Kontakt
Presse, Kommunikation und Marketing
Tel.: +49 228 833-144
Fax: +49 228 833-441
presse[at]avh.de
Welches Potential an Wissenschaftlerinnen weltweit gibt es, die für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland gewonnen werden könnten? Welche Bedarfe haben sie, um international mobil zu forschen? Und was hindert Frauen womöglich daran? Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat Zugänge, Barrieren und Potentiale von Wissenschaftlerinnen zu internationaler Mobilität vom Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften untersuchen lassen. Die Ergebnisse der Potential- und Bedarfsanalyse liegen nun vor.
Ausgewertet wurden Daten zu den Forschungs- und Hochschulsystemen und der Teilhabe von Frauen in 14 Ländern weltweit, darunter Spanien, Polen, Südafrika, Nigeria, Indien, die USA und Chile. Zugleich wurden ausgewählte Programme der Stiftung unter geschlechterspezifischen Aspekten betrachtet und Handlungsempfehlungen entwickelt, um mehr hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland und das Netzwerk der Stiftung zu gewinnen.
„Die Förderung einer umfassenden Diversität ist ein wesentliches strategisches Ziel für uns“, kommentiert Stiftungspräsident Hans-Christian Pape die Untersuchung. „Exzellente Forschung braucht die Vielfalt der Perspektiven, um gemeinsam die Grenzen bekannten Wissens zu erweitern – die Vielfalt der Geschlechter ebenso wie die der Nationalitäten, Kulturen, Lebensweisen oder der sozialen und persönlichen Hintergründe“, betont er. Zentrale Bausteine der Diversitätsarbeit der Stiftung seien Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit. „Die Untersuchung zeigt: Es existieren Hindernisse, mit denen Forscherinnen in allen untersuchten Ländern konfrontiert sind. Zugleich gibt es Bedarfe und Potentiale, die wir noch nicht ausreichend berücksichtigen – als Humboldt-Stiftung und auch als Wissenschaftssystem in Deutschland“, erklärt Pape weiter.
So ist länderübergreifend beispielsweise die Übernahme von Care-Arbeit in Familien ein Hindernis für Frauen, international mobil zu werden. Zugleich weist die Studie darauf hin, dass Frauen durch die Zuschreibung von Care-Arbeit und die Annahme, dass internationale Forschungsaufenthalte wegen familiärer Verpflichtungen nicht möglich seien, häufig gar nicht erst dafür in Betracht gezogen werden. Auch institutionelle Hürden in den Herkunftsländern wie im Vergleich zu Männern schlechter bezahlte und schlechter ausgestattete Stellen sowie prekäre Beschäftigung können Frauen hindern, international mobil zu werden, auch weil eine temporäre Abwesenheit die Karriere im Herkunftsland gefährden könnte.
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist eine Häufung bei der so genannten homosozialen Zusammenarbeit: Internationale Wissenschaftlerinnen werden eher von Frauen eingeladen während Männer häufiger mit Männern kooperieren. So auch im Humboldt-Netzwerk. Daneben gibt es zu wenig Dual Career-Angebote für die Gruppe der hochqualifizierten international mobilen Forscherinnen, die häufig keine Kinder und keine so genannten „portable partner“ hat, sondern Partner*innen mit eigenem Beruf und eigener Karriere, die es bei einem Forschungsaufenthalt zu vereinbaren gilt.
„Wichtig ist aus unserer Sicht, den Fokus über die Ansprache und Förderung von Frauen auszuweiten und strukturelle wie institutionelle Ursachen und Hürden in Wissenschaftssystemen stärker in den Blick zu nehmen“, erklärt Andrea Löther, Leiterin der Untersuchung am CEWS. „Ein wichtiger Schlüssel bei Fragen des Zugangs sind auch die Gastgebenden: Hier sehen wir Potential, weitere Forscherinnen und Professorinnen in Deutschland als wissenschaftliche Gastgeberinnen zu gewinnen und gleichzeitig Männer noch weiter zu ermutigen, internationale Wissenschaftlerinnen stärker als Kooperationspartnerinnen wahrzunehmen“, so Löther. Beispielhaft für neue Zugangswege sei das Henriette Herz-Scouting-Programm, das die Stiftung 2020 gestartet hat: Hier können wissenschaftliche Gastgeber*innen bis zu drei internationale Nachwuchswissenschaftler*innen direkt für Stipendien rekrutieren und für das Humboldt-Netzwerk gewinnen. Mindestens das erste Stipendium soll dabei an eine Forscherin gehen. Der Humboldt-Stiftung empfiehlt Löther zudem, die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von wissenschaftlicher Exzellenz und Vielfalt fortzuführen: „Exzellenz ist kein neutraler Begriff“, betont Löther. „Frauen nehmen sich selbst seltener als exzellent wahr – dies zeigt sich aber auch umgekehrt: Frauen wird bei der Anerkennung wissenschaftlicher Leistung nachweislich seltener Exzellenz zugeschrieben.“
Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Potential- und Bedarfsanalyse werden von der Stiftung derzeit abteilungsübergreifend geprüft. Sie fließen ein in die Umsetzung der Agenda für gelebte Vielfalt. Mit ihrer Agenda verpflichtet sich die Humboldt-Stiftung, in allen Bereichen des Stiftungshandelns Diversität aktiv zu befördern. Ausgangsbasis soll eine Reflexion des Begriffs der Exzellenz und des Verhältnisses von wissenschaftlicher Exzellenz und Vielfalt sein. Auch mit ihrer Kampagne #ProgressDiversity setzt sich die Stiftung dafür ein, die Bedeutung von Diversität in Wissenschaft und Forschung bewusst und sichtbar zu machen und Gleichstellung, Chancengerechtigkeit und Vielfalt im Wissenschaftssystem kontinuierlich auszubauen.
Weitere Informationen zu den Ergebnissen sowie Dossiers zu den 14 untersuchten Ländern mit Informationen zu den Hochschul- und Karrieresystemen, der Teilhabe von Frauen und Ausschlussmechanismen in der Wissenschaft finden Sie hier.
(Pressemitteilung 6/2022)
Jährlich ermöglicht die Alexander von Humboldt-Stiftung über 2.000 Forscher*innen aus aller Welt einen wissenschaftlichen Aufenthalt in Deutschland. In weltweit über 140 Ländern pflegt die Stiftung ein fächerübergreifendes Netzwerk von mehr als 30.000 Humboldtianer*innen – unter ihnen 61 mit Nobelpreis.