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Noch weiß niemand, wie sich die Pandemie auf die Karriere von Nachwuchsforschenden auswirken wird. In einer dreiteiligen Serie porträtieren wir Feodor Lynen-Stipendiat*innen und zeigen, wie sie mit den Herausforderungen umgehen.

  • vom

aktualisiert am 9. April 2021

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Den Anfang macht der Molekülchemiker Florian Mulks. Er hatte im Jahr 2020 seinen Aufenthalt in den USA als Feodor Lynen-Forschungsstipendiat geplant. Dann kam Corona. Aber im Humboldt-Netzwerk fand sich eine Lösung.

Januar 2021. Seit drei Monaten lebt und arbeitet Florian Mulks in Daejeon, der fünfgrößten Stadt Südkoreas. Nach einem intensiven Arbeitstag am Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) macht sich der Molekülchemiker auf den Heimweg. Bei dichtem Schneegestöber, starkem Sturm und zweistelligen Minusgraden muss er sein Fahrrad an diesem Abend schieben. „Wie hart der koreanische Winter sein kann, war mir im Vorfeld nicht klar“, sagt der Postdoktorand, der als Feodor Lynen-Stipendiat in der Arbeitsgruppe des Humboldt-Forschungspreisträgers Mu-Hyun Baik am KAIST forscht. Ein Ozean und etwa 9.800 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Daejeon und dem Ort, an dem Florian Mulks sein Forschungsstipendium ursprünglich antreten wollte – der University of California in San Diego.

Heimweg im Schneesturm

Keine Zeit zu verlieren
Auch die Monate vor dem Beginn seines Stipendiums waren von Gegenwind und Turbulenzen geprägt. „Als im vergangenen Sommer immer klarer wurde, dass ein Forschungsaufenthalt in den USA aufgrund der Pandemie vorerst unmöglich sein würde, musste ich schnell handeln“, sagt Mulks. Gemeinsam mit seinem kalifornischen Humboldt-Gastgeber, dem mehrfach ausgezeichneten Chemiker Guy Bertrand sowie dem koreanischen Humboldtianer Mu-Hyun Baik, den beide bereits aus ihrem Netzwerk kannten, erarbeitete Mulks einen Alternativplan, den er der Humboldt-Stiftung präsentierte. Die Idee: Der erste Teil des Forschungsaufenthalts findet in Daejeon statt, der zweite – sofern es die Pandemielage zulässt – in San Diego. „Dank der unendlichen Flexibilität der Humboldt-Stiftung konnte ich mein Stipendium mit nur wenigen Wochen Verzögerung antreten“, sagt Mulks.

Das Beispiel von Florian Mulks zeigt, dass es in diesen Zeiten gut ist, experimentierfreudig zu sein und, wenn möglich, ursprüngliche Pläne äußeren Bedingungen anzupassen.
Katrin Amian, Referatsleiterin in der Abteilung Förderung & Netzwerk der Humboldt-Stiftung

Flexibilität war gefragt
Eine entscheidende Phase, in der er in engem Austausch mit der Humboldt-Stiftung stand. „Für uns war von Anfang an klar: Wir lassen unsere Geförderten nicht alleine“, sagt Katrin Amian, Referatsleiterin in der Abteilung Förderung & Netzwerk der Stiftung. 2020 wurden allein im Feodor Lynen-Stipendienprogramm 293 Stipendiat*innen in 22 Gastländern weltweit gefördert. Für sie galt es, schnelle und kreative Lösungen zu finden. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen verabschiedete Amian innerhalb weniger Wochen ein Paket mit diversen Sonderregelungen für alle Humboldt-Stipendiat*innen. So konnten etwa Forschende wie Florian Mulks, dessen Stipendium eigentlich nur für Auslandsaufenthalte gedacht ist, bereits aus dem deutschen Homeoffice heraus mit der Arbeit starten. „Statt wertvolle Zeit zu verlieren, konnte ich bereits im August von Heidenheim aus mit dem theoretischen Teil meiner Arbeit beginnen“, sagt Mulks.

Florian Mulks' Reise um die Welt: Statt Kalifornien erstmal Ankunft in Südkorea

Verlangsamt Corona die Forschung?
Seit Beginn der Pandemie führt Katrin Amian zahlreiche Beratungsgespräche, in denen deutlich wird, wie sehr die eingeschränkte Mobilität und die Lockdown-Regeln die Arbeit der Stipendiat*innen erschweren. Was Amian beobachtet: „An vielen Stellen schreitet Forschung langsamer voran als gewöhnlich, etwa weil Labore geschlossen sind oder Veröffentlichungen wegen fehlender Kinderbetreuung verschoben werden müssen.“ Wie sich die Folgen der Pandemie langfristig auf wissenschaftliche Karrieren auswirken, ist laut Amian noch nicht absehbar. Sie sagt: „Das Beispiel von Florian Mulks zeigt, dass es in diesen Zeiten gut ist, experimentierfreudig zu sein und, wenn möglich, ursprüngliche Pläne äußeren Bedingungen anzupassen.“ Für Mulks brachte die kurzfristige Planänderung auch Vorteile: „Auf diese Weise lerne ich unterschiedliche Bereiche der Chemie kennen und kann ihre Methoden zu meinem Handwerkszeug machen.“ Während in San Diego vor allem Synthesechemie und Grundlagenforschung im Fokus stehen, sind die Spezialgebiete der koreanischen Forschungsgruppe die Computer- und Elektrochemie.

Florian Mulks (rechts) leitet am KAIST ein Doktorand*innenteam

Kulturelle Offenheit
Seit November 2020 ist Mulks als Gastwissenschaftler in der KAIST-Forschungsgruppe tätig. Seiner Forschung kann er dank niedriger Fallzahlen uneingeschränkt nachgehen. „In Daejeon gibt es derzeit im Schnitt etwa acht Corona-Fälle pro Tag“, sagt Mulks, der direkt nach seiner Ankunft in eine 14-tägige Quarantäne geschickt wurde. Wenn gerade kein Schneesturm wütet, fährt Mulks mit dem Rad zur Arbeit. Eine Strecke von zehn Minuten entlang der Uferpromenade des Flusses Gapcheon, vorbei an bewaldeten Hügeln und Wohnhäusern, die ihn an sozialistische Plattenbauten erinnern. Im fünften Stock des KAIST-Hauptgebäudes hat Mulks, der ein dreiköpfiges Doktorand*innenteam leitet, seinen Platz. Was er an der Zusammenarbeit mit den koreanischen Kolleg*innen bemerkenswert findet – der über Hierarchiegrenzen hinweg offene Umgang mit Kritik. Mulks: „Ich finde diese Offenheit großartig. Insbesondere in der Wissenschaft ist es gut, wenn Leute Probleme ansprechen.“
Von seinem Büroplatz kann er direkt ins Labor blicken, in dem er die Hälfte der Zeit seiner 60-Stunden-Woche verbringt. Mulks arbeitet an kohlenstoffbasierten Oberflächenbeschichtungen, die durch bestimmte Moleküle CO2 aus der Umgebungsluft einfangen und speichern sollen. Diese könnten künftig etwa als Kunststoffe zum Beispiel in Plastiktüten oder Laptophüllen zum Einsatz kommen und Treibhausgase reduzieren. Mulks sagt: „Wir müssen ohnehin irgendwann CO2-neutral werden. Für die Chemie ist die Suche nach neuen Grundstoffen, die langfristig besser für die Umwelt sind, unerlässlich.“

Sonnenaufgang vor dem Studierendenwohnheim in Daejeon

Schönheit der Chance
Was Mulks in seiner Arbeit antreibt: „Chemie ist in allem. Ich mag es, an den Grundlagen der Welt zu forschen. Das Schöne an der Wissenschaft ist zudem, dass es unsere Aufgabe ist, etwas für die Entwicklung der Menschheit zu tun. Auch wenn das vielleicht nur bei jedem zehntausendsten Projekt klappt, motiviert es mich“, so Mulks. Wenn mit der Beantragung seines Visums alles klappt und die Pandemielage es zulässt, widmet er sich ab diesem Sommer in San Diego der Grundlagenforschung. „Dabei sind wir oft einfach auf der Suche um der Suche willen. In diesem Punkt ist die Wissenschaft für mich manchmal wie die Kunst“, sagt Mulks, der vor zwei Jahren inspiriert durch einen befreundeten Künstler mit der Malerei begann. Mulks: „Vieles macht man vor allem, weil es eine Herausforderung ist, die Suche nach einem Motiv oder nach einem schönen Zufall, der die Welt verändert.“

Autorin: Esther Sambale

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Dr. Florian Mulks promovierte 2018 an der Universität Heidelberg in metallorganischer Chemie bei Stephen Hashmi. Des Weiteren sammelte er an den Universitäten Oxford, Groningen, Strathclyde (Glasgow), Cambridge und Bern umfassende Erfahrungen in einem breiten Spektrum chemischer Fachgebiete. Mulks forscht an kohlenstoffbasierten Molekülen und Oberflächenbeschichtungen, die CO2 aus der Umgebungsluft einfangen, speichern und weiterverwerten sollen. Als Lynen-Stipendiat arbeitet Mulks derzeit am KAIST in Daejeon in der Forschungsgruppe des Chemikers und Bessel-Preisträgers Mu-Hyun Baik. Den zweiten Teil seines Stipendiums verbringt er voraussichtlich ab Sommer 2021 bei Humboldt-Forschungspreisträger Guy Bertrand an der University of California, San Diego.

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