.“
Kultur bewahren
Was sie sich zudem wünscht: Zu sehen wie ihre Forschung eines Tages das Rechtssystem zum Besseren verändert. Außerdem will sie mit ihrer Arbeit das bewahren, was durch die Kolonialherrschaft weitgehend abgeschafft wurde. Für ihr aktuelles Projekt dokumentierte sie die kommunikativen Praktiken von Tunen-Muttersprachler*innen in gewohnheitsrechtlichen Gerichtsverfahren der indigenen Banen-Gemeinschaft. In diesen Verfahren werden etwa Nachbarschafts- oder Ehekonflikte gelöst. Eine Praxis, die Dissake für die Nachwelt festhalten will. Die vorkolonialen Gemeinschaften hatten funktionierende Rechtssysteme, das ist kaum jemandem bewusst, da alles durch vermeintlich fortschrittlichere Systeme ersetzt wurde. Sie hat auch eine persönliche Motivation für dieses Thema: „Tunen ist die Sprache meiner Mutter, sie gehört dem Volk der Banen an. Ein Jahr lang unterstützte sie mich als Forschungsassistentin. Sie übersetzte und stellte mich Dorfvorstehern vor. Inzwischen ist sie stolz darauf, dass ich Wissenschaftlerin bin und kann es kaum erwarten, bis ich meine Ergebnisse als Buch veröffentliche.“
Autorin: Esther Sambale