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Sind wir allein? Leben jenseits der Erde

Interview mit Markus Kissler-Patig, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Betrieb bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), über das neue goldene Zeitalter der Weltraumforschung und die Suche nach Leben in unserem Sonnensystem und darüber hinaus.

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An artist's impression of Juice released into space
Eine künstlerische Darstellung von JUICE im Weltraum
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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2023 ist ein weiteres spannendes Jahr für die Weltraumforschung. Für den 13. April hat die Europäische Weltraumorganisation den Start der Mission Jupiter Icy Moons Explorer (JUICE) geplant, die sich auf die Untersuchung des Jupiter und seiner drei großen ozeanhaltigen Monde (Ganymed, Callisto und Europa) als planetarische Objekte und mögliche Lebensräume konzentrieren wird. Markus Kissler-Patig, ehemaliger Feodor-Lynen-Forschungsstipendiat und jetzt Leiter der Abteilung Wissenschaft und Betrieb bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA)/Europäisches Weltraumastronomiezentrum (ESAC) in Spanien, steht im Mittelpunkt des Geschehens. Er koordiniert die Abteilungen, die für die wissenschaftlichen Operationen vor und während der Weltraummissionen zuständig sind, sowie jene, die sich mit der Wissenschaft und Archivierung der Daten befassen. Ein Großteil der ESA-Forschung wird von der Suche nach Leben jenseits der Erde angetrieben – einem Leben, das ganz anders aussehen könnte als das, welches wir kennen. Wir haben Markus Kissler-Patig gefragt, wie das Gebiet der Astrobiologie zur Erforschung neuer Lebensformen beitragen kann und was wir von der Weltraumforschung in Zukunft erwarten können.

Humboldt-Stiftung: Neben Ihrer Arbeit als Leiter der Abteilung Wissenschaft und Betrieb bei der ESA konzentrieren Sie sich in Ihrer Forschung auf verschiedene Bereiche der Astrobiologie. Womit befasst sich das Forschungsfeld?
Markus Kissler-Patig: Die Astrobiologie ist ein faszinierendes Feld, das versucht den Ursprung des Lebens zu begreifen. Dabei betrachten wir die Koevolution des Lebens mit dem Planeten, ob es sich anderswo im Sonnensystem entwickelt haben könnte und ob ein Nachweis außerhalb des Sonnensystems möglich ist. Astrobiologie ist ein wunderbares interdisziplinäres Gebiet, da es Biologie, Geologie, Atmosphärenforschung, Planetologie und Astronomie miteinander verbindet. Es öffnet uns die Augen für die großen Zusammenhänge im Universum: Zeitskalen, universelle Gesetze der Physik und Chemie, die Entstehung von Strukturen, Sternen und Planeten. Es erklärt, wie wir Menschen in das Gesamtbild passen. Und schließlich versucht es, eine der grundlegendsten Fragen zu beantworten: Sind wir allein?

Wenn es Leben auf anderen Planeten gibt, wie sieht es dann aus?
Was unser Verständnis von Leben am meisten einschränkt: Wir kennen nur eine einzige Bauart. Alles Leben auf der Erde hat einen einzigen Ursprung. Ob Menschen, Pflanzen, Insekten oder Bakterien: Wir haben dieselbe DNA-Struktur und unsere Proteine sind alle auf denselben Aminosäuren aufgebaut. Das macht eine Definition von Leben sehr schwierig. Es lässt auch die Frage offen, ob alles Leben im Universum so aussieht wie das, das wir kennen, oder ob andere Reproduktionsmechanismen und Stoffwechselvorgänge möglich sind. Uns fehlt es nicht an Ideen, wie Alternativen funktionieren könnten, aber uns fehlt der Beweis für die Existenz dessen, was wir uns vorstellen. Wir sind also immer noch auf der Suche nach dem zweiten (oder dritten) Vorkommen von Leben: in unserem Sonnensystem, zum Beispiel auf dem Mars, oder auf den Monden von Jupiter oder Saturn, oder sogar außerhalb des Sonnensystems in einem der über 5.000 bisher entdeckten Planetensysteme.

Wie suchen wir nach Leben auf anderen Planeten oder sogar außerhalb unseres Sonnensystems? Können Sie Beispiele nennen?
Außerhalb unseres Sonnensystems suchen wir mit ganz anderen Strategien nach Leben als innerhalb. In unserem Sonnensystem können wir zu den Orten fliegen, die am ehesten Leben beherbergen (Mars, Kometen, die Monde unserer Riesenplaneten Jupiter und Saturn). Dort nutzen wir ähnliche Techniken der Erkundung wie auf der Erde: Wir forschen nach Wasservorkommen, Spuren von Stoffwechsel oder geologischen und chemischen Fossilien. Wir verfügen heute sogar über die Technologie, Proben zur Erde zu bringen. Außerhalb des Sonnensystems (und außerhalb unserer physischen Reichweite) können wir nur Fernmessungen durchführen. Für viele der 5.000 bekannten Planetensysteme jenseits unseres eigenen können wir die chemische Zusammensetzung der Planetenatmosphären untersuchen. Da das Leben die Atmosphäre der Erde verändert hat, hoffen wir, Transformationen in den Atmosphären anderer Planeten zu entdecken, die nicht allein durch geologische Prozesse erklärbar sind, sondern massive biologische Stoffwechselvorgänge auf dem Planeten voraussetzen.

Start der JUICE-Mission live verfolgen 

Welche neuen Entdeckungen erwarten Sie in den kommenden Jahren? Worauf sind Sie besonders gespannt?
Ich bin sehr gespannt auf die nächsten zwei Jahrzehnte. Mit etwas Glück finden wir tatsächlich außerirdisches Leben. Mehrere neue Missionen werden das Sonnensystem erforschen. Die ESA-Mission JUICE startet im April dieses Jahres zur Erkundung der Galileischen Monde um den Jupiter. Gleichzeitig drängen viele Nationen darauf, den Mars weiter zu erforschen. Im Rahmen der NASA/ESA-Kooperation sollen in den frühen 2030er Jahren Proben vom Mars gesammelt werden. Und da in diesem Jahrzehnt Menschen auf den Mond zurückkehren, bin ich zuversichtlich, dass wir noch zu meinen Lebzeiten Menschen auf dem Mars sehen werden.

Schaubild ESAs neue und alte Exoplanet-Missionen

Und was ist mit dem Leben außerhalb unseres Sonnensystems?
Was die Planeten außerhalb unseres Sonnensystems betrifft, so bereitet die ESA eine Reihe von Weltraummissionen vor, die auf die Charakterisierung von Exoplaneten spezialisiert sind. Die CHEOPS-Mission enthüllt die Beschaffenheit von Mini-Neptunen. PLATO (Start 2027) wird viele weitere erdähnliche Planeten entdecken, und ARIEL (Start 2029) soll die Zusammensetzung der Atmosphären und das Wetter auf diesen Planeten untersuchen. Die NASA plant für die 2040er Jahre ein „Habitable World Observatory“, zu dem die ESA zweifelsohne beitragen wird. Ich sehe, wie sich die Menschheit Schritt für Schritt der Antwort auf die Frage nähert: Sind wir allein? Zusammen mit der weltweiten explosionsartigen Entwicklung der Raumfahrtindustrie stehen wir sicherlich am Beginn eines goldenen Zeitalters der Weltraumforschung.

Exoplanet LHS 475 b und sein Stern (Illustration)
Exoplanet LHS 475 b und sein Stern (Illustration)

Und welche Rolle spielt der internationale Austausch bei diesen wichtigen Schritten in die Zukunft?
Internationaler Austausch und Zusammenarbeit sind für die Erforschung des Weltraums von grundlegender Bedeutung. Die Reise zu anderen Planeten ist eine Herausforderung. Sie erfordert enorme finanzielle und technische Anstrengungen, die oft nur möglich sind, wenn große Nationen ihre Kräfte bündeln. Und wenn ein Raumschiff in den Weltraum startet, maximieren wir seinen wissenschaftlichen Wert: Fast immer haben wir Instrumente und Experimente vieler internationaler Gruppen an Bord. Auch beim Bau großer Weltraumobservatorien (wie dem Hubble- oder dem Webb-Weltraumteleskop) ist die gesamte internationale Gemeinschaft aufgefordert, Ideen für den bestmöglichen Einsatz zur Erforschung des Universums einzubringen. Bei der Europäischen Weltraumorganisation haben wir das besondere Glück, auch in politisch schwierigen Zeiten mit allen anderen Raumfahrtagenturen zusammenarbeiten zu können. Die Wissenschaft erweist sich einmal mehr als ein wunderbarer Brückenbauer für den Frieden zwischen den Nationen.

Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Das Feodor Lynen-Forschungsstipendium

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Das Feodor Lynen-Stipendium ermöglichte mir meine erste Postdoc-Stelle an der University of California in Santa Cruz (1997/98). Kalifornien hatte gerade das größte bodengebundene Teleskop der Welt eingeweiht, mit dem ich arbeitete. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass dies ein solcher Türöffner für meine internationale Laufbahn sein würde. Ich blicke auf 25 Jahre einer erfolgreichen Karriere zurück, die mit einem kleinen Anstoß durch die Humboldt-Stiftung begann.
Markus Kissler-Patig


Markus Kissler-Patig promovierte 1997 in Astrophysik an der Universität Bonn und arbeitete als Postdoc an der University of California Observatories in Santa Cruz, USA, und an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching. 2008 wurde er leitender Wissenschaftler für das European Extremely Large Telescope. 2012 wechselte er als Direktor zum Gemini-Observatorium. 2018 kehrte er als stellvertretender Wissenschaftsdirektor zur ESO zurück, bevor er 2019 zur Europäischen Weltraumorganisation (ESA) wechselte.


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