Schwerpunkt

Die Wüste lebt!

Der spanische Ökologe Fernando T. Maestre erforscht, wie der Schutz von Dürregebieten gegen den Klimawandel helfen kann. Ein Gespräch über ergrünende Wüsten und darüber, wie aus einem kleinen Projekt ein globales Forschungsnetzwerk entstand.

  • vom 
  • Interview: Georg Scholl
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Professor Dr. Fernando T. Maestre ist Distinguished Researcher an der Universität von Alicante, Spanien, und Professor für Ökologie an der Rey Juan Carlos Universität in Móstoles, Spanien. Der Pflanzenökologe wurde an der Universität Alicante im Fach Biologie promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Duke University, USA, erhielt er für das globale Forschungsvorhaben BIOCOM 2009 den Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Maestre absolvierte unter anderem Forschungsaufenthalte in Australien, Deutschland, China und den USA. Im Jahr 2014 wurde Maestre mit dem Humboldt-Forschungspreis ausgezeichnet. Seitdem arbeitet er unter anderem für die Analyse der in Trockenzonen gesammelten Daten eng mit deutschen Kolleginnen und Kollegen in Berlin und Leipzig zusammen. 2014 konnte er für das Nachfolgeprojekt BIODESERT einen Consolidator Grant des ERC anwerben. Bis Ende 2020 untersucht Maestre mit seinem Team an der Rey Juan Carlos Universität im Rahmen von BIODESERT, wie die Ökosysteme in Trockenzonen auf den Klimawandel in Zukunft reagieren könnten.

Trockenzonen machen 41 Prozent der Erdoberfläche aus. Das Foto zeigt die Pampa in der Nähe des Vulkan Lanín, Argentinien.

Kosmos: Herr Maestre, wenn es um den Klimaschutz geht, denken viele zuerst an den Regenwald und an Aufforstungsprojekte. Sie dagegen erforschen, was Dürrezonen für den Klimaschutz leisten können.

Maestre: Es stimmt, den Trockenzonen wird traditionell leider nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei machen sie über 40 Prozent der Erdoberfläche aus. Doch sie produzieren wenig Biomasse im Vergleich zu anderen Vegetationszonen, es fehlt einfach an Wasser. Hinzu kommt, dass wissenschaftliche Schwergewichte wie Deutschland und Großbritannien keine Trockenregionen haben. Die USA haben zwar Trockenregionen, aber im Fokus der Aufmerksamkeit standen dort immer Ökosysteme mit mehr Vegetation.

Kosmos: Wie gelang es Ihnen trotzdem, ein Forschungsnetzwerk aufzubauen, das heute auf fünf Kontinenten aktiv ist und vom European Research Council (ERC) gefördert wird?

Maestre: Die Idee, die Trockengebiete der Welt zu erforschen, hatte ich schon ganz früh als junger Doktorand. Als ich 2005 nach einem Postdoc- Aufenthalt in den USA nach Spanien zurückkehrte, erhielt ich für das Projekt zunächst nur eine so winzige Fördersumme, dass ich es erst einmal nur in Spanien umsetzen konnte. Aber ich wusste schon damals, dass ich das Ganze viel größer anlegen wollte.

Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Das Biocom-Projekt

Die schwarzen Punkte auf der Weltkarte geben Lage und Zahl der Versuchsfelder des EU-finanzierten Projekts BIOCOM an. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in mittlerweile 19 Ländern auf fünf Kontinenten konnte unter Leitung von Fernando T. Maestre erstmals systematisch vereinheitlicht die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften der Ökosysteme in den Trockenzonen der Welt erforscht werden. In den Trockenzonen wie der Pampa in der Nähe des Vulkan Lanín, Argentinien, übersteigt die mittlere jährliche Verdunstung den mittleren jährlichen Niederschlag. Trockenzonen machen 41 Prozent der Erdoberfläche aus und beherbergen mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung. Für das Klima sind Trockenzonen von großer Bedeutung, denn auch dort können Boden und Vegetation entscheidende Mengen Kohlenstoffdioxid speichern. Ein Ergebnis des BIOCOM-Projekts: Biodiversität in den Trockenzonen ist ein entscheidender Faktor, damit sie der Menschheit als Lebensgrundlage und im Kampf gegen die Erderwärmung nicht verloren gehen.

biocom.maestrelab.com
Vernetze Forschung rund um den Globus: Die schwarzen Punkte geben Lage und Anzahl der Versuchsfelder des EU-finanzierten Projekts BIOCOM an.

Kosmos: Wie ging es weiter?

Maestre: Der Durchbruch kam im Jahr darauf, als mein Team und ich Geld von dem Ibero-Amerikanischen Programm für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik (CYTED), einem Förderverbund Spaniens, Portugals und 19 lateinamerikanischer Länder, bekamen. Da- mit konnten wir ein Netzwerk aufbauen, das die verschiedensten Forschergruppen zusammenbrachte: erfahrene und solche, die gerade erst im Entstehen waren. So bekamen wir plötzlich Partner in Argentinien, Chile, Venezuela, Brasilien, Nicaragua, Peru, Ecuador und Mexiko.

Kosmos: Wie gelang die Zusammenarbeit in so einer bunten Gruppe?

Maestre: Ich bat alle Forscherteams darum, alles genau so umzusetzen, wie wir es schon in Spanien gemacht hatten. Unsere Vorgehensweise in Spanien hatte sich bewährt, jetzt mussten wir sehen, ob sie auch in einem anderen Umfeld funktionierte. Und das tat sie!

Nachrichten aus der Stiftung 

„Bis vor einigen Jahren wusste niemand, was für ein großer CO2-Speicher die Böden der Trockengebiete sind.“
-

Kosmos: So gut, dass es auch den ERC überzeugte?

Maestre: Mein erster Antrag wurde noch abgelehnt. Im Jahr drauf bewarb ich mich erneut, und diesmal klappte es. Mein Labor und ich hatten plötzlich genug Geld, um das nötige Personal anzuwerben, die Unmengen an gesammelten Bodenproben zu analysieren und den Versand zu bezahlen Wir konnten neue Partnerschaften in der ganzen Welt eingehen. Während meines Aufenthalts in Deutschland als Humboldt- Forschungspreisträger sind auch zahlreiche deutsche Kollegen mit eingestiegen. Sie haben selbst Feldstudien in Ländern wie Ghana und Burkina Faso durchgeführt oder die Bodenproben auf ergänzende Variablen hin untersucht.

Kosmos: Welche Ergebnisse brachte die Zusammenarbeit?

Maestre: Wir konnten den Beweis liefern, dass die Vielfalt von Pflanzen und Mikroben eine Schlüsselrolle spielt: Sie ist essenziell für die Funktionen des Ökosystems, welche die Fruchtbarkeit des Bodens und das Wachstum von pflanzlicher Biomasse ermöglichen, – und von denen weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen abhängig sind. Bis vor einigen Jahren konnte sich niemand vorstellen, was für eine wichtige Rolle der Biodiversität in Trockenzonen zukommt. Außerdem konnte man in den letzten 30 bis 40 Jahren eine regelrechte Ergrünung der Dürrezonen weltweit beobachten. Das weist darauf hin, dass viel CO2 zusätzlich gebunden wird.

Kosmos: Was hat zu der Ergrünung geführt?

Maestre: Der gestiegene CO2-Anteil in der Atmosphäre hat dazu geführt, dass die Pflanzen mehr Wasser aufnehmen können, und so ihre Fähigkeit zur Fotosynthese stimuliert. Dadurch konnten sie besser wachsen. Doch dieser Effekt hat in einigen Regionen schon sein Maximum erreicht, zumal durch den Klimawandel eine Erwärmung stattgefunden hat und die Niederschlagsmengen immer geringer werden.

Wie viel Kohlenstoffdioxid gibt der Boden ab? Professor Maestre an einem Versuchsfeld in der Nähe von Alicante, Spanien.

Kosmos: Was wird dann passieren, wenn der Wassermangel noch größer wird?

Maestre: Wir können noch keine allgemeingültigen Aussagen über die weltweiten Niederschlagsmengen der Zukunft treffen. Einige Gegenden mögen mehr Niederschlag, andere ausgedehnte Dürren erleben. Aber wir gehen davon aus, dass durch die globale Erderwärmung die Verdunstung und der damit verbundene Wassermangel ansteigen. Dieser Effekt wird nicht durch die positive Auswirkung des erhöhten Kohlenstoffdioxidgehalts in der Atmosphäre auf das Pflanzenwachstum kompensiert werden können. Hinzu kommt, dass die Trockengebiete in einigen Regionen der Welt in einem schlechten Zustand sind.

Kosmos: Woran liegt das?

Maestre: Ein Grund ist in vielen dieser Gebiete die Abholzung von Bäumen und Sträuchern. Außerdem sind sie oft überweidet. Die Trockenzonen beherbergen zwei Milliarden Menschen, neunzig Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern, wo sie von dem leben, was die Umgebung liefert; von ihren Tieren, die hier grasen, und von dem, was sie anbauen können.

Kosmos: Was müsste sich ändern?

Maestre: Eine Menge könnte durch eine gute Steuerung der Weidehaltung erreicht werden. Wir gewinnen sehr aufschlussreiche Daten darüber, wie viele Tiere wie lange an einem Ort verweilen können, bis dieser so abgegrast ist, dass er sich nicht mehr erholen kann. Eine Schlüsselrolle spielen außerdem alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die Biodiversität zu erhalten.

Kosmos: Wenn es ums Überleben geht, steht Umweltschutz nicht an erster Stelle. Stoßen ihre Ratschläge trotzdem auf offene Ohren?

Maestre: In den Entwicklungsländern ist es oft schwieriger den Menschen zu erklären, dass sie bestimmte Verhaltensweisen ändern müssen, nicht allein aus Gründen des Umweltschutzes, sondern weil sie ansonsten ihre eigene Existenzgrundlage aufs Spiel setzen.

Blick auf die Tabernas-Wüste in der Region Almería, Spanien, eine der trockensten Regionen Europas

Kosmos: Welchen Beitrag leisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Afrika in Ihren Teams?

Maestre: Sie führen einen Großteil der Feldstudien durch. Zu unserem Netzwerk gehören Forschende in Niger, Südafrika, Namibia, Botswana, in Algerien, Ghana, Marokko, Tunesien und Kenia. Wir versuchen, sie vor Ort auszubilden. So gehen wir sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern Afrikas die Methoden kennen und die Arbeitsweise beherrschen. Das kostet sicher sehr viel Zeit, aber ich persönlich finde das sehr bereichernd.

Kosmos: Sie standen von Anfang an im Zentrum des Projekts und gaben die Methoden vor. Doch ein Netzwerk besteht aus vielen Persönlichkeiten mit eigenen Vorstellungen. Hat niemals jemand auf den Tisch gehauen und gesagt, „meine Idee ist besser“?

Maestre: Nein, das ist nicht vorgekommen. Aber durch die Ideen anderer sind wir auf Ansätze gestoßen, die wir gar nicht mitgedacht hatten. Es erlaubte uns, Fragen zu beantworten, an die ich im Traum nicht gedacht hätte.

Kosmos: Wagen Sie eine Prognose: Werden die Trockengebiete in 20 Jahren grüner sein?

Maestre: Dafür müssten wir jetzt sofort ein ambitioniertes Rettungsprogramm starten. Wir tun viel, um die Ergebnisse unserer Forschung bekannt zu machen; geben Interviews im Radio und im Fernsehen, nutzen die Sozialen Medien, um unsere Ergebnisse zu kommunizieren, aber die Politiker haben sich bis jetzt noch nicht wirklich dafür interessiert oder nach Rat gefragt.

Kosmos: Auch nicht in Ihrer Heimat Spanien, das in der EU eines der am meisten von Wüstenbildung bedrohten Länder ist?

Maestre: Leider nein. Aber wenn wir jetzt nichts tun, wird Südspanien in Zukunft eher den Charakter einer nordafrikanischen Landschaft haben und wir laufen Gefahr, das Grundwasser nicht mehr erschließen zu können. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Spanien und andere betroffene Länder endlich aufwachen und den Schutz ihrer Trockenzonen und Grundwasserressourcen als nationale Priorität begreifen.

aus Humboldt Kosmos 111/2020

vorheriger Artikel Gemeinsam mehr erreichen
nächster Artikel Kween Kong: Comedy gegen Rassismus