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Im Bann des Schwarzen Loches

Ohne ein weltumspannendes Netzwerk wäre diese Sensation nicht möglich gewesen: Radioastronomen gelang das erste Foto eines Schwarzen Lochs im Weltraum. Wissenschaftler aus 20 Ländern haben dafür zusammengearbeitet. Führender Kopf des Verbundes: Humboldt-Forschungspreisträger Anton Zensus vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie.

  • vom 
  • Text: Thorsten Dambeck
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Der Radioastronom Professor Dr. Anton Zensus ist Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, erhielt 1994 den Humboldt-Forschungspreis und 1999 den Max-Planck-Forschungspreis. Anton Zensus studierte Physik und Astronomie in Köln und Münster, wo er 1984 promoviert wurde. 1985 ging er als Postdoktorand in die USA an das California Institute of Technology in Pasadena in Kalifornien und 1988 an das National Radio Astronomy Observatory in Socorro, New Mexico und Charlottesville, Virginia. 1996 wurde Anton Zensus zum wissenschaftlichen Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und zum Direktor an das Bonner Institut berufen, wo er die Forschungsabteilung für Very Long Baseline Interferometry (VLBI) leitet.

Anton Zensus im Steuerungsraum des Radioteleskops Effelsberg in der Eifel

Es ist nicht leicht, Anton Zensus im Herbst 2019 zu treffen. Wer den Astrophysiker interviewen will, muss erst einmal einen freien Termin ergattern. Seien es Fachvorträge, öffentliche Auftritte vor faszinierten Laien oder Preisverleihungen: Zensus ist gefragt. Dann klappt es aber doch und zwar an seinem Arbeitsplatz, dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, dessen Direktor Zensus ist. Zudem leitet er den Kollaborationsrat des Event Horizon Telescope Konsortiums, das aus rund 200 Forscherinnen und Forschern aus 60 Instituten besteht. Was fokussiert ein so starkes Interesse auf den Radioastronomen? Es ist gerade ein halbes Jahr her, als am 10. April 2019 das EHT-Team einen bahnbrechenden Erfolg meldete: Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten war das gelungen, was Experten lange für unmöglich gehalten hatten: ein Schwarzes Loch zu porträtieren.

Solch ein mysteriöses Objekt, wie es in einer fiktiven Version bereits Millionen Kinogänger im Weltraumepos „Interstellar“ bestaunt hatten, kann nun quasi in natura besichtigt werden. Das Bild wurde auf zeitgleich angesetzten Pressekonferenzen der weltweiten Öffentlichkeit präsentiert, in Brüssel in Anwesenheit des EU-Kommissars für Wissenschaft, Carlos Moedas. In den Worten des Portugiesen klingt die Bedeutung des Ereignisses an, er sprach von „einem Durchbruch für die gesamte Menschheit“. Ein Mitschnitt der Veranstaltung wurde bis heute über drei Millionen Mal im Internet angeklickt. Und die Aufnahme des Schwarzen Lochs sorgte für eine Welle von Schlagzeilen in der Weltpresse. Ausgewählte Titelstorys hängen seitdem als großes Poster an der Wand zu Zensus’ Bonner Büro. „Dieser Tsunami an öffentlichem Interesse hat uns überrascht“, räumt er ein.

Nachrichten aus der Stiftung 

Anton Zensus mit Entwicklungsingenieur Gino Tuccari im Bonner Labor für Very Long Baseline Interferometry (VLBI) vor einem Datenaufzeichnungsgerät

Auch für einen nüchternen Physiker sind Schwarze Löcher ein Faszinosum. Denn diese sind im wahrsten Sinne des Wortes anziehend: Wegen ihrer gewaltigen Schwerkraft kann keinerlei Materie ihre Umgebung verlassen. Sogar Licht und anderen elektromagnetischen Wellen misslingt es, aus ihnen zu entweichen, eben deshalb sind sie „schwarz“. Als theoretisches Konzept geistern Schwarze Löcher seit über einem Jahrhundert durch das Universum, lassen sie sich doch als Konsequenz der Allgemeinen Relativitätstheorie denken. Aber obwohl der Physiker Karl Schwarzschild sie bereits 1916 aus den Einsteinschen Gleichungen ableitete, bezweifelte Einstein selber ihre Existenz. Die heutige Astrophysik hatte zwar kaum noch Zweifel, dass der Kosmos tatsächlich von solch bizarren Objekten bevölkert ist, jedoch gab es dafür bis zum vergangenen Frühjahr nur indirekte Belege.

Trotzdem musste es möglich sein, Schwarze Löcher visuell nachzuweisen, diesem Credo folgte Anton Zensus seit langem in seiner Wissenschaftlerkarriere. Das Interesse am Weltall hatte den Physiker bereits seit dem Hauptstudium in Münster nicht mehr losgelassen. Doch erst ein langer Atem und die beharrliche Arbeit an wissenschaftlichen und technischen Innovationen brachten schließlich den Erfolg.

Ein wissenschaftliches Faszinosum

Lange zuvor war bereits klar gewesen, dass sichtbares Licht für die Abbildung Schwarzer Löcher ungeeignet ist. Nur besonders kurzwellige Radiostrahlung kann die kosmischen Distanzen zwischen dem Studienobjekt und dem irdischen Beobachter ungehindert passieren. Doch die infrage kommenden Antennen mussten erst für den Empfang der Millimeterwellen präpariert werden. Zudem mussten Computer lernen, aus den Messdaten ein fotoähnliches Bild zu errechnen. Auch konnten die Messungen selbst nicht von einem einzelnen Radioobservatorium allein durchführt werden. Nur durch die Zusammenschaltung von acht einzelnen Teleskopen in Chile, Mexiko, Hawaii, Arizona, Spanien und der Antarktis entstand ein ausreichend großes virtuelles Radioteleskop, dessen Vergrößerung für das vergleichsweise winzige Schwarze Loch ausreichte. Im Jargon der Experten heißt das Very Long Baseline Interferometry. Insbesondere die 66 ALMAAntennen („Atacama Large Millimeter Array“) in Chile, die in das EHT-Netzwerk integriert wurden, waren für den Erfolg entscheidend.

„So etwas kann einem Wissenschaftler wohl höchstens einmal in seiner Karriere passieren.“
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„Bei unserer Forschung ist internationale Zusammenarbeit unverzichtbar“, erklärt Zensus, der insgesamt 16 Jahre seiner Karriere in den USA verbrachte. Die Stationen dort: Caltech im kalifornischen Pasadena, Socorro in New Mexico und zuletzt Charlottesville in Virginia. An der dortigen Zentrale des National Radio Astronomy Observatory schärfte er sowohl die technischen als auch die organisatorischen Fähigkeiten, die für seine spätere Leitungsposition im EHT-Konsortium entscheidend waren. Denn das Netzwerk aus Radioantennen musste auf eine solide organisatorische Basis gestellt werden. Zensus: „In zwei Jahren kamen rund 50 Meetings zusammen.“ Seine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender war es, mit einem detaillierten Vertragswerk die unterschiedlichen Interessen für das gemeinsame Ziel auszubalancieren. Zensus: „Das erforderte auch manchmal Führung zu übernehmen.“

Anton Zensus in einer Besprechung mit Forschenden seiner Arbeitsgruppe im Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Nun kann sich jeder ein Bild von einem Schwarzen Loch machen. Das von den EHT-Forschern abgelichtete Exemplar liegt im Sternbild Jungfrau und zwar im Zentrum der riesigen elliptischen Galaxie M87. Im Club der Schwarzen Löcher ist es ein besonders massives Mitglied, es bringt 6,5 Milliarden Sonnenmassen auf die Waage. Auf dem Bild erkennt man einen zentralen Bereich, der tatsächlich schwarz ist. Das eigentliche Loch verbirgt sich unsichtbar in dieser Dunkelzone. Sie ist umgeben von einer hellen Region. Zensus erläutert: „Das ist heiße, strahlende Materie, die sich ringförmig um das Schwarze Loch angesammelt hat.“ Ein beträchtlicher Teil der leuchtenden Materie befinde sich sogar hinter dem Schwarzen Loch. Das liege daran, dass ein derart massives Objekt Raum und Zeit so stark krümmt, dass es Licht ablenkt. Ab einem bestimmten Punkt laufen dann die Lichtstrahlen kreisförmig um das Objekt herum. Genau genommen zeigt das Bild also nicht das Schwarze Loch selbst, sondern dessen Schatten und die unmittelbare Umgebung.

Weltweites Netz von Teleskopen

Schwarze Löcher sind auch deshalb so populär, weil sie eine mystische und bedrohliche Aura umweht. Das fiktive Exemplar im Interstellar-Film heißt Gargantua, wie der Vater aller grotesken Riesen aus der gleichnamigen Renaissance- Erzählung von Rabelais. Für sein echtes Pendant in der Galaxie M87 interessieren sich inzwischen auch jene Zeitgenossen, die Physik und Astronomie sonst eher kalt lassen. „Wir werden nun anders wahrgenommen“, so Zensus. „Früher habe ich keine Vortragseinladungen bekommen, um vor mittelständischen Unternehmen zu sprechen, jetzt schon.“ Auch bei jungen Menschen sei ein deutlich gewachsenes Interesse feststellbar, das gebe den naturwissenschaftlichen und technischen Fächer wieder Auftrieb. Zensus: „Meine Söhne verfolgen beide Karrieren außerhalb der Naturwissenschaft. Jetzt werden sie von ihren Freunden angesprochen, dass der Vater und seine Kollegen ja faszinierende Forschung betreiben. Eine neue Erfahrung für mich.“

Anton Zensus im Hauptspiegel des Effelsberger Teleskops, der einen Durchmesser von 100 Metern hat

Auch von offizieller Seite ist für die Radioastronomie wieder mehr Unterstützung feststellbar. Das sei auch nötig, wenn man die Spitzenposition bei dieser Forschung behalten wolle, betont Zensus nachdrücklich. Mit zusätzlichen Radioteleskopen soll das Netzwerk verstärkt werden. Das wird die Bildqualität künftiger Aufnahmen verbessern und deren wissenschaftliche Interpretation erleichtern. Dazu könnten auch Radioantennen auf Satelliten im Weltraum beitragen.

„Die moderne Physik steht auf dem Prüfstand.“
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Bei der Erforschung der Schwarzen Löcher geht es aber nicht nur um weit entfernte Himmelsobjekte. Vielmehr steht auch die moderne Physik in ihren Grundfesten auf dem Prüfstand: Wegen ihrer extremen Gravitationsfelder muss sich die Allgemeine Relativitätstheorie nämlich unter Bedingungen bewähren, die ihr zuvor niemals abverlangt wurden. Bisher hält Einsteins Gedankengebäude dem Härtetest stand, den die EHT-Forscher ihm zumuten.

Momentan arbeitet das Konsortium daran, das Schwarze Loch im Zentrum unserer eigenen Milchstraße abzulichten. Die Messungen dazu liegen vor, ihre Auswertung läuft auf Hochtouren. Obwohl es uns über 2 000-mal näher ist als dasjenige in M87, ist die Ablichtung nicht einfacher. Zensus erklärt: „Die vergleichsweise schnellen Veränderungen im Zentrum der Milchstraße verursachen Störungen und machen es schwieriger ein Bild anzufertigen. Wir sind momentan dabei diesen Effekt herauszurechnen.“ Vorsichtig blickt Zensus nun auf die Uhr, bald steht die nächste Reise an. Dann fliegt er zur Verleihung des Breakthrough Prize für Fundamentalphysik, der 2019 das gesamte EHT-Team ehrt. Der manchmal „Oscar der Physik“ genannte Preis wird am kalifornischen Ames- Zentrum der NASA vergeben. Und wenige Tage später geht es zur „Falling-Walls“-Konferenz nach Berlin – auch dort will man mehr über den Durchbruch bei den Schwarzen Löchern hören. Die Welle der Neugier und Faszination ebbt nicht ab.

aus Humboldt Kosmos 111/2020

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