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Meg Crofoot ist Direktorin der Abteilung für Ökologie der Tiergesellschaften am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Alexander von Humboldt-Professorin an der Universität Konstanz. Die Verhaltensökologin und evolutionäre Anthropologin wurde 2022 mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet.
Verhaltensbiologie hautnah: Forschungsblick auf Entscheidungen bei Affen
Oft ist es noch dunkel, wenn Meg Crofoot morgens loszieht. „In Panama fängt mein Tag meist schon um vier Uhr morgens an“, erzählt die US-amerikanische Verhaltensforscherin. In ihren Rucksack packt sie ihre Ausrüstung, Wasser und Brotzeit. Dann geht es los. Zu Fuß durch den dichten Dschungel – auf der Suche nach der Affengruppe, die sie gerade erforscht. In Panama sind das Kapuziner- oder Klammeraffen, also exzellente Kletterer, die sich fast ausschließlich im Kronendach bewegen.
„Wenn wir sie gefunden haben, rennen mein Team und ich im Prinzip den ganzen Tag hinter den Affen her“, sagt Crofoot und lacht. Das Gelände ist hügelig, die Luft tropisch, feucht und warm. „Das ist physisch anstrengend, man schwitzt, man ist voller Zecken, aber es macht wirklich viel Spaß.“
Die beiden Affenarten seien sehr sozial, mit viel Interaktion in der Gruppe. „Fast wie eine Seifenoper, bei der man live zugucken kann“, sagt sie. „Machtkämpfe, Eifersucht, Wutanfälle, Streiche: Es ist alles dabei.“
Was Crofoot aber in puncto Verhaltensbiologie eigentlich interessiert, sind die Entscheidungen, die die Affengruppe gemeinsam trifft – und wie sie zustande kommen. „In Konstanz erforschen wir Tiergesellschaften, also Gruppen von Säugetieren, für deren Mitglieder die Gruppenzugehörigkeit eine lebenswichtige Rolle spielt”, erklärt Crofoot. Also keine Fisch- oder Vogelschwärme, wie sie bislang oft im Fokus von kollektiver Verhaltensbiologie standen.
Die Macht der Gruppe: Individuelle Rollen im Fokus
Ihre Daten sammeln die Konstanzer Forscher*innen auf ihren Exkursionen im Feld – und übertragen sie direkt in die Datenbank Movebank, auf die auch die Teammitglieder am Institut zugreifen können. Dort werden Bewegungsmuster und das Verhalten der Tiere quasi in Echtzeit analysiert und die Ergebnisse mit den Forschenden im Feld rückgekoppelt. So können Datenerhebung und Methodik auch ad hoc angepasst werden, wo nötig.
„Früher ging man davon aus, dass Tiergruppen homogen sind und alle Mitglieder gleichberechtigte Beziehungen führen“, sagt Crofoot über die Erkenntnisfortschritte in der Verhaltensbiologie. Das sei heute überholt. „In den Tiergesellschaften, die wir untersuchen, haben die einzelnen Individuen unterschiedliche Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie unterschiedlich viel Einfluss und Macht, sodass Asymmetrien entstehen.“
„Es geht darum zu verstehen, wie der Mensch zu so einem außergewöhnlichen Affen geworden ist.“
Wer sind wir als Spezies?
Meg Crofoot will mit ihrer Arbeit am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz herausfinden, wie soziale Beziehungen beschaffen sein müssen, damit die Tiere innerhalb einer Gruppe erfolgreich zusammenarbeiten. Wie Entscheidungen getroffen werden, sei dafür ein zentraler Schlüssel, sagt sie.
„Bei all dem geht es natürlich auch darum zu verstehen, wie der Mensch zu so einem außergewöhnlichen Affen geworden ist“, sagt Crofoot und muss erneut lachen. „Denn genau das sind wir ja: äußerst außergewöhnliche Affen.“ Dahinter stehe auch eine philosophische Frage: Wer sind wir als Spezies? „In unserer Forschung versuchen wir dieser Frage nun mit moderner Technologie nachzugehen“, sagt die 45-Jährige. „Ich habe mich einfach immer schon sehr dafür interessiert, was Individuen alles leisten können, wenn sie sich zu Gruppen zusammentun.“
Kindheitstraum Tierforscherin erfüllt
Mit ihrem Beruf hat sich Crofoot einen Kindheitstraum erfüllt. Aufgewachsen ist sie im US-Bundesstaat Maine, an der Grenze zu Kanada. „Meine Eltern wollten nicht, dass ich Privatfernsehen schaue, und deswegen habe ich wahrscheinlich als Kind zu viele Tier-Dokus geguckt“, sagt sie. Als Teenagerin rückte der Wunsch, Tierforscherin zu werden, erstmal in den Hintergrund.
„Als Studienanfängerin wollte ich für USAID arbeiten“, sagt sie. Also in der Entwicklungshilfe: Gutes tun, reisen, Sprachen lernen. Sie schrieb sich in Stanford ein und studierte Humanbiologie. „Angesichts der aktuellen Lage in der Welt bin ich aber ziemlich froh, dass es doch nicht die Entwicklungshilfe geworden ist, sonst wäre ich jetzt vermutlich arbeitslos“, fügt sie hinzu. 2025 wurde USAID von der US-Regierung unter Präsident Trump abgewickelt.
Dass ihr Kindheitstraum Tierforscherin für sie ein realer Beruf sein könnte, begriff Crofoot erst im Studium. Nach einem Bachelor-Abschluss in Verhaltensbiologie in Stanford wechselte sie 2001 nach Harvard und machte dort einen Master in Anthropologie. Für ihre Doktorarbeit untersuchte sie das Konkurrenzverhalten von Weißgesicht-Kapuzineraffen in Panama.
Die Mehrheit entscheidet – neue Erkenntnisse dank neuer Technologien
„Im Feld waren die rivalisierenden Kapuzineraffengruppen ständig in aggressive Auseinandersetzungen verwickelt und lebten aber dennoch friedlich neben kleineren Gruppen, als ob es ein unausgesprochenes Kräftegleichgewicht gäbe“, erzählt Crofoot. „Ich wollte verstehen, wie das sein kann, wo doch eine Gruppe eindeutig in der Überzahl war. Warum griffen sie nicht an?“
Da sich Herdenverhalten mit bloßem Auge nur schwer erfassen lässt, begann sie, Bewegungsdaten mithilfe von Fernerkundungstechnologie zu erheben, also Vorläufern von GPS-Trackern. „Das hat uns komplett neue Erkenntnisse gebracht“, sagt Crofoot. Etwa, dass die kleinere Gruppe einen starken Heimvorteil hat: Selbst in Unterzahl setzen die Tiere alles daran, ihr Revier vor der größeren Gruppe zu verteidigen. „Niemand läuft weg oder schummelt.“ Dagegen sei die Rate der Deserteure bei der größeren Gruppe, die sich außerhalb ihres Territoriums bewegt, viel höher. So entstehe am Ende ein Kräftegleichgewicht.
Die Doktorarbeit war das erste Projekt, in dem sie teilnehmende Beobachtung mit Datentechnologie kombinierte – eine Pionierleistung in ihrem Fach, mit wichtigen neuen Erkenntnissen für die Verhaltensbiologie von Kapuzineraffen. „Diese neuen Technologien waren für uns wie das Mikroskop für die Mikrobiologie“, sagt Crofoot. „Sie machen Dynamiken sichtbar, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind.“
Von Panama nach Kenia: Verhaltensbiologie auf den Spuren demokratischer Prozesse
Weil Kapuzineraffen schwer zu fangen sind, wich Crofoot bei ihren Untersuchungen zusätzlich auf Paviane aus – und wechselte dafür von Panama nach Kenia. „Paviane sind sehr nahrungsmotiviert, sodass sie oft einfach in die Käfigfallen spazieren“, sagt sie. „Es ist also viel leichter, die Tiere sicher und unbeschadet einzufangen, um sie mit Trackern auszustatten.“
In Kenia folgen Crofoot und ihr Team mit dem Jeep den Pavianen, die sie mit Halsbändern ausgestattet haben. Sie speichern Daten zu Geschwindigkeit, Laufrichtung sowie Lautäußerungen und kombinieren diese mit Wetter- und Umweltdaten. Allabendlich nähern sich die Verhaltensbiologie-Forschenden den Pavianen, um die in den Halsbändern gespeicherten Daten drahtlos herunterzuladen und in die Datenbank zu übertragen. So entsteht ein umfassendes Bild.
Eine überraschende Erkenntnis, die sie auf diese Weise bereits gemacht haben: Obwohl Paviangruppen hierarchisch organisiert sind, entscheidet die Mehrheit über die Richtung. „Selbst das ranghöchste Pavianmännchen bestimmt nicht, welche Route die Gruppe einschlägt“, sagt Crofoot. „Das ist ein demokratischer Abstimmungsprozess.“ Vielleicht, so vermutet sie, weil das Alphamännchen nicht zwingend am erfahrensten ist.
Wie Paviane Einblicke in menschliche Konflikte geben
In ihrem aktuellen Projekt erforscht Crofoot das kollektive Schlafverhalten der Paviane: Wie wird der richtige Baum für die Nacht ausgewählt? Wann wird geschlafen? Wann aufgestanden? Neben wem schlafen die Tiere? Was passiert, wenn ein Leopard nachts den Baum erklimmt?
„Bei Pavianen entstehen Konflikte, wenn es darum geht, die individuellen Interessen mit den Interessen der Gruppe in Einklang zu bringen, genau wie beim Menschen“, sagt Crofoot. „Es geht also um Fragen, die auch den Kern unserer tagtäglichen Konflikte und Spannungen berühren.“
Universelle Regeln der Verhaltensbiologie: Zusammenarbeit zählt
An Crofoots Institut in Konstanz befassen sich ihre Kolleg*innen mit dem Gruppenverhalten weiterer Tierarten. Sie untersuchen beispielsweise das Jagdverhalten sozialer Fleischfresser, die in Gruppen, Rudeln oder Familien leben und bei der Jagd oft kooperativ zusammenarbeiten, wie etwa Löwen und Hyänen. Oder die Entscheidungsfindung bei Fledermäusen. „Das Ziel ist, dass wir irgendwann die allgemeingültigen Regeln verstehen, die das kollektive Sozialverhalten von Tieren bestimmen“, sagt Crofoot. Dafür brauche es vergleichbare Daten über viele Spezies hinweg – ein Vorhaben, das nur in Kooperation gelingen könne.
Für Crofoot gehört die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses dabei selbstverständlich dazu, insbesondere von Forschenden aus dem globalen Süden. Dafür setzt sie sich auch als Scout im Henriette Herz-Scouting-Programm der Humboldt-Stiftung ein und gewinnt neue Nachwuchsforschende für das Netzwerk der Stiftung. „Talent ist auf der ganzen Welt gleich verteilt“, sagt Crofoot, „aber Möglichkeiten und Ressourcen sind es nicht.“ Aktuell forschen Postdocs aus Brasilien, Madagaskar und Uganda an ihrem Institut zur Verhaltensbiologie. „Die Projekte, Forschungsfragen und Perspektiven der Geförderten bereichern unsere Forschungsgruppe in Konstanz enorm.“
„Bei gegenseitigen Besuchen kooperieren die Studierenden und können so ganz praktisch von den Erfahrungen der jeweils anderen profitieren.“
2025 initiierte sie außerdem unter anderem aus Mitteln ihrer Humboldt-Professur ein Austauschprogramm für Master-Studierende aus Deutschland und Kenia. „Die Studierenden besuchen sich gegenseitig und kooperieren, sowohl im Hörsaal als auch im Feld“, sagt Crofoot. „So können sie ganz praktisch vom Wissen und den Erfahrungen der jeweils anderen profitieren.“
Wissenschaftsfreiheit: Bestürzung über den Kurs der USA
Dass unterdessen Crofoots eigenes Heimatland USA nicht immer gute Bedingungen für die Wissenschaft bietet, beobachtet sie derzeit mit wachsender Bestürzung. „Es ist absolut verheerend – für junge ebenso wie für etablierte Forschende in den USA, die zusehen müssen, wie ihr Lebenswerk auf dem Spiel steht“, sagt Crofoot mit Blick auf die Kürzungen von Fördermitteln durch die Trump-Regierung, das Einstellen von Programmen zu Diversität und die Bedrohung kritischer Forscher*innen.
Zugleich fürchtet sie auch global betrachtet die Konsequenzen der US-Wissenschaftspolitik: „Denn Wissenschaft ist ja die Art und Weise, wie wir uns die Welt erklären und versuchen, sie besser zu machen“, betont sie.
Umso wichtiger sei nun die Forschung außerhalb der USA. „Dass Deutschland die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in der Verfassung verankert hat, ist in Zeiten wie diesen ein besonders wichtiges Zeichen“, sagt Crofoot. Förderprogramme wie die der Humboldt-Stiftung, die politisch unabhängig sind, seien essenziell. „Die Humboldt-Professur bietet mir die Möglichkeit, Wissenschaft um der Wissenschaft willen zu betreiben“, sagt die Verhaltensbiologin. „Die Entwicklungen in den USA zeigen: Das ist nicht selbstverständlich und deshalb von unschätzbar großem Wert.“
