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5 Jahre Philipp Schwartz-Initiative: Wie ein neuer Anfang gelingen kann

In den letzten fünf Jahren konnten 280 gefährdete Forschende als Philipp Schwartz-Stipendat*innen ihre Arbeit an deutschen Forschungseinrichtungen fortsetzen. Programmverantwortlicher Frank Albrecht über die Herausforderungen eines Neuanfangs in Deutschland.

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Symbolbild Philipp-Schwartz-Initiative: Drei gelbe Kreise mit einer Figur, die von einem zerstörten Tempel zu einem intakten Tempel läuft

Ein neuer Anfang für gefährdete Forschende Broschüre zum fünfjährigen Jubiläum der Philipp Schwartz-Initiative im Jahr 2021 (PDF, 8 MB) 

Humboldt-Stiftung: Philipp Schwartz-Stipendiat*innen sollen in Deutschland nicht nur Sicherheit finden, sondern auch wissenschaftlich weiterarbeiten können. Wie kommen sie im deutschen System zurecht?
Frank Albrecht: Nach dem Ankommen in Sicherheit – und das meint nicht nur ein physisches, sondern auch ein psychisches Ankommen – ist eine der größten Herausforderungen der harte Konkurrenzdruck. Es gibt Stipendiat*innen, die damit kein Problem haben. Etwa ein Physiker aus der Türkei, der an seiner deutschen Gastuniversität so überzeugte, dass er für einen unserer Forschungspreise nominiert wurde. Mit Erfolg! Über solche Fälle freuen wir uns sehr.  Doch die meisten haben es leider schwer, sich zu etablieren.

Wie gehen die Wissenschaftler*innen damit um, wenn ihnen klar wird, wie stark die Konkurrenz hierzulande ist?
Die Orientierung im komplexen, kompetitiven Wissenschaftssystem Deutschlands ist für die meisten Geförderten eine Herausforderung. Das gilt natürlich für alle internationalen Gastforschenden, aber sicherlich in besonderem Maße für Personen, die einen biographischen Bruch erlebt haben wie eine Flucht. Wenn jemand in der Heimat, beispielsweise in Syrien, ein angesehener Professor war und sich in Deutschland nun ganz neu dem Wettbewerb um rare Dauerstellen stellen muss, dann ist das ein hartes Erwachen. Nach der Flucht aus der Heimat und dem Leid für die Familie und die Zurückgelassenen bricht da manchmal eine weitere Welt zusammen.


Wie stehen Sie den Stipendiat*innen in solchen Fällen bei?
Hier hängt ganz viel von der persönlichen Betreuung an der Gastuniversität ab. Wie gut kümmert sich die*der Mentor*in fachlich und menschlich? Gibt es professionelle psychologische Hilfsangebote, etwa auch zur Behandlung von seelischen Traumata? Gibt es Hilfe bei der Wohnungssuche oder Behördengängen, Sprachkursen und so weiter? Hier hat sich durch das große Engagement auf Seiten der wissenschaftlichen Mentor*innen und Gasteinrichtungen und nicht zuletzt durch unsere Initiative strukturell unglaublich viel getan. Und hierauf achten wir in der Stiftung auch bei der Auswahl der aufnehmenden Einrichtungen. Wir wollen wissen: Wir engagiert sind die Gastgebenden? Wie überzeugend sind die Überlegungen zu längerfristigen Perspektiven – in der Wissenschaft oder außerhalb, in Deutschland oder anderswo? Welche professionellen Strukturen entwickelt die Universität, um gefährdeten Forschenden zu helfen?

Wie gelingt die berufliche Integration, wenn es keine passenden Stellen gibt?
Es muss ja nicht unbedingt an der Universität sein. Wir unterstützen sehr, dass die Stipendiat*innen und ihre Mentor*innen auch nach Stellen in der Wirtschaft suchen. Als Fachkräfte für diesen Arbeitsmarkt können viele unserer Stipendiat*innen interessant sein. Wir bauen deshalb verstärkt Beziehungen zu privaten Arbeitgebenden und Verbänden auf.

Philipp Schwartz-Initiative: Programmwebsite mit Informationen und Dokumenten zur Bewerbung 

Frank Albrecht, Programmverantwortlicher Philipp Schwartz-Initiative

Als die Philipp Schwartz-Initiative vor fünf Jahren startete, war es eine Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Geförderten irgendwann in ihre Heimat zurückkehren können, wo sie dringend benötigt werden. Doch die Krisen dauern an – in Syrien, dem Jemen, der Türkei und anderswo. Heute sind die meisten immer noch in Deutschland. Will eine Person, die in Deutschland nach Jahren Fuß gefasst hat, überhaupt noch zurück?
Doch, aus Gesprächen wissen wir, dass die meisten am liebsten heimkehren und am Wiederaufbau mitarbeiten möchten. Diese Sehnsucht verschwindet nicht nach ein paar Jahren. Was dagegen oft schwindet, ist die Hoffnung auf Bedingungen, die eine sichere Rückkehr ermöglichen würden.

Die Wissenschaftsfreiheit ist in vielen Ländern bedroht, die Antragszahlen steigen…
Ja, das ist leider wahr. Nur weniger als ein Drittel der vorgeschlagenen Wissenschaftler*innen können wir aktuell fördern. Wir brauchen mehr Angebote wie unseres auch in anderen europäischen Ländern. Hierfür setzen wir uns mit unseren Partnern im Inspireurope-Projekt auf europäischer Ebene ein. Das könnte auch helfen, Pfadabhängigkeiten abzubauen.

Was ist damit gemeint?
Unserer Erfahrung nach spielen bestehende Netzwerke eine große Rolle. So kommen zu uns nach Deutschland viele Wissenschaftler*innen aus der Türkei und aus Syrien. Nach Frankeich kommen vermutlich viele Personen aus frankophonen Ländern oder solchen, die einen anderen engen Bezug dorthin haben. Bestehende oder entstehende Netzwerke im jeweiligen Land können bei der Integration helfen. Das Hauptziel aber ist, dass wir zum einen hinsichtlich der Herkunftsländer der Philipp Schwartz-Fellows größere Diversität schaffen und zum anderen gesamteuropäisch quantitativ mehr Schutz bieten können, indem mehr Länder in Europa zu sicheren Häfen für bedrohte Wissenschaftler*innen werden. Die Philipp Schwartz-Initiative hat in Deutschland und einigen anderen Ländern bereits Schule gemacht. Wir hoffen, dass das so weitergeht.

Anan Alsheikh Haidar floh im Jahr 2013 aus Syrien. Mit einer Förderung der Philipp Schwartz-Initiative kam sie an die Universität Köln.

aktualisiert am 7. Juli 2021

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