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„Es braucht das ganze Netzwerk“

Andrea Löther hat eine Untersuchung im Auftrag der Humboldt-Stiftung geleitet, die Potentiale und Bedarfe von Wissenschaftlerinnen weltweit analysiert im Hinblick darauf, ob sie für internationale Mobilität und einen Forschungsaufenthalt in Deutschland gewonnen werden können. Ein Gespräch über Zugänge, Barrieren und Chancen auf mehr Exzellenz durch Vielfalt.

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Saturn-ähnliches Dekortationsbild

Dr. Andrea Löther

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften und hat dort die Analyse „Zugänge, Barrieren und Potentiale für die internationale Mobilität von Wissenschaftlerinnen“ geleitet. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Gleichstellungspolitik an Hochschulen, Gender-Monitoring und Evaluation.

Porträt Dr. Andrea Löther, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften
Dr. Andrea Löther

Frau Löther, was war bei der Untersuchung „Zugänge, Barrieren und Potentiale für die internationale Mobilität von Wissenschaftlerinnen“ die größte Überraschung für Sie?
Andrea Löther: Da gab es einige! Zu den größten Überraschungen zählt für mich, wie wichtig das Thema der wissenschaftlichen Gastgebenden in Deutschland ist, wenn es darum geht, mehr hochqualifizierte international mobile Frauen für Forschungsaufenthalte zu gewinnen.

Was bedeutet das?
Es gibt die Tendenz, dass Männer häufiger mit Männern kooperieren und Frauen mit Frauen. So auch im Netzwerk der Humboldt-Stiftung. Wir sehen hier zwei Ansätze, dies aufzubrechen: Einerseits kann die Stiftung die homosoziale Zusammenarbeit nutzen und verstärkt Forscherinnen in Deutschland als Gastgeberinnen aktivieren, die dann wiederum mehr Frauen als Gastforscherinnen für das Netzwerk gewinnen. Zum anderen kann die Stiftung Männer ganz gezielt ermutigen, Nachwuchswissenschaftlerinnen als Kooperationspartnerinnen wahrzunehmen, zu nominieren und zu betreuen, wie sie es mit dem Henriette Herz Scouting Programm bereits tut.

Was halten Sie von einem solchen Ansatz, bei dem wissenschaftliche Gastgeber*innen als Scouts bis zu drei internationale Nachwuchswissenschaftler*innen direkt für Stipendien rekrutieren– wobei der erste Vorschlag einer Forscherin gelten soll?
Das Programm ist ein sehr guter Weg. Mein Rat ist, auch in anderen Förderangeboten ganz gezielt ähnliche Mechanismen einzubauen, die anregen, aktiv nach Wissenschaftlerinnen zu suchen. Bei den untersuchten Programmen der Humboldt-Stiftung haben wir keine eklatanten Geschlechterunterschiede bei den Auswahlquoten feststellen können. Das ist ein Hinweis, dass sich vieles bereits im Vorfeld einer Bewerbung oder Nominierung entscheidet, also bei der Frage, wie Kooperationen entstehen.

Sind Sie dabei auf bestimmte Muster gestoßen?
Ja. Wissenschaftliche Kooperationen gehen häufig auf persönliche Verbindungen, Empfehlungen und Netzwerke zurück. Grundsätzlich steigt die Chance, eine*n Gastgeber*in in Deutschland zu finden, wenn jemand in der Heimat Mentor*innen mit guten Kontakten dorthin hat. Forschende in Deutschland erhalten meist sehr viele Betreuungsanfragen. Auszuwählen ist absolut notwendig. Die Kriterien können jedoch unbewusste Verzerrungen – einen sogenannten Bias – enthalten und strukturelle Ausschlussmuster verstärken. Oft sind persönliche Verbindungen oder Empfehlungen von vertrauten Personen ausschlaggebend.

Haben Sie Beispiele für solche Verstärkungen?
Anfragen aus bestimmten Regionen etwa werden tendenziell schneller aussortiert als aus anderen. Eine Forscherin von einer afrikanischen Hochschule hat es immer schwerer wahrgenommen zu werden als eine von einer renommierten US-Uni.

Streng genommen gilt das aber auch für Männer.
Selbstverständlich. Bei Frauen kommt aber hinzu, dass die Barrieren höher sind, überhaupt an die nötigen Empfehlungen und Kontakte zu kommen, die solche Faktoren ausgleichen können. Es zeigt sich über alle 14 untersuchten Länder hinweg: Frauen haben häufiger Stellen, die mit geringeren ökonomischen und zeitlichen Ressourcen ausgestattet sind für die Forschung, aber auch um sich zu vernetzen beispielsweise auf Tagungen, die klassischerweise als Kontaktbörsen gelten. Und haben Frauen Zugang zu solchen Fachveranstaltungen, werden sie möglicherweise weniger wahrgenommen.

Woran machen Sie das fest?
Männer halten tendenziell häufiger Vorträge, Wissenschaftler besuchen eher die Vorträge von Männern. Studien zeigen Ähnliches auch beim Thema Zitationen. Es geht also immer auch um die Frage: Wen nehme ich wahr? Wem höre ich zu? Die wissenschaftliche Leistung von Frauen wird nach wie vor weniger anerkannt. Unter anderem deshalb sind wir bei unserer Untersuchung auch so sehr auf den Exzellenzbegriff eingegangen.

Was ist am Exzellenzbegriff problematisch?
Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass Exzellenz kein neutraler Begriff ist. Frauen nehmen sich selbst seltener als exzellent wahr – dies zeigt sich aber auch umgekehrt: Frauen wird bei der Anerkennung wissenschaftlicher Leistung nachweislich seltener Exzellenz zugeschrieben als Männern. Das ist mit vielen Faktoren verknüpft wie dem Standing von verschiedenen Fächergruppen, fachlichen Ausrichtungen und methodischen Ansätzen, grundsätzlichen Mustern bei der Kompetenzzuschreibung oder der Reputation der Wissenschaftssysteme der Herkunftsregionen.

Was lässt sich hier tun?
In Deutschland wird in Forschungsdebatten häufig ein Zielkonflikt zwischen Exzellenz und Gleichstellungspolitik hergestellt. Wir sollten dahin kommen zu sehen: Wir bekommen mehr Exzellenz je größer das Segment ist, aus dem wir rekrutieren. Wenn wir von einer Normalverteilung von Eigenschaften wie Intelligenz oder Kreativität ausgehen, verpassen wir enorm viel Potential, wenn wir uns nicht um Gleichstellung und Diversität kümmern.

Was kann die Stiftung aus Ihrer Sicht bewirken?
Gleichstellungspolitik fokussiert im ersten Schritt meist die Frauen selbst und bemüht sich um ihre Sichtbarmachung und Sensibilisierung. Das beobachten wir auch bei der Humboldt-Stiftung. Im nächsten Schritt geht es dann um die strukturelle und institutionelle Ebene – was unbestritten die dickeren Bretter sind. Um Themen wie die Reflexion des Verhältnisses von wissenschaftlicher Exzellenz und Vielfalt voranzubringen, was sich die Stiftung ja bereits vorgenommen hat, braucht es wirklich das ganze Netzwerk.

Wie meinen Sie das?
Organisationen wie die Humboldt-Stiftung sind Teil des deutschen Wissenschaftssystems und darin eingebunden. Sie leben gewissermaßen mit den Barrieren, die das System setzt. Die Stiftung kann es aber auch mitprägen – in der Art wie sie ihre Programme konzipiert, Zugänge gestaltet, auf die Gastgebenden zugeht. Zugleich hat sie sogar die Chance über ihre Geförderten und Alumni auf die Bedingungen in den Herkunftsregionen einzuwirken. Ich bin sicher, dass die Stiftung in diesem Zusammenspiel viel bewirken kann.

Wenn Sie auf die untersuchten Regionen schauen: Womit könnte man hochqualifizierte, international mobile Forscherinnen für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland noch besser erreichen?
Dual Career ist ein großes Thema – wie groß, ist übrigens eine weitere Überraschung für mich gewesen. Die Wissenschaftlerinnen dieser Zielgruppen haben in der Tendenz seltener Kinder als Wissenschaftler. Wenn sie in Partnerschaft leben, dann häufig mit Partner*innen mit eigenen Berufen und Karrieren. Die Frage, wie sich gemeinsames Zusammenleben in der Zeit eines Forschungsaufenthalts organisieren lässt, ist da ganz zentral. Natürlich kann niemand eine Stelle für den*die Partner*in versprechen. Unsere Befragungen zeigen aber, dass grundsätzliche Informationen zum Arbeitsmarkt in Deutschland oft schon helfen können. Die Hochschulen bemühen sich hier bereits um Services. Dennoch sollte zusätzlich noch sensibilisiert werden, wie groß der Bedarf ist.

Wie steht es mit dem Bedarf an Familienleistungen wie etwa Kinderzuschläge?
Familienleistungen werden in den untersuchten Programmen der Humboldt-Stiftung häufiger von Männern genutzt als von Frauen. Das liegt an der bereits genannten demographischen Situation. Man sollte hier differenzieren – Familienleistungen sind natürlich richtig und wichtig. Wir raten sogar dazu, den Kreis der Empfänger*innen noch zu erweitern auf nicht-verheiratete hetero- wie homosexuelle Partnerschaften oder weitere mitreisende Familienangehörige. Gerade bei der Frage, wer Kinder betreut, gibt es regional sehr unterschiedliche Familienmodelle und Bedarfe. Familienleistung dienen aber der Teilhabe von Forschenden mit Familie und nicht explizit der Teilhabe von Frauen.

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