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Geschwindigkeit in den Naturwissenschaften
„In meinem Fach ist Geschwindigkeit alles“, bringt Martina Havenith-Newen es auf den Punkt, „wenn Sie sehr gute Postdocs auf einer Konferenz treffen, dann müssen Sie eine schnelle Entscheidung anbieten können, denn wir konkurrieren mit den besten Standorten der Welt, sonst gehen die Leute woanders hin“, so die Spitzen-Physikerin aus Bochum. Das Henriette Herz-Scouting-Programm gibt ihr als Gastgeberin die Möglichkeit, schnell eine Einladung an Wunschkandidat*innen auszusprechen. Nach formaler Prüfung kann dann ein Humboldt-Forschungsstipendium auf Vorschlag des Scouts verliehen werden.
Die Physikerin hat seit 1998 die Professur für Physikalische Chemie II an der Ruhr-Universität Bochum inne und ist Direktorin des Zentrums für molekulare Spektroskopie und Simulation solvensgesteuerter Prozesse (ZEMOS). Dort erforscht sie, wie sich Wassermoleküle verhalten, wenn sie auf bestimmte Lösungsmittel treffen. Mittels Terahertz-Spektroskopie und hochauflösender Infrarot-Spektroskopie sind Havenith und ihre Gruppe in der Lage, im Experiment die Bewegungen einzelner Wassermoleküle in Echtzeit, das heißt mit einer Zeitkonstante von einem Milliardsten von einer Millisekunde zu beobachten.
Mit ihrer Arbeit hat sie im Verbund mit anderen Forschungseinrichtungen der Region im Exzellenzcluster RESOLV dazu beigetragen, dass das Ruhrgebiet in der Lösungsmittelchemie in die Weltspitze aufgestiegen ist. Was durch die vielen nationalen und internationalen Preise für Forscher in RESOLV bestätigt wurde.
Die Forschung Havenith-Newens und ihrer Kollegen dürfte einen wichtigen Beitrag für die Zukunft des Planeten und die Dekarbonisierung spielen. Denn das „mikroskopische“ Verständnis von Lösungsmitteln und ihrer Wirkung eröffnet neue Perspektiven für effizientere Reaktionen und damit für die Verringerung des CO2-Fußabdrucks in der Industrie.
Neue Chancen für Geisteswissenschaften
„In den Geisteswissenschaften ist die Lage etwas anders. Ich denke, hier dient das Programm dazu, Personen ins Netz zu holen, die Deutschland sonst niemals in Betracht gezogen hätten,“ formuliert es Philosophieprofessor Albert Newen. Etwa den aus dem Iran stammenden Postdoc, der in den USA promoviert hat, der nun mit Newen zusammenarbeitet.
„Außerdem ermöglicht mir die Rolle als Scout, Nachwuchswissenschaftlerinnen zu gewinnen, die sich sonst nicht beworben hätten oder die sich nicht zutrauen, sich im Bewerbungsverfahren gegen die weltweite Konkurrenz durchzusetzen, legt der Co-Autor des „Oxford Handbook of 4E Cognition“ dar.
Der Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Philosophie des Geistes berichtet von einer Serbin, die er als Scout für den Forschungsaufenthalt mit dem Stipendium nach Bochum holen konnte. „Sie hat großes Potenzial, aber im Bewerbungsverfahren hätten sprachliche Barrieren einen Erfolg vereitelt. Die Hälfte ihrer Publikationsliste war auf Serbisch, da waren zu wenige Beiträge auf Englisch, das hätte nicht gereicht.“, weiß er. Gastgeber und Mentee haben bereits eine erste gemeinsame Veröffentlichung bei einer Fachzeitschrift eingereicht.
Beide Ehepartner bestätigen, dass das Henriette Herz-Scouting-Programm ein wichtiges Werkzeug ist, um Frauen in die Spitzenwissenschaft zu bringen oder zu halten. „Ich höre von meinen weiblichen Postdocs immer wieder, ‚ich dachte, ich sei nicht gut genug‘“, erzählt Martina Havenith-Newen, die vor etwas mehr als einem Vierteljahrhundert die erste weibliche Lehrstuhlinhaberin in den Naturwissenschaften in Bochum war.
Familie, Karriere und der Weg zum Dual Career
Für das Interview sind beide aus Bochum online zugeschaltet. Wer sich auf dem riesigen Campus der RUB selbst schon einmal verlaufen hat, weiß, welche Wege vom ZEMOS am östlichen Rand des Geländes zum Institut für Philosophie im Gebäude GA westlich vom Audimax zurückzulegen sind. Dass sie tatsächlich an einem Ort leben und beide Karrieren verfolgen können, war für das Ehepaar Havenith-Newen in einer anstrengenden Zeit mit zwei kleinen Kindern lange ein ungewisses Ziel.
„Wir sind Jahre gependelt, meine Frau in Bochum, ich war zunächst in Bonn und dann mit der ersten Professur in Tübingen“, erinnert sich Albert Newen. „Wir haben in drei Jahren zwei Sabbaticals, eines in Oxford und eines in den USA, gemacht, um als Familie an einem Ort sein zu können“, fährt er fort.
Als Martina Havenith-Newen ein Angebot von der Emory University, Atlanta, USA bekam und man dort ihren Mann und die Bedarfe der Familie gleich mitdachte, hat der damalige Rektor in Bochum prompt reagiert. „Jetzt oder nie!“ Newen hatte gerade ein großes interdisziplinäres Drittmittelprojekt bei der Volkswagenstiftung anwerben können und wechselte damit nach Bochum. „Damals war Dual Career noch ein Fremdwort an deutschen Universitäten, wie so Vieles, ich musste auch immer wieder auf die Einrichtung einer Uni-KITA drängen“, erzählt Havenith-Newen. „Ich habe der Hochschulleitung gesprochen, dass Gleichstellung nicht nur eine Ideologie sein sollte, sondern praktische Hilfestellungen essenziell sind. Jetzt profitieren neue ProfessorInnen sowohl von den Dual Career Konzepten als auch von der Uni-KITA. Beides sind wesentliche Argumente für den Standort und verringert die Gefahr des Abwerbens von SpitzenforscherInnen“, freut sich Havenith-Newen auch noch viele Jahre später.
Philosophisches Modell des Selbst und die Kraft der Netzwerke
Ihr Mann Albert Newen arbeitet an einem philosophischen Modell des Selbst. Es geht um die Frage, wie sich das Selbstmodell und Erinnerungen gegenseitig beeinflussen. Im Laufe unseres Lebens ändern sich die Erinnerungen an dieselbe Episode. Der Mensch, der zu einer Selbstdarstellung fähig ist, integriert die unterschiedlichen Gedächtnisabrufe in eine kohärente Identitätsvorstellung. Wir schreiben unsere eigene Geschichte also ständig um, passen sie an das jeweils gegenwärtige Modell unseres Selbst an.
Albert Newen hat, wie seine Frau auch für seine Arbeit immer wieder vom Humboldt-Netzwerk profitiert. Während der Familienphase war es schwierig, als Forschender mobil zu sein. „Ich konnte erstmals mit 42 in die USA gehen; bei unserem ersten gemeinsamen Sabbatical. Davor war es wichtig, Impulsgeber aus dem Ausland hierher zu bringen“, erinnert er sich. Durch Forschungspreise konnte er für seine Habilitation einen Sparringpartner aus Stanford für das Humboldt-Netzwerk gewinnen. „Aus diesen fachlichen Ergänzungen und Kooperationen von damals mit hochrangigen Persönlichkeiten aus den USA und Italien sind lebenslange Freundschaften entstanden. Wenn unsere AvH Kooperationspartner heute nach Deutschland kommen, wohnen sie bei uns in Bochum“, ergänzt Martina Havenith-Newen.
Diversität als Schlüssel für die Zukunft der Wissenschaft
Über den eigenen Tellerrand hinwegschauen und Persönlichkeiten auch aus Ländern, die nicht so stark im Netzwerk vertreten sind, den Anschluss an die Wissenschaft ermöglichen, das ist für beide wichtig. „Diversität ist unersetzlich, um den Pool an Talenten möglichst breit zu halten“, formuliert es die Spitzenwissenschaftlerin.
„Die Humboldt-Stiftung bietet mit dem Scouting Programm die Rahmenbedingungen, um manchen Talenten noch genau den Boost zu geben, den sie brauchen, um dann durchzustarten. Klar, danach müssen sie allein schwimmen“, sagt Philosoph Albert Newen. Als erfahrene Gastgebende können die beiden in der Hinsicht zuversichtlich sein. Alle Humboldt-Postdocs, die sie bisher betreut haben, haben später feste Stellen bekommen, an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Das Vorreiter-Forschungspaar zeigt, welche Rolle Scouts spielen, um das Humboldt-Netzwerk noch dichter zu knüpfen und Diversität zu fördern.