Gastbeitrag

Johann Wadephul: „Wissen ist das größte Kapital“

Außenminister Johann Wadephul legt in seinem Gastbeitrag dar, wie die Philipp-Schwartz-Initiative in ihrem ersten Jahrzehnt zu einer unverzichtbaren Zuflucht für bedrohte Forschende geworden ist – und damit zeigt, wie Deutschland Wissen als Grundlage politischer und gesellschaftlicher Entscheidungsfähigkeit bewahrt und stärkt.

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  • Gastbeitrag von Johann Wadephul
Porträtfoto von Außenminister Johann Wadephul
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Johann Wadephul ist seit Mai 2025 Bundesaußenminister. Das Auswärtige Amt und die Humboldt-Stiftung initiierten 2015 gemeinsam die Philipp Schwartz-Initiative, die gefährdete Wissenschaftler*innen aus dem Ausland aufnimmt. Wadephul betont die Bedeutung des Programms als Beitrag zur Unterstützung verfolgter Forschender – und zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit.

Philipp Schwartz-Initiative
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Lebenslauf von Außenminister Johann Wadephul

Johann Wadephul über den Namensgeber Philipp Schwartz  

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, einen Blick auf einige Papiere aus dem Nachlass von Philipp Schwartz zu werfen. Unter anderem findet sich dort ein kleines Heft, das den Titel „Notgemeinschaft“ trägt. Im Vorwort der Broschüre beschreibt Schwartz den Tag vor seiner Flucht aus Frankfurt:

„Am 23. März 1933, Montag vormittags, traf ich im Garten des städtischen Krankenhauses in Frankfurt/Main zufällig den Kollegen A. W. Fischer (…). Er fragte mich ehrlich besorgt, warum ich noch nicht ‚verreist‘ bin. Ich solle noch am selben Tag ‚verschwinden‘, sonst könnte ich verhaftet werden. (…) Ich war bereit.“  

Tage zuvor, auch das beschreibt Schwartz, hatte die Polizei sein Haus durchsucht, angeblich, um versteckte Maschinengewehre zu finden. Schwartz war Pathologe. Als seinerzeit jüngster Professor Deutschlands lehrte er an der Universität Frankfurt. Und er war jüdisch. Für das nationalsozialistische Deutschland reichte das, um ihn ins Exil zu treiben.  

Philipp Schwartz im Exil – der Beginn einer Schutzinitiative

Von Zürich aus, wo er zunächst bei Verwandten unterkam, beobachtete er die Lage in Deutschland: „Und dann kamen täglich die Schreckensnachrichten über Suspension, Vertreibung, Verhaftung, Misshandlung und Selbstmord von Universitätslehrern in ganz Deutschland. Schon Anfang April traf man in Zürich auf Schritt und Tritt Kollegen, die normalerweise ihren Unterrichtspflichten in Frankfurt am Main, Berlin oder Würzburg hätten nachgehen müssen. (…) Wir mussten versuchen einer Panik entgegen zu arbeiten, und zu organisieren.“

„Neben seinen Forschungen wurde es Schwartz‘ Lebensprojekt, verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu ermöglichen, in Freiheit zu forschen.“
Johann Wadephul, Bundesaußenminister

Philipp Schwartz gründete die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“, einen Zusammenschluss von mehr als tausend deutschen Universitätsangehörigen, die von den Nationalsozialisten bedroht und vertrieben wurden. Die Initiative unterstützte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach ihrer Flucht aus Deutschland, vermittelte ihnen Arbeitsplätze, gab ihnen eine Perspektive. Neben seinen Forschungen wurde es Schwartz‘ Lebensprojekt, verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu ermöglichen, in Freiheit zu forschen. 

Johann Wadephul sieht eine besondere Verantwortung 

Ich bin überzeugt: Uns Deutsche trifft vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine ganz besondere Verantwortung. Wir wollen sie wahrnehmen, und wir fühlen uns verpflichtet, Menschen wie Phillipp Schwartz zu ehren. Und ihre Arbeit in gewisser Weise fortzuführen.

„Wissenschaftsfreiheit hat in Deutschland zurecht Verfassungsrang.“
Johann Wadephul, Bundesaußenminister

Denn heute leben wir in einer Welt, in der systemische Angriffe auf Wissenschaftsfreiheit immer weiter zunehmen, übrigens auch innerhalb Europas, innerhalb des transatlantischen Raums. Wissenschaftsfreiheit hat in Deutschland zurecht Verfassungsrang und ist ein wichtiger Grundsatz unserer internationalen Hochschul- und Wissenschaftskooperation.

Wichtiger Impact mit der Philipp-Schwartz-Initiative  

Deswegen hat das Auswärtige Amt vor zehn Jahren mit der Gründung der Philipp Schwartz-Initiative (PSI) ein sichtbares Zeichen gesetzt und ein deutsches Schutzprogramm für ausländische Forscherinnen und Forscher eingeführt.  

  • Durch diese Initiative ermöglichen wir – gemeinsam mit der Alexander von Humboldt-Stiftung – deutschen Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen in ihren Heimatländern Krieg oder Verfolgung drohen, für eine Zeit bei sich aufzunehmen.  
  • Davon profitieren nicht nur der deutsche Wissenschaftsbetrieb und der Standort Deutschland. Die Forscherinnen und Forscher sollen so auch als Mitglieder der globalen Wissenschaftsgemeinschaft erhalten bleiben, weiter forschen und sich vernetzen können.  
  • Seit zehn Jahren wurden damit über 600 Fellows aus über 30 Ländern gefördert – im regulären Programm, aber auch in Sonderprogrammen für Afghanistan, den Iran und die Ukraine.

Blick auf die einzelnen Schicksale der Geförderten richten  

Der Alexander von Humboldt-Stiftung gilt mein aufrichtiger Dank für ihr großes Engagement, das einen entscheidenden Unterschied ausmacht bei der Verteidigung der Freiheit von Wissenschaft. Wie wichtig diese Initiative ist, erschließt sich, wenn wir einen Blick auf die Schicksale der Geförderten werfen.  

Zum Beispiel das der afghanischen Rechtswissenschaftlerin Suhailah Akbari. Sie war seit der Machtübernahme der Taliban 2021 direkt bedroht und musste mit ihren beiden Töchtern das Land verlassen. Nach Tagen voller Ungewissheit und Angst am Flughafen von Kabul gelang ihr mit deutscher Hilfe die Flucht nach Deutschland. Als Philipp Schwartz-Stipendiatin an der Humboldt-Universität zu Berlin konnte sie ihre Forschung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen von Klimapolitik und dem Handel mit sauberer Energie wieder aufnehmen. Zu Zukunftsthemen also, die wir für ein in der Zukunft hoffentlich stabileres Afghanistan dringend brauchen.  

Denn Rückkehr und ein Beitrag zum Aufbau sozialer und wirtschaftlicher Festigkeit der Herkunftsländer sind Grundideen der Initiative. 

Johann Wadephul appelliert: Forschungsfreiheit aktiv schützen  

Die Zukunft war es auch, über die Philipp Schwartz zum Ende seines Lebens nachdachte: „Versuchen wir also, unseren Nachfolgern in den kommenden Generationen zu zeigen, dass während einer der düstersten Perioden der Geschichte, entgegen der Absichten deutscher Verderber, neue Gedanken und Leistungen, deren Wurzeln in deutschem Boden wuchsen, die Vorbereitung einer glücklichen Zukunft wesentlich gefördert haben.“

„Wissen ist das größte Kapital unserer Gesellschaften. Lassen wir uns das nicht verderben, sondern aktiv schützen und fördern.“
Johann Wadephul, Bundesaußenminister

Eine glückliche Zukunft wünsche ich allen Fellows und Alumni der Philipp Schwartz-Initiative. Wir wollen einen Beitrag leisten, ihre Gedanken und Leistungen zu bewahren und ihnen helfen, ihr Potenzial in einem sicheren Umfeld zu vertiefen. Wir wissen um die Mühen, die sie auf sich genommen haben und es täglich weiter tun. Wissen ist das größte Kapital unserer Gesellschaften. Lassen wir uns das nicht verderben, sondern aktiv schützen und fördern.

Johann Wadephul 

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