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Gegen den Strom

Die Humboldtianerin und Professorin für Molekularbiologie Carmen Gloria Feijoo will die Wissenschaftswelt diverser machen und mehr chilenische Frauen für ein Stipendium in Deutschland begeistern. Hier erzählt sie, was ihren eigenen Karriereweg prägte.

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Porträt der Humboldtianerin und Professorin für Molekularbiologie Carmen Gloria Feijoo

Carmen Gloria Feijoo ist noch immer schwer verliebt. Die Bilder ihrer großen Liebe schmücken das Büro der Professorin für Molekularbiologie an der Universität Andrés Bello in Santiago de Chile. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt die kolorierte Zeichnung eines schwarz-goldgelb-gestreiften Zebrafischs. „Das Geschenk eines Studenten“, sagt Carmen Gloria Feijoo. „Genau wie diese hier“ und zeigt auf ihre Pinnwand, an der sich ein bunter Schwarm kleiner Keramik-Skalare und anderer Pappfische befindet. „Sind meine Studierenden auf Kongressen unterwegs, bringen sie mir oft etwas mit – meist in Fischform.“

Seit über 23 Jahren arbeitet Feijoo mit Zebrafischen. Da die Gene dieser Tiere denen von Menschen sehr ähneln, werden sie auch als Modellorganismus zur Untersuchung menschlicher Krankheiten genutzt. Mit den acht Wissenschaftler*innen ihrer Forschungsgruppe untersucht sie die zellulären und molekularen Mechanismen, die Schleimhautentzündungen im Darm von Zebrafischen steuern. Das Forschungsziel: „Wir wollen unter anderem herausfinden, welche natürlichen Substanzen den Darm vor Gewebeschäden schützen. Unsere Grundlagenforschung könnte etwa für die Biotechnologie oder im Kontext von Alzheimer, das durch chronische Entzündungen begünstigt wird, interessant sein.“

Wir sollten nicht nur auf den Lebenslauf und die Publikationen schauen, sondern darauf, wie engagiert jemand forscht und unter welchen Bedingungen. Das würde die Wissenschaftswelt nicht nur diverser, sondern auch gerechter machen.
Carmen Gloria Feijoo, Humboldtianerin und Professorin für Molekularbiologie

Dass Feijoo ihren Weg in die Wissenschaft fand, ist auch ihrem inneren Drang zu verdanken, Zusammenhänge verstehen zu wollen. Während ihres Biochemie-Studiums rieten ihr die Dozent*innen, in die Industrie zu gehen. Nach einem kurzen Ausflug in die Aquakulturbranche war Feijoo jedoch klar, dass ihr Platz in der Forschung ist. Sie ging für ihren PhD in Molekularbiologie an die Nationaluniversität Andrés Bello und machte ihren Abschluss bei Professor Miguel Allende, dem ersten Zebrafischforscher Südamerikas. Eine Entscheidung, über die sie bis heute froh ist.

Wissenschaftlerin zu sein ist für Feijoo kein gewöhnlicher Beruf. „Man muss sich in seine Forschung verlieben, immer wieder – und allen auftauchenden Fragen auf den Grund gehen wollen.“ Eine Haltung, die sie ihrem Umfeld vorlebt: „98 Prozent deiner Experimente werden scheitern und du wirst sie viele Male wiederholen müssen, bevor du zu einem Ergebnis kommst. Dann gilt es, tief durchzuatmen und dranzubleiben.“

Mindestens einmal pro Woche schaut Feijoo im Aquarienraum nach dem Rechten. Dort leben auf etwa 40 Quadratmetern die Lebewesen, die ihre Forschung möglich machen. In 180 Aquarien sind tausende Zebrafische unterschiedlicher Altersstufen zuhause. „Fische sind wie Menschen. Manchmal werden sie krank, ihnen ist kalt oder sie sind hungrig. Man muss sich gut um sie kümmern.“

Saturn-ähnliches Dekortationsbild

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Georg Forster-Forschungsstipendium

Ihr wichtigstes Arbeitswerkzeug, um die Immunantwort der Darmschleimhaut an lebendigen Zebrafischen zu erforschen, ist das Konfokalmikroskop. Ein Lichtmikroskop, das die Immunzellen der Tiere in 3-D-Bildern sichtbar macht. „Leider gibt es davon an unserer Fakultät nur eines für 300 Personen. Experimente können wir nur durchführen, wenn wir ein Zeitfenster für das Mikroskop gebucht haben.“ Wie sehr diese Bedingungen ihre Arbeit behindern, merkte Feijoo als sie 2016 und 2019 im Rahmen ihrer mehrmaligen Forschungsaufenhalte Gastwissenschaftlerin am Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg war. „Im Labor von Prof. Jochen Wittbrodt gab es drei Konfokalmikroskope für 20 Personen. Ich konnte viel mehr forschen und meine Ideen umsetzen. Das war für meine Karriere entscheidend.“

Diese Einblicke teilt sie seit 2020 als Vertrauenswissenschaftlerin der Humboldt-Stiftung in Chile. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst und dem Heidelberg Center für Lateinamerika klärt sie Studierende und junge Forscher*innen über die Möglichkeiten in Deutschland auf. „Viele denken es bestünde kein Interesse an Kooperationen mit chilenischen Forscher*innen oder man müsse für ein Stipendium Deutsch sprechen.“ Mit solchen Vorurteilen räumt Feijoo auf.

Teils wollen junge chilenische Frauen gar nicht mehr in die Forschung. Auch aus Sorge, dass eine Wissenschaftskarriere nicht mit der Familienplanung vereinbar ist – und aus Selbstzweifeln. Ihnen will ich sagen: Ihr seid gut genug und ihr könnt es schaffen. Habt Selbstvertrauen und geht raus in die Welt!
Carmen Gloria Feijoo, Humboldtianerin und Professorin für Molekularbiologie

Und noch etwas ist ihr wichtig. Feijoo will mehr Frauen in die Wissenschaft bringen und sie will Chancengleichheit in einem diskriminierungsfreien Arbeitsumfeld. Dafür geht sie auch in Schulen und erzählt von ihrem Werdegang. 2019 waren nur 22 Prozent der ordentlichen Professor*innen Frauen. Zu den Gründen heißt es im Länderbericht Chile des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften: „Im Falle Chiles ist institutioneller Sexismus die wichtigste Erklärung für die Unterrepräsentation von Frauen in der Hochschulbildung, vor allem auf der höheren Führungsebene, aber auch in der Wissenschaft.“ Feijoo sagt: „Durch die feministischen Proteste 2018 gegen die Missstände im Hochschulwesen haben Regierung und Universitäten die Stärke chilenischer Frauen gespürt. Man versucht seither Wege zu finden, die Bedingungen für Frauen zu verbessern. Allerdings weiß ich nicht, ob es wirklich so lange dauern müsste, bis sich spürbar etwas ändert.“ Teils wollen junge Frauen gar nicht mehr in die Forschung. Auch aus Sorge, dass eine Wissenschaftskarriere nicht mit der Familienplanung vereinbar ist – und aus Selbstzweifeln. Eine Frage, die sie häufig und ausschließlich von jungen Frauen hört: „Bin ich gut genug?“ Dann ermutigt Feijoo sie, aus eigener Initiative Projektkooperationen im Ausland zu initiieren und sich für ein Humboldt-Stipendium zu bewerben.

Was sich Feijoo für eine gerechtere Wissenschaftswelt wünscht: „Wir sollten nicht nur auf den Lebenslauf und die Publikationen schauen, sondern darauf, wie engagiert jemand forscht und unter welchen Bedingungen.“ Wirft sie einen Blick auf ihre eigene Karriere, sagt Feijoo: „Man braucht Geduld und ein dickes Fell, aber man kann es schaffen.“ Diesen Optimismus hat sie von ihrem Vater. Er baute als junger Mann zwei Bäckereien in Chile auf und bestärkte sie auf ihrem Weg. Eine Unterstützung, die Feijoo auch für andere sein will: „Wer über eine Karriere in der Forschung nachdenkt oder ein Stipendium in Deutschland beantragen will, kann sich jederzeit an mich wenden. Habt Selbstvertrauen und geht raus in die Welt!“

Autorin: Esther Sambale

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