In Mexiko hatte es für die Neurobiologin Renata Ponce nach der Promotion in der Forschung keine Zukunft mehr gegeben. „Ich wollte immer wissen, wie Spitzenwissenschaft funktioniert; meine Mutter war Biologin, mein Vater Physiker, ich bin quasi in einem Labor groß geworden, aber in Mexiko wird wenig in Grundlagenforschung investiert, es gibt keine Stellen“, berichtet Ponce. Also hatte sie sich zum Lebenserwerb einen Job in einem Krankenhauslabor gesucht, wo sie Blutproben analysierte. Der Traum von der Forschung schien ausgeträumt.
Dann aber meldete sich die deutsche Biophysikerin Susanne Wegmann bei ihr. Als Scout der Humboldt-Stiftung hatte sich Wegmann für ihre Arbeitsgruppe am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e.V. auf die Suche nach Talenten in Süd- und Mittelamerika begeben. „Ich finde es wichtig, dass der Wissenschaft die Talente nicht verloren gehen, die aus Regionen der Welt kommen, in denen sie ab einer bestimmten Stufe aufgrund von Rahmenbedingung, für die sie absolut nichts können, abgeschnitten wären“, betont Wegmann. Nachdem sie sich mit ihrem Scouting-Konzept im Henriette Herz-Scouting-Programm durchgesetzt hatte, schmiss Wegmann ihr Netzwerk in Lateinamerika an, schrieb Mails an ausgesuchte Kontakte, fragte nach Empfehlungen. Professorin Gina Lorena Quirarte an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) empfahl ihr Renata Ponce.
"Als Scout habe ich die Möglichkeit, hervorragenden Nachwuchswissenschaftler*innen aus benachteiligten Regionen der Welt den Anschluss an den globalen Wissenschaftsbetrieb zu ermöglichen. Das ist ein kleiner Beitrag zur globalen Chancengerechtigkeit."
Die musste nicht lange überlegen. Nur wenige Wochen später fand sich Renata Ponce mit einem Humboldt-Forschungsstipendium in der Forschungsgruppe „Proteinprozesse in der Neurodegeneration“ von Susanne Wegmann am Berliner DZNE wieder. Die Arbeit der Gruppe zielt darauf ab, die Funktionsweise des Tau-Proteins in all ihrer Komplexität zu verstehen. Das Tau-Protein ist in allen Nervenzellen des zentralen Nervensystems zu finden und sorgt normalerweise für die Stabilität dieser Zellen. In geschädigter Form aber lagert es sich in den Neuronen ab und stört deren Funktion. Ein Krankheitsbild, wie es bei Alzheimer und anderen Formen von Demenz zu finden ist. Auf lange Sicht will die Gruppe um Susanne Wegmann die Frage klären, wie es zu den krankhaften Veränderungen des Tau-Proteins kommt, die eine entscheidende Rolle für die Entstehung verschiedener neurodegenerativer Krankheiten spielen, und wie diese verhindert werden können.
Renata Ponce könnte ein Puzzlestein zur Rätsels Lösung beitragen. Sie hatte schon während ihrer Dissertation an der UNAM in Querétaro an Ratten untersucht, wie sich Stress auf das Erinnerungsvermögen der Tiere, also auf ihre Gehirnzellen auswirkt. In Berlin forscht sie nun mit in vitro Zellmodellen und Neuronen in Zellkultur, wie der Einfluss von Stressoren, z.B. des Stresshormons Cortisol und seiner Derivate, das Tau-Protein verändern. Einmal in der Woche bespricht Renata Ponce ihre Ergebnisse mit Susanne Wegmann, die als Host das Mentoring für ihre wichtigste Aufgabe hält.
„Ich hatte unglaublich gute Mentoren, die ihr Wissen weitergegeben und einen großen Anteil an meinem Erfolg haben“, erzählt die DZNE-Gruppenleiterin, die gerade in diesem Jahr mit dem Rainwater Prize for Innovative Early-Career Scientist ausgezeichnet worden ist. „Die Wissenschaft der Zukunft wird nicht mit Einzelkämpfern funktionieren, sondern durch engagiertes Mentoring und Menschen, die sich fragen, wie geht es eigentlich meinen Mitarbeitenden? Haben sie alles, was sie brauchen, um weiterzukommen?“ Damit Frauen sich nicht entmutigen lassen, weil Leitungspositionen in der Wissenschaft zum größten Teil noch von Männern besetzt sind, ist Wegmann ihre Mentorinnen-Rolle besonders wichtig, damit Chancengerechtigkeit und Diversität nicht nur Schlagworte sind. „Wenn ich weiß, wie man sich in einem männlich dominierten System durchsetzen kann und muss, wenn ich weiß, wie man Hürden überwindet, dann sollte ich auch bestimmt Hebel nutzen, wie z.B. das Scouting-Programm der Humboldt-Stiftung, um mein Wissen an andere Frauen weiterzugeben“, lautet ihre Überzeugung.
Renata Ponce kann davon nun profitieren. „Wenn du aus einem der weniger gut entwickelten Länder oder aus einem Schwellenland kommst, dann hast du gelernt, unter widrigen Umständen zu einem Ergebnis zu kommen und mit Missständen und Mangel umzugehen, Workarounds zu finden, kreativ zu sein. Diese Fähigkeit und die fantastischen Forschungsbedingungen hier an der Charité kommen jetzt zusammen. Ich habe das Gefühl, dass sie sich potenzieren, was mir sehr viel Kraft gibt“, erzählt sie. Auf jeden Fall hat Renata Ponce nun die Chance, ihre Forschungsergebnisse der letzten und kommenden Monate an renommierter Stelle zu publizieren. Als sie sich im letzten Herbst kurzerhand auf das Abenteuer Deutschland einließ, hat sie mit ihrem Arbeitgeber in Mexiko ausgehandelt, dass sie auf ihre Stelle im Krankenhaus zurückkehren könnte. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass ihre internationale Karriere in der Gehirnforschung mit dem Postdoc am DZNE in Berlin erst richtig losgeht. „Es ist fantastisch zu sehen, wie viel Energie, Motivation und Kreativität Renata in ihrer Forschung entfaltet. Das sind genau die Attribute, die sie in ihrer wissenschaftlichen Karriere weiterbringen werden", sagt Mentorin Susanne Wegmann.