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Am Scheideweg? US-Außen- und Wissenschaftspolitik nach den US-Wahlen

Interview mit dem US-China-Experten und ehemaligen Bundeskanzler-Stipendiaten Michael Laha über die Zukunft amerikanischer Außen- und Wissenschaftspolitik nach den US-Wahlen am 5. November 2024. 

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Foto von Wählern, die in einer Schlange vor einem Wahllokal mit dem Schild „Vote Here“ stehen
Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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Am 5. November findet die US-Präsidentschaftswahl statt. Es geht dabei nicht nur um das höchste Amt im Staat. Auch ein Drittel der US-Senator*innen und alle 435 Mitglieder des US-Repräsentantenhauses werden gewählt. Es ist ein entscheidender Moment für die Zukunft der Nation, aber auch für die Weltpolitik und die transatlantische Zusammenarbeit. Welche Richtung wird das Land einschlagen?

Wir haben den ehemaligen Bundeskanzler-Stipendiaten (2021 - 2022) und Experten für US-China-Politik Michael Laha gefragt, wie sich das Wahlergebnis auf die Außenpolitik und die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Innovation auswirken könnte.
 

Humboldt-Stiftung: Herr Laha, wie empfinden Sie die Stimmung in den USA so kurz vor den Wahlen?
Michael Laha: Die Stimmung ist sehr angespannt. Überall. Im Fernsehen. Bei meinen ehemaligen Arbeitgebern in den USA. Bei mir zu Hause und in meinem Bekannten- und Freundeskreis.

Viele Menschen in Europa verfolgen den Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris mit großem Interesse. Was erwarten Sie nach einem Wahlsieg von Harris – insbesondere in Bezug auf die Außenpolitik?
Man sollte sich darauf einstellen, dass Kamala Harris einen sehr ähnlichen Ansatz wie Joe Biden weiterführen wird. Sie hat allerdings wenig Bezug zu Europa, was sie von Joe Biden unterscheidet, der sehr gut mit Europäern kann. Die derzeit zuständige Person für Westeuropa in Präsident Bidens Nationalem Sicherheitsrat ist übrigens Laura Daniels, eine ehemalige Bundeskanzler-Stipendiatin der Humboldt-Stiftung.

So wie Philip Gordon, der Nationale Sicherheitsberater von Kamala Harris. Auch er ist ein ehemaliger Bundeskanzler-Stipendiat. Wie schätzen Sie seinen Einfluss ein?
Herr Gordon ist ein bekannter Transatlantiker, der auch Deutschland recht gut kennt. Wenn Harris gewinnt, sollte man damit rechnen, dass er den gesamten außenpolitischen Kurs einer Harris-Walz-Administration maßgeblich steuern wird. Aber er muss sich dann auch auf China konzentrieren. Das lässt auf positive Entwicklungen hoffen, da er besonders gut in der Lage wäre, auf europäische Bedenken hinsichtlich der amerikanischen China-Politik einzugehen.

Ein dunkelhaariger Mann und eine dunkelhaarige Frau sitzen nebeneinander hinter einem Tisch. Sie sagen etwas zueinander. Vor ihnen stehen Pappschilder, auf denen jeweils "United States" steht. Es handelt sich um Kamala Harris und Phil Gordon.
Kamala Harris spricht mit ihrem Nationalen Sicherheitsberater und Humboldtianer Philip Gordon

Tim Walz, dem Running Mate von Kamala Harris, werden gute Beziehungen zu China nachgesagt.
Ja, er hat eine Zeitlang dort gelebt. Ende der 1980er war er Englischlehrer in China. In dieser Zeit verfolgte er auch die Proteste und deren brutale Niederschlagung auf dem Tiananmen-Platz. Dieses Ereignis hat ihn sehr geprägt. Trotzdem entschied er sich, den Kontakt zu China zu pflegen und ihn nicht abzubrechen. Nach seiner Rückkehr in die USA gründete er ein kleines Unternehmen, das Schüleraustauschprogramme zwischen China und den Vereinigten Staaten organisierte. Das ist eine gute Erfahrungsgrundlage. Gleichzeitig übt er scharfe Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen. Das bedeutet, dass er sehr genau in seinen Äußerungen zwischen den Menschen Chinas und der Führung unterscheiden kann. Mit seiner Erfahrung ist Tim Walz sozusagen – und ich kann mir dieses Wortspiel jetzt nicht verkneifen – eine „trump card“.

Und was, wenn Donald Trump gewinnt? Was würde das konkret für Wissenschaft und Innovation in den USA und für die transatlantischen Wissenschaftsbeziehungen bedeuten?
Egal, wer die Wahlen gewinnt, die Auseinandersetzung zwischen den USA und China wird sich ausweiten und noch mehr Technologiefelder mit sich reißen. Über die letzten paar Jahre haben wir erlebt, wie sich in den Bereichen Halbleiter, Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien aber auch E-Mobilität Fronten entwickelt haben. Mittlerweile ist klar, dass Biotechnologie noch hinzukommen wird. Dieses Thema ist, glaube ich, noch gar nicht so stark wahrgenommen worden in Deutschland. Das ist schon einmal eine Baustelle für die deutsche Politik.

Was bereitet Ihnen gerade bei der Technologie-Entwicklung besondere Kopfschmerzen?
Es gibt eine Sache, die besonders besorgniserregend ist, und zwar der Versuch, im US-Kongress die sogenannte China-Initiative wieder ins Leben zu rufen. Die China-Initiative war ein Programm des US-Justizministeriums unter Präsident Trump mit dem Ziel, Spionage und Technologie-Diebstahl nachzugehen. Stattdessen führte es jedoch zu einer Form von „racial profiling“, das wissenschaftliche Karrieren zerstört und große Unsicherheiten innerhalb der chinesischen Diaspora, insbesondere unter Forschenden, ausgelöst hat. Präsident Biden setzte das Programm kurz nach seinem Amtsantritt aus, doch die Spannungen in der chinesischen Forschungsgemeinschaft in den USA blieben bestehen. Wäre Trump wieder Präsident, würde er vom Kongress erneut so einen Gesetzesvorschlag bekommen und ihn auch unterschreiben. Wäre Harris Präsidentin, dann würde sie das nicht tun. Also – ein ganz deutlicher Unterschied.

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Michael Laha ist Experte für US-chinesische Beziehungen. Von 2021 bis 2022 war er als Bundeskanzler-Stipendiat am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Seit 2023 ist er Berater bei Sinolytics, einer forschungsbasierten Unternehmensberatung mit Fokus China.

Poatraitbild eines lächelnden dunkelhaarigen Mannes, Michael Laha
Michael Laha

Welche Änderungen sehen Sie auf Europa zukommen?
In einer bizarren Weise könnte eine zweite Trump-Administration für Europa ein Gewinn sein. Denn dann wird Europa immer attraktiver für globale Talente, auch chinesische Forschende, die mittlerweile so gut sind, dass sie sich eigentlich aussuchen können, wo sie arbeiten. Das sagte auch der renommierte amerikanische China-Experte Barry Naughton, als er vor ungefähr einem Jahr mit Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, im Rahmen einer Konferenz bei MERICS (Mercator Institute for China Studies) auf der Bühne saß.

Wie könnten sich Ihrer Meinung nach die Beziehungen zu China nach den Wahlen verändern?
In amerikanischen China-Expertenkreisen wird viel darüber diskutiert, ob die chinesische Führung in Peking, damit meine ich Staats- und Parteichef Xi Jinping selbst und die Leute um ihn herum, eine Trump- oder Harris-Administration bevorzugt. Da schließe ich mich der Analyse von Rush Doshi an – dem ehemaligen Berater von Joe Biden und stellvertretenden Direktor für China im Nationalen Sicherheitsrat. Doshi meint, dass Peking Trump als Gewinner sehen will. Denn Trump 2.0 würde dem Ansehen der USA in der Welt enorm schaden und dadurch Washington, D.C. weniger Handlungsraum bieten. Eine zweite Entwicklung wäre, dass Trump viel mehr mit Zöllen arbeiten wird. Dazu äußert er sich ja regelmäßig. Das sagt er aber nicht nur, um provokant zu sein – das sicherlich auch –, sondern aus einer tiefen Überzeugung heraus.  

Was ist Ihr persönlicher Wunsch für den Ausgang der Wahl am 5. November?
Das Allerwichtigste ist, dass die Wahlen friedlich zu Ende gehen, egal wer gewinnt, und dass das Resultat ohne Probleme akzeptiert wird. Das Zweitwichtigste ist, die transatlantischen Beziehungen weiterhin zu stärken. Da würde eine Harris-Walz-Administration von Vorteil sein.

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