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Der Zufall ihres Lebens

Auf einer Humboldt-Studienreise durch Deutschland lernten sich 1972 die rumänische Neurowissenschaftlerin Maria-Luisa Flonta und der Philosoph Mircea Flonta kennen. Über fünf Jahrzehnte später blicken sie zurück – auf ihr bewegtes Leben in der Wissenschaft und ihren gemeinsamen Weg, der bis heute eng mit der Humboldt-Stiftung verbunden ist.

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Collage mit Fotos aus der Kennenlernphase und dem gemeinsamen Leben des Paares
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Der Zufall ihres Lebens passierte im Frühling 1972 an einem Montagnachmittag in der Empfangshalle eines Nürnberger Hotels. „Ich wartete dort auf die Humboldt-Reisegruppe. Ein rumänischer Kollege stellte mir Luisa vor. Ich hatte ja keine Ahnung, was folgen würde!“, sagt der heute 92-jährige Mircea Flonta. Damals, vor über 50 Jahren war der rumänische Philosoph als Humboldt-Forschungsstipendiat in Deutschland, ebenso wie die Biologin, Physiologin und Neurowissenschaftlerin Luisa Flonta. Nürnberg war eine Station ihrer Studienreise, die die Humboldt-Stiftung ihren Geförderten während ihres Forschungsaufenthaltes anbietet. Bis heute reisen die aktuell geförderten Stipendiat*innen im Sommer gemeinsam durch Deutschland, um das kulturelle, wirtschaftliche, politische und soziale Leben dort näher kennenzulernen.

Im Bus saßen Luisa und Mircea Flonta nebeneinander, tauschten sich über ihre Fachgebiete aus, diskutierten viel. So nahm alles seinen Anfang. Beinahe wäre es zu dieser Begegnung nicht gekommen. „Dass wir uns kennengelernt haben, war reiner Zufall“, sagt Mircea Flonta, der damals am Philosophischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität in München forschte. Nur durch einen kurzfristig frei gewordenen Platz in der Studienreise konnte er nachträglich teilnehmen. „In Bukarest arbeiteten wir an derselben Universität – und haben uns nie getroffen."  

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Die Humboldt-Studienreise

Gemeinsam unterwegs

Denkt die heute 80-jährige Luisa Flonta an die Zeit ihres Kennenlernens zurück, erinnert sie sich an gemeinsame Reisen. „Wir fuhren kreuz und quer durch Europa – mit dem Auto nach Belgien, Frankreich, Norwegen, Schweden, Dänemark und Italien, wo wir fast einen Monat verbrachten. „Diese Freiheit wollten wir nutzen“, sagt Luisa Flonta. Zuhause in Rumänien herrschte das kommunistische Regime von Nicolae Ceaușescu. „Wir wussten, dass es zurück in Rumänien mit der erneuten Ausstellung eines Reisepasses schwierig geworden wäre“, erinnert sie sich. Eine Herausforderung, mit der Luisa Flonta schon vor ihrem Forschungsaufenthalt am Münchener Institut für Diabetesforschung konfrontiert war. „Ich wusste erst kurz vor der Abfahrt, ob ich einen Reisepass bekommen würde. Ein Freund meines Vaters, der wie er Mathematiker war, hatte sich im Ministerium für mich eingesetzt. Einer musste die Verantwortung dafür übernehmen, dass ich ganz sicher zurückkommen würde.“

Portraits von Mircea Flonta und Maria-Luisa Flonta
Mircea Flonta und Maria-Luisa Flonta

Wissenschaftsaustausch in bewegten Zeiten

Als Rumänien und Deutschland 1967 diplomatische Beziehungen aufnahmen, konnten sich rumänische Wissenschaftler*innen für ein Humboldt-Stipendium bewerben. Während Luisa Flonta das Stipendium schon kannte, erfuhr Mircea Flonta erst davon, als ihn das Bildungsministerium aufforderte, sich zu bewerben. „Ich weiß bis heute nicht, wer mich vorschlug. Eigentlich interessierten sich die Behörden eher für Naturwissenschaftler.  “ Zu Beginn seines Studiums, Anfang der 50er-Jahre, fanden an den Universitäten im Bereich Philosophie politische Säuberungen statt. „Professoren wurden durch regimetreue Akademiker  ersetzt, Bücher aus Bibliotheken entfernt. Damals war es kaum möglich, professionell zu arbeiten“, erinnert sich Mircea Flonta.

Erst ab Mitte der 60er-Jahre erreichten westliche Fachbücher wieder die Bibliotheken. Flonta spezialisierte sich auf Sprach- und Wissenschaftsphilosophie und konnte so unabhängig von der kommunistischen Ideologie arbeiten. Sein Humboldt-Forschungsstipendium beschreibt er als Wendepunkt: „Das war eine riesige Chance für mich. Philosophische Denkübungen lassen sich nicht theoretisch aneignen, man muss sie in der Praxis erfahren“. Bis heute eine wertvolle Verbindung: Nach wie vor halten er und seine Frau Kontakt zu anderen Alumnae und Alumni, etwa bei den regelmäßigen Treffen der Alumnivereinigung Humboldt-Club Rumänien.

Mehr zum Humboldt-Forschungsstipendium 

Auch für Luisa Flonta, die zuvor als Biologin und Physiologin unter anderem zum endokrinen Pankreas forschte und als Dozentin an der Universität Bukarest lehrte, war die Zeit in München, am Institut für Diabetesforschung, geleitet von Professor Otto Wieland, prägend. Während ihres Aufenthalts am Institut wies sie erstmalig an Adipozyten Zellrezeptoren für Insulin nach. „In diesen drei Jahren habe ich sehr viel gelernt. Gern wäre ich länger geblieben. Doch meine Eltern erhielten einen Brief von den Behörden, in dem stand, dass ich meine Stelle in der Universität verlieren würde, wenn ich nicht umgehend zurück nach Bukarest komme.“

Ein Geschenk des Himmels

1974 kehrte Luisa Flonta zurück an die Universität Bukarest und begann ein gemeinsames Leben mit Mircea Flonta, den sie kurz darauf heiratete und mit dem sie drei Söhne bekam. Dass sie ihrer Wissenschaftskarriere weiter nachgehen konnte, verdankt sie auch ihrer Mutter Zoe Călugăreanu. „Sie war immer für uns da. Ohne sie wäre dieser Weg nicht möglich gewesen“, sagt Luisa Flonta. Mitte der 90er-Jahre gründete sie an der Universität Bukarest etwa den Master-Studiengang Neurobiologie und entdeckte Anfang der 2000er einige Mechanismen der Thermorezeption.

Bis heute hält sie Vorlesungen im Bereich der kognitiven Neurobiologie. Auch Mircea Flonta hält noch philosophische Vorträge, etwa beim Humboldt-Club Rumänien. „Ich hätte als junger Mensch aus einfachen Verhältnissen nie geglaubt, eines Tages diese Karriere zu machen. Vielen Menschen sind Prestige oder Macht wichtig. Für mich hat es etwas Erhabenes, jeden Tag eine intellektuelle Erfahrung zu machen“, sagt Mircea Flonta. „Es ist ein Geschenk des Himmels, in diesem Alter noch aktiv zu sein.“  

So wie der Zufall, der ihn und Luisa zueinander führte. Was er an ihr am meisten schätzt: „Von einer Frau wie Luisa kann man lernen, das Leben jenseits der Wissenschaft zu genießen.“ „Und ich mag an ihm, dass er ein sehr guter Erzähler ist und sich wie ich für klassische Musik und Reisen begeistert“, sagt sie. Manchmal sprechen sie auch über Philosophie. Etwa zur Frage, ob es einen freien Willen gibt. Luisa Flonta sagt: „Aus Sicht der Neurowissenschaften sind Gedanken und Gefühle natürlich durch das Gehirn und die individuelle Geschichte eines jeden Menschen determiniert.“ Mircea Flonta entgegnet: „Philosophen haben in dieser Frage einige Bedenken. So haben wir immer viel Stoff für Diskussionen.“ Genau wie damals im Reisebus auf der Humboldt-Studienreise 1972.

Text: Esther Sambale

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