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„Das Kolloquium hat uns gezeigt, dass wir uns aufeinander verlassen können“, lautete das positive Fazit von Pavol Sajgalik, Präsident der Slovak Academy of Sciences in Bratislava, in der Abschlussrunde des virtuellen Treffens am 23. und 24. September. „Wir sind wirklich eine Familie und das ist ein gutes Gefühl“, davon habe er sich wieder überzeugen können.
Zwei Tage lang hatte die virtuelle Konferenz der Stiftung und der Universität Warschau rund 150 Humboldtianer*innen aus Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn sowie Nachwuchswissenschaftler*innen aus diesen Ländern die Gelegenheit gegeben, neue Kontakte zu knüpfen und sich fachlich auszutauschen. Hochrangige Keynotes zum Spracherwerb einer maschinell konstruierten Sprache und zu Eigenschaften Schwarzer Löcher sowie Workshops zu Themen von Literatur über Geowissenschaften bis hin zu Informatik, in denen sich die Teilnehmenden austauschen konnten, zeigten die disziplinäre Diversität des ost- und mitteleuropäischen Netzwerks.
Bei der Veranstaltung ging es aber auch um die Frage, wie brain drain aus den Ländern verhindert und brain circulation in Gang gesetzt, also die Wissenschaft in der Region nachhaltig gestärkt werden kann. Unter dem Motto „Building Bridges, Moving Minds: The Role of the Humboldt Network in Fostering Research Cooperation in Europe“ kamen auch die schwierigen Rahmenbedingungen der Forschung in den Visegrád-Staaten sowie die Rolle von Forschenden in Gesellschaften mit zunehmendem Populismus und Anti-Intellektualismus zur Sprache.
„Anlässlich des 30. Jubiläums des Nachbarschaftsvertrags zwischen Polen und Deutschland blicken wir auf die Rolle der Humboldtianer*innen als Brückenbauende in Europa“, sagte Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung in seiner Eröffnungsrede über das Kolloquium, das eigentlich in Warschau stattfinden sollte. In seiner Rede unterstrich er anhand von persönlichen Erinnerungen an Reisen in die jeweiligen Länder und langjährige Freundschaften die besondere Bedeutung und die Identifikation der Alumni in Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn mit dem Netzwerk.
Aufgrund der globalen Menschheitsaufgaben sei die Wissenschaft auch in der Politikberatung von großer Bedeutung, stellte der Gesandte des Auswärtigen Amtes, Arndt Freytag von Loringhoven, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Polen, fest. „Sie – liebe Humboldtianer*innen – haben exzellente Ideen und Resultate produziert, auf die wir zählen. Wir sind stolz auf Sie!“, so Freytag Freiherr von Loringhoven an die Zuhörerschaft. „Ich bin überzeugt, dass Wissenschaftsfreiheit niemals wichtiger war als heute. Das ist aber nicht alles. Wissenschaftsfreiheit steht immer in Beziehung zur individuellen Freiheit. Wir müssen sicherstellen, dass Herkunft, Geschlecht oder Geisteshaltung die persönliche Entwicklung nicht behindern. Exzellente Wissenschaft ist an die Diversität von Lebensweisen gekoppelt”, fügte der Botschafter hinzu.
Die Stärke des Vertrauensnetzwerks zeigte sich in der Offenheit, mit der die Humboldtianer*innen aus Mittel- und Osteuropa über die Herausforderungen berichteten, vor denen sie aktuell stehen. Über dreißig Jahre nach der Samtenen Revolution und dem Zusammenbruch des Kommunismus sei schon viel vorangekommen, aber schlechte Ausstattung, niedrige Gehälter und geringes Ansehen der Wissenschaft seien zum Teil noch immer Hürden, vor allem um Nachwuchs zu gewinnen und frischen Wind in die Forschungsgruppen zu bringen, konstatierten Teilnehmende.
„Die meisten meiner Studierenden befinden sich im Ausland, eigentlich kann ich ihnen nicht raten, nach Ungarn zurückzukehren“, berichtet der ungarische Physiker Örs Legeza vom Wigner Research Centre for Physics. Dank internationaler Kooperationen wie den durch die Humboldt-Stiftung geförderten habe er das „System überlebt“. Es hätte gar nichts Besseres passieren können als ein grenzenloses Europa mit seinem freien Personenverkehr – für die Wissenschaft wünschenswert wäre aber eine Mobilität in beide Richtungen, von Ungarn in die Welt und zurück.
Für diese Mobilität in beide Richtungen setzt sich in ihrem Land die tschechische Biochemikerin Vladimira Petráková ein. Sie hat jüngst drei Jahre an der Freien Universität in Berlin geforscht und selbst erfahren, dass es für Wissenschaftler*innen im Ausland gar nicht so leicht ist, nach Hause zurückzukehren, selbst wenn sie wollen. Denn meist fehlt es an Kontakten und Anlaufstellen. Deshalb hat die Brückenbauerin mit Kolleg*innen die Czexpats in Science-Initiative gegründet. Die Initiative bringt rückkehrwillige tschechische Forschende mit Institutionen im Heimatland zusammen und unterstützt mobile Wissenschaftler*innen von Anfang an darin, den Kontakt nach Hause zu halten.
In einem Punkt aber habe ihr Land noch einen langen Weg vor sich: Um die Geschlechtergerechtigkeit sei es schlecht bestellt. „Ich kehrte als Mutter von vier Kindern aus Berlin zurück und war geschockt. Allein das Wort Gender löst hier toxische Reaktionen aus; es gibt immer noch Leute, die glauben, dass es einer natürlichen Ordnung entspricht, dass Frauen in den Wissenschaften unterrepräsentiert sind“, berichtete Petráková über ihren Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und die strukturelle Unterstützung von Wissenschaftlerinnen. „Es ist verdammt schwer, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, aber es ist falsch als Frau zu denken, man sei schwach, nur weil man Hilfe einfordert und in Anspruch nimmt“, stellt die Expertin für Nanotechnologie am J. Heyrovský Institute of Physical Chemistry in Prag fest.
Und welche Rolle haben Wissenschaftler*innen, wenn es um gesellschaftlich oder politisch bedeutende Fragen, etwa um das Impfen, geht? „Es gilt, ruhig Blut zu bewahren und der Gesellschaft immer wieder zu erklären, was auf rationalem, evidenzbasiertem Wissen basiert, und was auf Fake News und dem Irrationalen beruht“, sagte Pavol Sajgalik, Präsident der Slovak Academy of Sciences. „Dafür müssen Wissenschaftler*innen in die Medien gehen, ins Fernsehen, Radio, Social Media“, lautet sein Plädoyer für die Wissenschaftskommunikation.
Wie hilfreich die Vielfalt des weltweiten Netzwerks der Stiftung sein kann, berichtete Katarzyna Marciniak, die ehemalige Vertrauenswissenschaftlerin der Humboldt-Stiftung in Polen. Die Altphilologin untersucht, wie die Antike und ihre Fabelwesen in verschiedenen Adaptionen um die Welt reisen. Mehrere Kolleg*innen ihres internationalen Forschungsprojekts „Our Mythical Childhood“ hatte Marciniak über das Humboldt-Netzwerk kennenlernen und für das Projekt gewinnen können. Mit dem Vorhaben war es Marciniak gelungen, zum ersten Mal in der Historie der polnischen Geisteswissenschaften den Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats für ihre Forschung zu erhalten. „Neben den Verbindungen und Brücken, die wir schon haben, fehlt uns für unsere Arbeit noch eine wirklich große, solide Brücke – und das ist das Vereinte Europa“ – so Marciniak.
Die Humboldt-Stiftung dankt allen Alumni, die mit ihrer Teilnahme zum Gelingen des Kolloquiums beigetragen haben. Im besten Falle, so hofft man in der Stiftung, werden in nächster Zukunft erfolgreiche Bewerbungen eintreffen und neue Humboldtianer*innen aus Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn ins Netzwerk aufgenommen werden können.